Ein solcher Gasangriff könne nicht so gefährlich sein, redete er sich ein, aber die Folgen blieben aus.

Ana van Es

Die Luftschutzsirene ertönte. „Benzin, Benzin!“ alle schrien. Es war Ende Dezember 1986, gegen Mittag, an der Front in der Nähe von Sumar, Iran, direkt an der Grenze zum Irak.

Seine Kameraden flohen in die Bunker. Doch Assadallah Husseini ist gerade geflohen. Er war erst 20 Jahre alt und Sanitäter in der iranischen Armee. Er musste ins Feldlazarett, um die Verwundeten zu behandeln. So gefährlich könne ein solcher Gasangriff doch nicht sein, redete er sich ein. Sie waren weit von der Front entfernt.

Eine Flut von Verwundeten unter seinen Händen. Nach ein paar Stunden wurde ihm selbst schwindelig. Ich muss mich übergeben haben. Seine Augen brannten, sie konnten das Licht nicht mehr ertragen. Am Abend fiel er zu Boden. Der Sanitäter war zum Patienten geworden.

Er hat überall Blasen. Seine Haut wurde schwarz. Wenn ich mich einen Monat lang zu Hause ausruhe, wird es mir bestimmt besser gehen, dachte Assadallah damals. Schließlich ging es den anderen schlechter. Sie waren völlig verbrannt. Sie sind tot.

Aber es ist nie passiert. Ihre Haut erholte sich, doch im Laufe der Jahre traten neue Beschwerden auf. Als Folge des Senfgasangriffs ist Assadallah chronisch krank. Er hat Augenprobleme. Ein seltsamer Husten. Schwierigkeiten beim Atmen. Zu Fuß gehen ist nicht möglich.

Und jetzt, 36 Jahre nach dem Gasangriff, ist Assadallah in Den Haag. In einem tadellosen grauen Anzug steht er im Gerichtssaal. Zusammen mit vier anderen iranischen Opfern irakischer Giftgasangriffe macht er ein niederländisches Unternehmen verantwortlich, das Rohstoffe für Senfgas an den irakischen Diktator Saddam Hussein geliefert hat.

Das Unternehmen trägt heute den unaussprechlichen Namen Otjiaha, ist aber besser bekannt als Melchemie, das Unternehmen des Milliardärs Hans Melchers. In den 1980er Jahren war Melchemie einer von unzähligen Lieferanten von SEPP, einer Tarnfirma des irakischen Diktators Saddam Hussein.

Ja, SEPP. DER Staatsbetrieb zur Herstellung von Pestiziden. Gegründet – so sagt es die Geschichte – zur Ausrottung von Insekten im Irak. Es ist eines der zynischen Kapitel über die Rolle des Westens im Irak, das inzwischen im Sand der Geschichte begraben liegt.

Das SEPP war in Europa willkommen. Westdeutsche Unternehmen lieferten Rohstoffe für tödliche Nervengifte: Sarin und Tabun. Für eine brandneue Giftgasanlage wurden hochentwickelte Luftreiniger und korrosionsbeständige Rohre aus Hamburg verschifft. Italien spielte eine Rolle. Niederländische Unternehmen lieferten Rohstoffe für Senfgas. Der hartnäckigste und ungeschickteste der Bande, Frans van Anraat, wurde zu mehr als 16 Jahren Gefängnis verurteilt.

Die SEPP sei eine „beweiskräftige Tarngeschichte“ eines „geliebten Verbündeten“ – Saddam Husseins Irak – gewesen, sagt Carry Knoops, Anwalt von Melchemie.

Wir haben für jedes Insekt ein Pestizid, hat die irakische Armee öffentlich verkündet. Einige deutsche Beteiligte sagten später, sie hätten darüber Witze gemacht. Insektenvernichter, man muss es im weitesten Sinne verstehen, haha. Sie stellten Heilmittel gegen „Flöhe, Heuschrecken, Perser, Israelis“ her.

36 Jahre sind eine lange Zeit, aber nicht so lange. Es ist zu eng für Entschuldigungen, Gedenkfeiern, Lehrmaterialien. Einige Täter und Opfer leben noch. Juristische Personen sind rückverfolgbar. Eine erhebliche Entschädigung ist weiterhin möglich. Und so weichen Beamte überall in Europa aus.

Hans Melchers ist jetzt 85 Jahre alt. Er ist nicht mehr berechtigt, über sein eigenes Eigentum zu verfügen. Sein Verwalter steht vor Gericht. Dass er Saddam Hussein einen Rohstoff für Senfgas lieferte, ist kaum bestritten. Seine Anwälte bestreiten jedoch, dass Assadallah und andere Iraner dadurch verletzt wurden.

Die Richter in Den Haag betonen: In diesem Fall gehe es nicht um „Politik oder Geopolitik“. Aber leider. Geopolitischer geht es nicht.

Die iranische Regierung versucht seit Jahren, westliche Unternehmen zu verklagen, die Saddam damals mit Chemiewaffen belieferten. Iran würde die Antwort dieser Geschäftsleute lieber vor einem internationalen Tribunal sehen. Gut benannt. Nur: Iran wirft dieses Dossier auch dann auf den Tisch, wenn schwierige Fragen etwa zu den eigenen nuklearen Ambitionen gestellt werden.

Im Gerichtssaal sind Vertreter der iranischen Regierung anwesend. Sie fragen mich nach meiner Telefonnummer. Immer griffbereit für die iranische Botschaft, sagt ein Mann. Er arbeitet in Teheran im Friedensmuseum.

Sie hören die Opfer, auch wenn sie nicht sprechen. Einer von ihnen atmet durch einen Schlauch und stöhnt dabei hörbar. Assadallah hustet immer wieder.

Adelbert Eichel

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