An der Ecke Brouwersgracht und Herengracht erscheint über dem Wasser der Text: Meine Abwesenheit ist deine Anwesenheit. Das helle Werk des Deutschen Mischa Kuball erinnert an Schrödingers Katze, das Gedankenexperiment, bei dem eine Katze in einer geschlossenen Kiste sitzt und sowohl lebendig als auch tot ist, bevor sie sie öffnet. Oder im Fall von Licht: an und aus. Erst wenn die Schachtel geöffnet wird, verschwindet die Unsicherheit und das Tier nimmt seinen endgültigen Zustand ein.
Kuball interpretiert die Online- und Offline-Welt auf die gleiche Weise wie der Quantenphysiker Schrödinger: Wenn wir uns trennen, sind wir immer noch präsent. Bei Abwesenheit übernehmen die Algorithmen, auch wenn der Nutzer schläft.
Kuballs Lichtphrase ist eines von 24 Lichtkunstwerken entlang der Wander- und Navigationsroute des Amsterdam Festival of Lights, das sich in diesem Jahr auf Technologie und künstliche Intelligenz konzentriert. Mit dem Thema der zwölften Ausgabe Wird geladen… Die Organisation möchte beide Seiten dieser technologischen Entwicklungen zeigen. Wie beeinflussen sie das tägliche Leben? Bieten sie Hilfe an oder sind sie der Vorbote eines Albtraums?
Die Jury – bestehend aus Personen des Lichterfests und Experten auf dem Gebiet des Themas – trifft ihre Auswahl auf der Grundlage der künstlerischen Qualität und der Passgenauigkeit der eingereichten Kreationen zur Geschichte. Diese Arbeiten werden mit Hilfe eines Bauteams durchgeführt und nach Möglichkeit nach dem Festival eine neue Unterkunft erhalten.
1500 Kinder aus Amsterdam
„Wir erzählen gerne eine Geschichte, die die Menschen aus ihrer Komfortzone herausführt“, erklärt Frédérique ter Brugge, Festivalleiterin. „Wir betonen bewusst beide Seiten, um die Menschen zum miteinander ins Gespräch zu bringen. »
Der niederländische Künstler Yasser Ballemans ist aus seiner Komfortzone herausgetreten. Er lud 1.500 Grundschüler in Amsterdam ein, einander tief in die Augen zu schauen. Eine Übung, bei der sich Unbehagen oft in Form eines Lächelns äußert.
Die Kinder mussten die Iris jeder Person studieren und sie dann auf bunte Plexiglasbilder zeichnen. Die Augen sind auf großen Kreisen platziert und stellen die Verbindung mit gepulsten Lichtkabeln her. Das Ergebnis liegt an der Herengracht und sieht aus wie eine lange Raupe, die wie eine Achterbahn nach oben kriecht.
Das leuchtende Werk Nächste Verbindung – Teil des jährlichen Bildungsprogramms – symbolisiert die „alte“ Art der Verbindung durch die Augen und die „neue“ Art der Nutzung von Glasfaser und Licht. Ballemans blickt nicht mit düsteren Augen in die Zukunft, aber er ermutigt uns, weiterhin aufeinander zu schauen.
Yves Klein mit VR-Brille
Während Ballemans uns einlädt, uns weiterhin mit dem Blick zu verbinden, lässt der französische Künstler Arnaud Laffond sein Bild einer menschlichen Figur in eine virtuelle Welt eintauchen. Sein Bild Der Sprung trägt eine beleuchtete VR-Brille und fällt nach vorne. Er scheint sich selbst völlig aufzugeben. Ist der Mensch von der neuen Technologie geblendet oder bietet sie tatsächlich Fortschritt?
Der Name und der Tauchgang mit Widmung sind eine Anspielung auf das Foto Der Sprung ins Leere von Yves Klein, in dem sich der Künstler in derselben Situation befindet; mit gespreizten Armen, erhobenem Kopf und eingezogenem Bein. Nur der Wasserfall auf dem Foto befindet sich etwa drei Meter über einer Pariser Straße und nicht über dem Wasser der Herengracht.
Auf jeden Fall wagen beide einen Sprung ins Unbekannte oder, wie der Name des Fotos vermuten lässt: einen Sprung ins Nichts.
Pool der Träume
Vom Eintauchen ins Unbekannte zum Eintauchen in Pool der Träume. Vielleicht bietet das Werk des indischen Künstlers Vibhor Sogani mehr Gewissheit über diese unbekannte Zukunft.
Aus dem Wasser und dem Ufer ragen gewundene Stämme empor, auf denen Kugeln aus poliertem Stahl ruhen. Sie werden von unten blau beleuchtet. Eine Show in ständiger Weiterentwicklung. Nicht nur wegen der Reflexion auf dem Stahl und dem schwarzen Spiegel des Wassers, sondern auch wegen der Variation des blauen Lichts selbst.
Genau wie die Sterne des Universums übertragen die Kugeln ein Lichtsignal von der Vergangenheit in die Zukunft. Wie diese Zukunft aussehen wird, bleibt dem Betrachter überlassen.
Amsterdam der Zukunft
Wenn die Sphären nicht genügend Antworten liefern, steht zweihundert Meter entfernt die Statue von Atlas, dem Halbgott der griechischen Mythologie, der zur Strafe den Himmelskörper mit Sternen tragen musste, weil er gegen den höchsten Gott Zeus in den Krieg zog.
Der britische Künstler Jon Voss nutzte die antike Mythologie und kombinierte sie mit neuen technologischen Entwicklungen. Sind Atlas steht mit seinen Beinen in der Nieuwe Herengracht, in der Nähe des Hortus Botanicus, und trägt eine beleuchtete Miniaturstadt auf seinen Schultern.
Ist das die Zukunft von Amsterdam, wenn die Erde weiterhin für den technischen Fortschritt ausgebeutet wird? Trotzt der Mensch der Natur, wie Atlas es mit den Göttern tat? Unabhängig davon haben die Einwohner der Stadt Strom und leiden so hoch über dem Wasser nicht unter nassen Füßen.
Hofgarten
Technologische Entwicklungen vollziehen sich rasant und scheinen das Leben einfacher zu machen: eine schnellere Verbindung mit einem Glasfasernetz, eine ideale virtuelle Welt, in der man mit einer VR-Brille verschwinden kann, oder eine Stadt darüber auf den Schultern eines Halbgottes.
Dennoch scheinen die meisten Künstler immer noch nicht überzeugt zu sein. Die Werke, die den Weg säumen, zeichnen ein mehrdeutiges Bild der Zukunft und regen zum Nachdenken an.
In diesem Jahr wird der Hoftuin hinter dem Museum H’art ein Treffpunkt sein, an dem Besucher bei einem Drink plaudern und dabei ihren Schatten auf einer acht Meter breiten Wand des deutschen Künstlers Aram Bartholl erscheinen sehen können.
Dank der Technologie entsteht an der Wand ein Schatten, der nur 0,12 Pixel pro Zoll hat, fast 4.000 Mal weniger als auf einem Handybildschirm. In einer Welt, die sich zunehmend im Virtuellen abspielt, stellt Bartholl dem Betrachter eine widersprüchliche Frage: Was bleibt von der Menschheit in den quadratischen Lichtpixeln übrig?
Amsterdam Light Festival: von Donnerstag, 30. November 2023 bis Sonntag, 21. Januar 2024.
Die 24 Kunstwerke des Amsterdam Light Festivals befinden sich hauptsächlich entlang der Herengracht, der Nieuwe Herengracht und am Wasser vor dem Hauptbahnhof.
Die Strecke ist insgesamt 7,5 Kilometer lang und kann kostenlos begangen werden. Die Routenkarte kann über die Festival-App heruntergeladen oder physisch (7,99 €) an einem der Informationspunkte (Stoperaplein und Hoftuin) erworben werden. Der Hoftuin hinter dem H’art Museum ist vom 14. Dezember bis 7. Januar geöffnet. Zukünftig plant das Festival, mehr Räume außerhalb des Zentrums einzurichten, damit nicht jeder ins Zentrum kommen muss, um leuchtende Kunstwerke zu sehen.
Die Lichtwerke werden von Sonntag bis Dienstag von 17:00 bis 22:00 Uhr ausgestellt. An anderen Tagen und in den Weihnachtsferien (23. Dezember bis 7. Januar) eine Stunde länger. In diesem Jahr werden an Silvester die Lichter ausgeschaltet.
navigieren
Besucher können ein offenes oder geschlossenes Ausflugsboot nehmen. Diese Bootsfahrt beinhaltet eine Audiotour (ab 26,50 €), die mehr über die Kunstwerke entlang der Route erklärt. Der Besuch dauert durchschnittlich etwa 75 Minuten.
Gehen
Es gibt auch Wandertouren (ab 21,50 €) in Begleitung eines erfahrenen Führers. Ebenso wie die Bootsfahrten werden Ihnen in diesem Leitfaden die Lichtwerke ausführlich erklärt. Die Wanderung erstreckt sich über die gesamte 7,5 Kilometer lange Strecke und beinhaltet ein Getränk und einen Snack.
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