Begegnungen an der Mosel | Nationalgeographisch

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Am nächsten Morgen beim Frühstück ist es Zeit, darüber nachzudenken, was ich tun werde. Das ist die Frage jedes Mal, wenn man sich spontan und unvorbereitet irgendwo wiederfindet. Als ich mit etwa vierzigtausend Seelen durch die Innenstadt gehe, finde ich das örtliche Zeitungsbüro: Der lothringische Republikaner. Als ich noch Korrespondent in Indien war, besuchte ich oft die Büros lokaler Zeitungen, wenn ich in einer Stadt ankam, die ich nicht kannte, um Geschichten von Händlerbrüdern und -schwestern zu hören. Es waren im Allgemeinen super informative und auch sehr unterhaltsame Begegnungen. Warum nicht? Ich denke, kurz bevor ich das Büro mitten in Thionville betrete. Der Redakteur sagt, die meisten Reporter seien noch nicht eingetroffen und ich solle eine Stunde später zurück sein.

Ich beschließe, diese Zeit mit einem Kaffee auf der Terrasse des Café Excelsior zu verbringen, gleich neben dem Zeitungsbüro. Dort spreche ich mit Alexandre. Er hat gerade seine Nachtschicht in einem Autowerk außerhalb der Stadt verlassen. Auf seinem Laptop zeigt er Videos des Roboters, den er in der Fabrik bedient. „Heute arbeiten hier noch etwa dreitausend Menschen in der Automobilindustrie. Früher waren es zehnmal mehr“, sagt er. Ich hatte bemerkt, dass viele Geschäfte in der Innenstadt leer waren. Alexandre erzählt mir warum: Etwas außerhalb der Stadt entstehen immer mehr große Einkaufszentren, in denen Unternehmer günstiger mieten können. Mit der Zunahme des Online-Shoppings ist dies der Todesstoß für viele Händler in der Innenstadt.

Nach dem Kaffee kehre ich ins Zeitungsbüro zurück. Drinnen hängt ein Banner mit weißen Buchstaben auf schwarzem Grund: „Je suis Charlie“. Wenn ich an diesen schrecklichen Angriff auf das Büro der französischen Wochenzeitung denke Charlie Hebdo 2015 denke ich, dass ich sehr leicht in die Redaktion einsteigen kann. Der Journalist Emmanuel Correia streckt seinen Kopf hinter einem veralteten Windows-Computer hervor. Er schnappt sich ein Päckchen Zigaretten und winkt mir mit der anderen Hand zu, ihn zu begleiten. Ein paar Minuten später sitze ich mit Emmanuel und vier seiner Freunde auf der Terrasse eines Cafés, dessen Name von den Regisseuren von Comedy-Serien vorgeschlagen wurde ‚Hallo Hallo komponiert werden kann: Das Vorher. Es ist erst 11 Uhr, aber drei der Freunde trinken schon Alkohol. MBO-Lehrer feiern, dass sie gerade ihre letzte Unterrichtsstunde hatten. „Jetzt musst du nur noch die Klausuren korrigieren und dann sind Ferien“, sagte einer von ihnen. Die meisten ihrer Studenten gehen zum Arbeiten nach Luxemburg, erklären sie. Die Gehälter sind zwei- bis dreimal höher. In der Nähe des Bahnhofs entsteht ein ganz neues Viertel, insbesondere für all die Pendler, die täglich in die Hauptstadt des Großherzogtums fahren, erklärt Emmanuel.

Ein paar Drinks später machen wir uns auf zum Soleil Gourmand, laut der Gruppe das beste Lunch-Restaurant der Stadt. Es stellt sich als geschlossen heraus, danach fahren wir zum Le Vesuve, einem italienischen Restaurant, wo es auch Flammkuchen gibt. Unterwegs kommen wir am alten Postamt vorbei. Daniel, Kommunikationsdirektor der Stadtverwaltung und Mitglied unserer Gruppe, sagt, es sei eine Kopie der Neuköllner Post in Berlin. Die deutsche Zeit ist noch hier und da in der Architektur der mittelalterlichen Bastide sichtbar.

Helfried Beck

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