Tonny (86) aus Utrecht traf sich jeden Tag mit NSB-Chef Anton Mussert: „Er kam gequatscht und gequatscht“

Tonny (86) ist einer der wenigen Utrechter, der noch in Düften und Farben erkennen kann, wie Utrecht zur NSB-Hauptstadt der Niederlande wurde. Am 4. und 5. Mai wird sie in ihre freundliche Nachbarschaft zurückkehren, die zu einer NSB-Hochburg geworden ist, in der die Angst regiert.

Von: Sarah Hol

Tonny erinnert sich noch lebhaft an Anton Musserts schlagende Schritte in seiner Straße. Das Geräusch hoher Stiefel gegen große Waden und eiserne Absätze, die auf den Steinen der Oudwijkerveldstraat klappern: „Er kam jeden Tag vorbei, watete und plauderte“, sagt sie.

Vom freundlichen Arbeiterviertel zur NSB-Hochburg

Die Oudwijkerveldstraat, heute geprägt von gepflegten Blumenbeeten und gepflegten Fassaden, war in den 1930er Jahren ein einfaches Arbeiterviertel „Die Leute hatten nicht viel“, sagt Tonny. „Aber es war sehr angenehm hier und jeder kannte jeden.“ Die freundliche Atmosphäre der Nachbarschaft wich der Angst, als die Niederlande am 15. Mai 1940 von Nazideutschland besetzt wurden. In der Nähe des Arbeiterhauses von Tonny und seiner Familie wurden die majestätischen Gebäude der Maliebaan von den deutschen Besatzern besetzt. Das Hauptquartier der NSB unter der Leitung von Anton Mussert befindet sich in Hausnummer 35. Mussert selbst wohnte ein paar Blocks entfernt auf der Nassaulaan. Jahrelang sieht ihn der kleine Tonny durch die Straßen streifen. „Das war ein solider Gag“, lacht Tonny, fügt aber in ernstem Ton hinzu, dass sie und die anderen Kinder in der Nachbarschaft dafür gesorgt haben, dass sie weggelaufen sind, als er vorbeigegangen ist. „Deine Eltern haben dir gesagt, dass du still sein musst, wenn diese Männer vorbeikommen.“

leere Pfannen

Als Tonny eine Packung Kekse auf den Tisch legt, erzählt sie, wie ihre Mutter sie mit einer leeren Pfanne auf die Straße geschickt hat. Es war ein letzter verzweifelter Versuch, Essen für die Familie zu besorgen. Mit der Pfanne unter dem Arm versucht Tonny sein Glück bei den deutschen Soldaten im Wilhelminapark. Eigentlich immer umsonst, erklärt sie. Einmal reichte ihm ein deutscher Soldat eine Gabel. Tonny holt die Gabel aus ihrer Küche und sagt, sie habe inbrünstig gehofft, sie würde ihr auch etwas zu essen geben. Dem war jedoch nicht so und die Pfanne kam komplett leer nach Hause. „Während des Hungerwinters war hier wirklich gar nichts“, sagt Tonny. In den letzten Monaten vor der Befreiung suchten Tonnys Nachbarn verzweifelt nach Überresten im Müll, den deutsche Soldaten in der Kromhout-Kaserne zurückgelassen hatten. Aufgrund des großen Brennstoffmangels gab es praktisch keine Möglichkeit, Essen zuzubereiten. Tonnys Bruder Joop und die Jungs aus der Nachbarschaft suchten nach Eisenbahnschwellen, um ein Feuer zu machen, damit die Kartoffelschalensuppe gekocht werden konnte.

Endlich befreites Utrecht

Obwohl große Teile der südlichen Niederlande bereits befreit wurden, sind viele Utrechter während des langen Winters 44/45 noch immer in tiefer Unsicherheit. Am 7. Mai verließen die kanadischen und britischen Soldaten schließlich De Bilt in Richtung Utrecht. Ganz Utrecht ist in festlicher Stimmung. Es folgen Feierlichkeiten in der Innenstadt und Umzüge auf dem Janskerkhof. Tonny erinnert sich noch an die feiernde Menge und die Festwagen, die die Biltstraat hinunterrollten. Trotzdem rissen die Sorgen von Tonny und seinen Eltern nach der Entlassung nicht ab. Der Hungerwinter hat in Utrecht und insbesondere in den ärmeren Arbeitervierteln wie Lombok und Wijk C so tiefe Spuren hinterlassen, dass viele Kinder unterernährt sind und dringend Hilfe zum Überleben benötigen. Minister Van den Tempel für soziale Angelegenheiten startet eine groß angelegte Kampagne, um diesen sogenannten „weißen Nasen“ zu helfen. Mit Hilfe des Roten Kreuzes werden 30.000 niederländische Kinder mit dem Zug nach Schweden, England und in die Schweiz transportiert, um sich für einige Monate in Pflegefamilien zu erholen.

blasse Nase

Tonny war eine dieser blassen Nasen. Nach einer langen Reise durch bombardierte Gebiete erreicht sie eine große Kaserne in der Schweiz. Hier verbringt sie die Nacht in einem großen Schlafzimmer mit Dutzenden von Kindern. Am nächsten Tag steht wieder eine lange Zugfahrt an und schliesslich wird Tonny von einem Schweizer Ehepaar abgeholt. „Ich war dort extrem unglücklich und traurig“, sagt Tonny niedergeschlagen. „Ich habe meine Mutter schrecklich vermisst.“ Tonnys Augen fangen an zu funkeln, wenn sie an ihre Mutter zurückdenkt, die den riesigen Bogen immer mit exquisiter Präzision hoch über ihrem Kopf hielt. Das Schweizer Ehepaar hingegen schenkte diesem Modetrend keine Beachtung. Tonny erinnert sich gut an die Schleife, die die ganze Zeit in der Schweiz schlaff um seinen Kopf hing. Lachend sagt Tonny, sie habe vor allem auf Schweizerdeutsch fluchen und knurren gelernt. Sie hat gute Erinnerungen an die Schnapsgläser mit Schlagsahne, die ihr zur Genesung gegeben wurden. „Aber ansonsten war ich sehr wütend und rebellisch. Ich wollte nur nach Hause, in meine Nachbarschaft in Utrecht. Zurück in Utrecht kehrt auch die solidarische Atmosphäre in Oudwijk zurück. Heute lebt Tonny immer noch im selben Haus in der Oudwijkerveldstraat und erzählt Jung und Alt gerne die Geschichte „seiner Nachbarschaft“.

Lesen Sie auch:

Poldie Hall

„Extremer Zombie-Guru. Begeisterter Web-Liebhaber. Leidenschaftlicher Bierfanatiker. Subtil charmanter Organisator. Typischer Kaffee-Ninja.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert