Shell ist ein Staat für sich und hat eigentlich nur Angst vor den Aktionären

Am 14. Mai 1940 steht Jim de Booy, Direktor von Royal Oil, am Kai in Scheveningen. Dies ist seine letzte Chance, mit wichtigen Firmendokumenten die Überfahrt nach England anzutreten, bevor die deutschen Truppen die Küste erreichen. Auf Befehl der Marine beschlagnahmt er das Fischerboot Alida.

Die Besatzung besteht zum Teil aus Personal der Tankerflotte des Ölkonzerns. Er nimmt Soldaten mit, einen Beamten mit geheimen Codebüchern und zwei Zivilisten mit politischem Schutz. Er lässt ein paar jüdische Flüchtlinge stehen. Er dürfe sie nicht mitnehmen, sagte er später.

In London angekommen offenbart sich der Kontrast zur Regierung. Koninklijke Olie und sein englisches Schwesterunternehmen Shell sind ein sanftes Unternehmen, geführt von Männern von Welt, die den Abzug aus den Niederlanden vorbereitet hatten. Das außer Kontrolle geratene Kabinett hingegen macht einen provinziellen Eindruck. Die Minister sprechen kaum oder gar kein Englisch. Sie sind von den Umständen überwältigt. Shell organisiert Büros und Lagerbestände für die niederländische Regierung in London.

„Eine politische Biographie“

In welcher Beziehung steht Shell, wie der Konzern seit der Fusion (2004) mit Koninklijke Olie heißt, zu den Regierungen der Länder, in denen der Konzern nach Öl und Gas sucht, Raffinerien und Chemieunternehmen betreibt und Tankstellen betreibt? Service ? Dies ist das zentrale Thema in Hohes Spiel, ein Buch, an dem der investigative Journalist Marcel Metze seit mehr als zwanzig Jahren arbeitet. Es ist ein schwacher Titel, aber ein Buch mit einer beeindruckenden Reichweite in Bezug auf Zeit (130 Jahre Shell), Ort (von Niederländisch-Ostindien bis Venezuela, von Saudi-Arabien bis Nigeria) und Umfang (632 Seiten, einschließlich Fußnoten).

Metze (1952) hat sich bereits mit aufschlussreichen Büchern unter anderem über Philips einen Namen gemacht. Dieses Buch ist anders. Die Bildunterschrift lautet: Eine politische Biographie von Shell. Keine Insidergeschichte im Stil der Philips-Chefesetfehden. Insider fungieren als Informanten, etwa die ehemaligen Spitzenmanager Gerry Wagner und Jeroen van der Veer.

Du kannst Hohes Spiel auf unterschiedliche Weise lesen. Wenn man eine politische Brille aufsetzt, erkennt man die Macht von Shell. Sei es Shells Rolle bei den (drohenden) Ölboykotten gegen Rhodesien und Südafrika, Putins Pseudonationalisierung eines großen russischen Gasfeldes, die Unterstützung der Niederlande für den Krieg im Irak, die Verlegung des Hauptsitzes nach London oder die durch Gas verursachten Schäden Förderung in Groningen: Shell hat die Trumpfkarten in der Hand oder holt sie sich in Form politischer Unterstützung aus Den Haag.

Shell engagiert sich in der Politik. Zusammen mit drei anderen niederländischen Unternehmen will der Konzern mit „eigenen“ Leuten im Repräsentantenhaus den konzernfeindlichen Zeitgeist stürzen. Einer von ihnen ist Shell-Direktor Frits Bolkestein, später VVD-Chef.

Ein Segen und ein Fluch

Metze macht in seinem Buch auch deutlich, wie sich die Beziehungen zu den Heimatländern Niederlande und England erheblich verändern, wenn Shell beginnt, innerhalb ihrer Grenzen Öl und Gas zu fördern. Dann werden die Kommunalpolitiker erleben, was auch der Rest der Welt erlebt. Shell kann ein Segen sein (Energie, Arbeitsplätze, Gewinnsteuer), aber auch ein Fluch: Umweltverschmutzung, Schäden und die Rechnung anderen zu überlassen.

Der Plan, die Bohrinsel Brent Spar zu versenken, hat zu einem Verbraucherboykott und einem Imageschaden geführt. Die Fortsetzung der Gasförderung in Groningen bewirkte dasselbe. Aber wem wird die Schuld gegeben? Nicht Shell, sondern Den Haag.

Shell selbst ist ein Staat

Setzen Sie die wirtschaftliche Brille auf und Sie sehen, wie ein globales Anliegen entsteht. Shell macht Geschäfte mit Staaten auf höchster Ebene, oder besser gesagt: mit Andere Zustände. Shell ist ebenfalls ein Staat, obwohl es privaten Aktionären und nicht Bürgern gehört. Genau wie die Politiker gibt auch der Shell-Chef sein Bestes, um die nächste Wahl zu gewinnen, nicht in der Wahlkabine, sondern auf der Aktionärsversammlung.

Und so wie sich die Staaten aufrüsten, rüstet sich auch Shell. Keine eigene Armee, aber eigene Sicherheits- und Geheimdienste, Shell Security. Das Wort kam im Jahr 2000 Sicherheit einmal im Geschäftsbericht, zwanzig Jahre später 216 Mal. Und es gibt Neuigkeiten: Ein ehemaliger Direktor behauptet, Shell habe die Täter der Angriffe auf Makro-Filialen und Shell-Tankstellen (1985-1988) gefunden.

Metze ist unzufrieden mit der Wende bei Shell, die den Dialog mit Aktionsgruppen, Kirchen und politischen Parteien teilweise durch Geheimdienstarbeit über die Gesellschaft ersetzt hat. Dennoch ist es eine logische Entwicklung. Vierte Wochenzeitschrift im Jahr 1960 Zeit John Loudon, damals CEO, as Unternehmensstaatsmann, als Wirtschaftsdiplomat auf dem Cover. Seine Nachfolger wollen wissen, wer es auf „ihren“ Staat abgesehen hat.

Und dann ist da noch der anthropologische Aspekt. Wie verhalten sich die Bewohner des „Planeten“ Shell? Und warum? Wie kommunizieren sie? Metze gibt gute Aussichten. Es scheint drei Formen des internen Nachrichtenverkehrs zu geben. Die formale Form, für jeden verständlich. Auch informelle Kanäle, wenn die Themen zu sensibel sind. Drittens: mündliche Übermittlung. Am besten in einer vagen Sprache, damit selbst ein Abhören kein unwiderlegbarer Beweis ist.

Wir beherrschen, schreibt Metze in Anlehnung an einen englischen offiziellen Forscher, „die Kunst der glaubwürdigen Verleugnung“. Beispielsweise leugnet die Spitze Kenntnisse über Korruption in Nigeria und auf den unteren Rängen gibt es keine stichhaltigen Beweise und schon gar keine E-Mails.

Tanken bleibt das Credo

Shell ist schwer zu fassen. Wovor haben die Menschen Angst? Klima? Shell begrenzt seine Risiken durch eine schnellere Abschreibung seiner Anlagen. Nein, Shell hat wirklich Angst vor seinen eigenen Aktionären. Sie nehmen ein Angebot eines Konkurrenten an. Daher ist jede „Nachhaltigkeits“-Abteilung dazu verdammt, klein zu bleiben oder zu verschwinden. Es ist schon einmal passiert.

Nachhaltigkeit generiert zu wenig Geld. Deshalb gibt der neue Kapitän des Tankers, Wael Sawan, Vollgas. Wie ein Aktivist im Nachhinein sagte: Shell konnte nur in Barrel und Öl denken. Pumpen bleibt das Credo.

Marcel Metz. Hohes Spiel. Shells politische Biographie. Gleichgewicht, ISBN 9789463822695, 34,95 €.

Menno Tammingaist Wirtschaftskolumnist für Wynia’s Week. Zuvor war er Redakteur und Kolumnist für Financieele Dagblad und NRC Handelsblad.

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Adelbert Eichel

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