Politische Statements, Aufruhr und Freudentränen für Außenstehende

Die Iranerin auf der Tribüne im Ahmad-Bin-Ali-Stadion am frühen Freitag hat eine stilvolle Sonnenbrille in ihren langen, gefärbten blonden Haaren. Sie und ihr Mann, in den Dreißigern, tragen eine Flagge ihres Landes. Nicht nur hier in Katar, auch im Iran habe sie „ein paar Monate“ ohne Kopftuch leben können, sagt sie.

Doch über dieses Thema spricht das Paar lieber nicht. „Ich denke, 98 % der Unterstützer hier unterstützen die Proteste. Doch zu viel Aufmerksamkeit geht auf Kosten Stimmung, von dem Team. Wir sind wegen des Fußballs hier“, sagte der Mann vor dem Anpfiff gegen Wales.

Doch als das nächste Mal die iranische Nationalhymne gespielt wird, wird im Stadion deutlich, wie emotional aufgeladen sie ist. Die Spieler singen diesmal leise und flüstern. Dies wurde bereits im Vorfeld berücksichtigt. Am Donnerstag wurde der berühmte iranische Fußballer Voria Ghafouri (35) im eigenen Land wegen „Propaganda“ gegen das Regime festgenommen. Seine Verhaftung wurde in Katar als Warnung an die Nationalmannschaft gewertet. Von den Tribünen mit Tausenden Iranern sind während der Nationalhymne an diesem Freitag neben Gesängen auch Pfiffe zu hören. Die Kamera zoomt auf einen alten Mann, der in Tränen ausbricht, und eine Frau mit tränenden Augen.

„Fragen Sie Southgate nach Afghanistan“

Solange der Iran im Turnier ist, gibt es Politik. Der spanische Nationaltrainer Carlos Queiroz aus dem Iran hat genug. Er griff am Donnerstag die BBC-Journalistin Shaima Khalil an. Sie muss auch angefangen haben, Spielern und Trainern aus anderen Ländern politische Fragen zu stellen, sinnierte er. „Warum fragen Sie nicht Nationaltrainer Southgate: Was halten Sie von England und den Vereinigten Staaten, die Afghanistan und alle Frauen aufgegeben haben?“

Die Komplexität der Verflechtung der WM mit der Politik wurde im Laufe der Woche deutlich. Die Tirade von Fifa-Chef Gianni Infantino gegen europäische Katar-Kritiker war ein Vorbote für die Zukunft: ein OneLove-Armbandverbot. Sieben europäische Staats- und Regierungschefs wollten eine Botschaft zugunsten von Vielfalt und Unterstützung für homosexuellenfeindliche LGBTI+-Personen in Katar verbreiten.

Trotzdem gab es große und kleine Statements. Die Dänen trugen beim Aufwärmen schwarze Trikots, um an die Opfer zu erinnern, die vor der WM gefallen sind. Aber vor allem stachen die Deutschen heraus. Während des Mannschaftsfotos hielten sie sich den Mund zu und sechs Spieler, darunter Kapitän Manuel Neuer, trugen gegen Japan Fußballschuhe mit Regenbogennähten. Auf der Hauptterrasse trug Bundesinnenministerin Nancy Faeser unübersehbar das OneLove-Armband. So wie später am Abend während Belgien-Kanada Hadja Lahbib, die belgische Außenministerin, neben Infantino steht.

Sozialer Kontext

Dies führte zu Aufregung und Empörung über die Fifa. Zumindest in Nordwesteuropa. Aber auch dort dürfte die Aufmerksamkeit für die politischen Fragen und den gesellschaftlichen Kontext dieser WM allmählich verblassen. Zumal das, was in der ersten Runde auf dem Rasen passierte, ziemlich faszinierend war.

Es gab Wasserfälle. Saudi-Arabien hat Argentinien besiegt. Dann erstickte Deutschland an Japan. Beide Überraschungen bedeuten, dass an diesem Wochenende zwei Hausbesetzer auf dem Speiseplan stehen. Argentinien muss am Samstagabend gegen das starke Mexiko gewinnen, um dem bevorstehenden Ausscheiden zu entgehen. Der Sonntag ist bereits ein Sieg für Deutschland gegen Spanien. Die Gewinner sind in der Gruppenphase des Turniers noch nicht geboren, die Verlierer schon.

Auch im Ahmad-Bin-Ali-Stadion hatte am Freitagnachmittag die Fußballleidenschaft schnell Vorrang vor der Politik. Die iranischen Fans konnten den ganzen Ärger zu Hause für eine Weile vergessen, als sie gemeinsam einen wahrhaft höllischen Lärm machten, der mit jedem Angriff ihrer Mannschaft zu Orkanstärke anschwoll. Besonders in der zweiten Halbzeit, als der Iran ständig an die Tür von Wales klopfte. Das Traumszenario ist wahr geworden. Nach einer Roten Karte für den walisischen Torhüter Hennessey schlug Iran in der Nachspielzeit zu. Erst begeisterte Cheshmi Zehntausende Landsleute, dann machte auch Rezaeian das 2:0. Die Tränen auf der Tribüne waren diesmal vor Freude.

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Deutsche Fußballer protestierten am Mittwoch bei der WM, indem sie demonstrativ die Hand vor den Mund hielten Teamfoto machen. „Uns ein Kapitänsamt zu verweigern, das für Vielfalt steht, heißt uns zum Schweigen zu bringen.“

Adelbert Eichel

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