„Tausend Aufbrüche“: Die Deutschen und ihre Demokratie

Die DDR war eine Diktatur, wie Morina in seinem Buch „Tausend Aufbrüche“ erklärt. An der deutschen Demokratie und Demokratie gibt es seit den 1980er Jahren keinen Zweifel. Aber auch in der DDR, wo die sozialistische SED und der Geheimdienst Stasi regierten, fühlten sich die Menschen der Nachbarschaft verpflichtet, in der sie lebten, ihren Betrieben, den Gemeinden, denen sie angehörten Teil. Morina zeigt in seinem Buch, dass es sich nicht um stille und apathische Bürger handelte, die kurz vor dem Mauerfall plötzlich rebellierten. Schon lange vorher hatten sie Vorstellungen davon, wie ihre Gesellschaft aussehen sollte, und sie brachten diese Ideen zum Ausdruck.

Morina beginnt sein Buch in den 1980er Jahren, als Ost- und Westdeutschland noch zwei durch den Eisernen Vorhang getrennte Staaten waren. Aus den Petitionen, Flugblättern und unzähligen Briefen, die Menschen an ihre Regierungen schrieben, erfährt sie, wie die Menschen ihre Politiker, Parteien und Administratoren sahen. In der BRD zum Beispiel mit dem Bundespräsidenten. Aber auch die Menschen äußerten ihre Unzufriedenheit, Kritik und Vorstellungen zu Demokratie und Staatsbürgerschaft in der DDR-Diktatur. Durch das Eingabesen, das offizielle Beschwerdesystem der DDR, das der Staat in erster Linie eingerichtet hat, um der Bevölkerung das Gefühl zu geben, mitreden zu können; und durch Briefe – zum Beispiel an Parteichefs, Ministerien, aber auch an Zeitungen. Die Briefe wurden oft an die Stasi weitergeleitet.

In den 1980er Jahren rebellierten immer mehr DDR-Bürger gegen ihre Regierung. Die Kluft zwischen dem, was der Staat versprach, und dem, wie die tägliche Praxis aussah, war immer größer geworden – die Briefe zeigen, dass sich die Menschen gedemütigt, machtlos, machtlos fühlten. Sie wollten das Land verlassen, konnten es aber nicht. Sie forderten Reformen, auch als Kollektiv, Unternehmen oder Verein. Sogar Mitarbeiter der Stasi schrieben an ihre Vorgesetzten, dass sich wirklich etwas ändern müsse.

Mächtige Bürger

Die Briefe der Westdeutschen zeugen ebenso wie die der Ostdeutschen vom Wunsch, die Gesellschaft mitzugestalten, zeigt Morina in seinem Buch. Die Autoren der Briefe sind nicht repräsentativ für die Bevölkerung der beiden Länder, aber laut Morina bieten die Briefe eine relevante Sicht auf die Vorstellungen, die die Menschen von ihrer Gesellschaft haben.

Die DDR-Bürger identifizierten sich kaum mit ihrer Regierung, wohl aber mit dem Sozialismus

Die Briefe der Westdeutschen zeichnen das Bild selbstverwalteter Bürger, die in den 1980er Jahren ihre parlamentarische Demokratie als völlig selbstverständlich betrachteten, als Wähler und Steuerzahler Teil davon waren und als solche auch Rechte einforderten. Sie schrieben zum Beispiel über die Asylgesetzgebung oder beschwerten sich über die politische Kultur. Besonders die Beleidigungen zwischen Politikern im Wahlkampf 1980 waren vielen ein Dorn im Auge, als sich Anhänger und Gegner des Kanzlerkandidaten Franz Josef Strauß (CDU/CSU) öffentlich gegenseitig als Lügner und Betrüger bezeichneten.Aufgescheuchte Hühner‚ (aufgezogene Hühner) und ‚pissende Bullen‚ (Bullen pissen). Einige Westdeutsche gaben ihre Stimmen zurück und teilten dem Bundespräsidenten mit, dass sie nicht an Wahlen teilnehmen wollten, die dazu führen könnten, dass jemand Kanzler wird, der solchen Beleidigungen nachgegeben hat.

Für die Ostdeutschen war das Verhältnis zu ihrer „Demokratie“ komplizierter. Die Deutsche Demokratische Republik war dem Namen nach eine Demokratie, aber nicht in Wirklichkeit. Mit ihrer Regierung identifizierten sich die DDR-Bürger – anders als die Westdeutschen – kaum, wohl aber mit dem Sozialismus – ein Begriff, der in der DDR für das verwendet wird, was wir in den Niederlanden Kommunismus nennen. In der offiziellen Doktrin der DDR war die „Sozialistische Volksdemokratie“ ein zu erreichendes Ideal, das alle Klassenunterschiede überwinden sollte. Viele Menschen hätten dieses Ideal ernst genommen, erklärt Morina. In ihren Briefen kritisierten die Bürger der DDR ihre Regierung und ihre Partei für den Umgang mit dieser Situation, das Ideal selbst wurde jedoch nicht in Frage gestellt.

„Der Wille des Volkes“

Viele Ostdeutsche wollen laut Morina auch Teil einer direkten Demokratie sein, möglichst ohne Eingreifen von Parteien und staatlichen Stellen. Demokratie sollte Ausdruck des Volkswillens sein, des „Volkswillens“, den die Ostdeutschen in den letzten Tagen der DDR der SED-Diktatur entgegenstellten. Dieser Wunsch nach „wirklicher“ direkter Demokratie zeigte sich in den Briefen der 1980er Jahre, insbesondere aber in den Ereignissen rund um den Mauerfall. DDR-Bürger gingen auf die Straße und riefen: „Wir sin das Volk!‘ und alle entwickelten Ideen darüber, wie eine zukünftige Demokratie und eine besser funktionierende sozialistische Wirtschaft aussehen sollten. In der Praxis geschah dies jedoch nicht: Die überwiegende Mehrheit der DDR-Bevölkerung stimmte 1990 für den Beitritt zur BRD.

Innerhalb weniger Jahre erlebten viele Ostdeutsche einen Kater. Verwaltungsbüro. Viele Menschen verloren ihre Arbeit, die Mieten stiegen dramatisch und Menschen verloren ihre Lebensgrundlage. Und sie mussten sich einem wirtschaftlichen, sozialen und politischen System stellen, das nicht ihres war – auch wenn sie im März 1990 bewusst und massiv dafür gestimmt hatten. Die westdeutsche parlamentarische Demokratie mit Parteien, die offen konfrontieren und dann Kompromisse eingehen, entsprach nicht dem Erfahrungen und Vorstellungen einer beträchtlichen Minderheit der Ostdeutschen. Sie strebten nach Konsens, sozialem Frieden und Harmonie, erklärt Morina in seinem Buch.

Morina zitiert eine Umfrage aus dem Jahr 1991, in der 80 Prozent der Westdeutschen zustimmten, dass die BRD-Demokratie das beste System sei. Nur 31 Prozent der Ostdeutschen stimmen dieser Meinung zu. Die Meinungsverschiedenheiten zur Demokratie seien auch heute noch sichtbar, erklärt Morina gegenüber Germanyweb am Telefon. „Den meisten Westdeutschen ist Freiheit wichtig, für Ostdeutsche ist es Gleichheit. Letzteres ist nicht verwerflich, aber wie definiert man es? Was bedeutet das im Hinblick auf die Erwartungen der Menschen an Regierung und Politik? Darum soll es in Deutschland von nun an gehen. Welche Bilder haben wir von unserer Gesellschaft, wie spricht man darüber und wie setzt man sie zusammen?

Skeptische Demokraten

Die Enttäuschung vieler Ostdeutscher über die Demokratie, in der sie sich nach der Wiedervereinigung befanden, erwies sich als idealer Nährboden für die AfD. Die Alternative für Deutschland hat sich in den letzten Jahren zu einer rechtsextremen Partei entwickelt, die auch in Westdeutschland zunehmend Unterstützung findet. Doch der Erfolg begann in den östlichen Bundesländern, wo die AfD mit Kampagnen und Parteiprogrammen punktete, die auf Volkswillen, Volksgemeinschaft, direkte Demokratie, Harmonie und Homogenität setzten. ‚Vollende die Wende„(Vollendet die Revolution“) war ein Wahlslogan im Jahr 2019 und „Wir sin das Volk» – direkt mit den Umbrüchen von 1989/1990 verbunden. Damit präsentiert sich die AfD als Alternative zum „alten Parteiensystem“, durch das sich viele Ostdeutsche nicht repräsentiert fühlen.

Die Enttäuschung vieler Ostdeutscher über die Demokratie, in der sie sich nach der Wiedervereinigung befanden, erwies sich als idealer Nährboden für die AfD.

„Sobald die AfD irgendwo an Einfluss gewinnt, weiß sie, wie sie diesen schnell ausbauen kann“, erklärt Morina am Telefon. „In Ostdeutschland wurde die NS-Zeit nicht so thematisiert wie in Westdeutschland, und der Entstehung des Nationalsozialismus im Unternehmen wurde viel weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Wörter wie Volksgemeinschaft, die in Westdeutschland einen direkten Bezug zur NS-Zeit haben, sind für die Bewohner Ostdeutschlands weitaus weniger abstoßend. Viele Ostdeutsche wählen wegen Rassismus nicht die AfD, aber sie haben damit auch kein Problem.“

Die Ostdeutschen stimmten 1990 für den Beitritt zur BRD. Doch bis dahin seien sie nicht an der Schaffung westdeutscher Institutionen und demokratischer Werte beteiligt gewesen, schreibt Morina in seinem Buch. So wurden viele BRDs zu skeptischen Demokraten. „Die Stellung der Ostdeutschen im vereinten Deutschland kann sich nur verbessern, wenn sie die Ordnung der BRD mitgestalten können oder zumindest das Gefühl haben, dass sie es können“, schreibt sie.

Angela Merkel

Wie können diese Skepsis und die Unterschiede zwischen Ost und West nach 30 Jahren der Wiedervereinigung immer noch so groß sein? Auf diese Frage hat Morina eine klare Antwort. „Denn die deutschen Regierungen haben die komplexen Ursachen dieses Problems noch nicht verstanden“, sagte sie gegenüber Germanyweb. „Die Vereinigung wurde aus einer sozioökonomischen Perspektive betrachtet und auch als symbolische Politik genutzt. Aber alles, was eine pluralistische Demokratie braucht – politische Parteien, Gewerkschaften, Arbeitgeber- und Lobbyverbände, Kirchen und andere gesellschaftliche Institutionen – war in Ostdeutschland jahrzehntelang unterrepräsentiert und ist es auch heute noch. Effektive Interessenvertretung betrifft hauptsächlich diese Art von Organisationen. Dies sei laut Morina schon lange bekannt, es fehle jedoch an Programmen, die für eine stärkere Teilhabe an der repräsentativen Demokratie sorgen könnten.

Merkel: „Vielleicht habe ich mich nicht immer getraut, über die DDR-Zeit zu sprechen, es war zu einer Art Stigma geworden“

Um die Demokratie in Ostdeutschland zu stärken, seien noch viele weitere Initiativen der Bundesregierung und der Länder nötig, glaubt Morina. Angela Merkel, selbst ostdeutscher Herkunft, hätte dabei eine viel wichtigere Rolle spielen müssen, findet sie. Während ihrer Amtszeit als Kanzlerin sprach Merkel kaum über ihr Leben in der DDR. Bis Oktober 2021, kurz vor ihrem Rücktritt, wurde sie überraschend persönlich und kritisierte einen Artikel, in dem vom „Gepäck ihrer DDR-Biografie“ die Rede war. „Ich habe mich als Kanzlerin aller Deutschen gesehen“, sagte Altkanzlerin Merkel. früher in diesem Jahr um. „Vielleicht habe ich mich nicht immer getraut, über die DDR-Zeit zu sprechen, die zu einer Art Stigma geworden war, ‚da ist sie wieder mit ihrer DDR‘.“

Neben der Regierung und den Ländern müssten auch die Parteien mehr tun, um die Bevölkerung für demokratisches Engagement in Ost- und Westdeutschland zu mobilisieren, glaubt Morina. „Es herrscht heute ein Krisengefühl, aber wir tun in diesem Bereich immer noch nicht genug. Es wird immer noch zu wenig darauf geachtet, wie Ostdeutsche die Demokratie wahrnehmen, welche Folgen sie für unsere Gesellschaft und unsere politische Kultur hat und wie wir damit umgehen sollten.“

Adelbert Eichel

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