„Niederländisches Theater ist Mangelware“

Als das Telefoninterview beginnt, befindet sich Johan Simons in der Registrierungsphase am Leipziger Flughafen. Nach einem Treffen mit der Schauspielerin Sandra Hüller, bekannt aus dem Film „Toni Erdmann“, kehrt er in die Niederlande zurück. „Sie wird mit meinem Ensemble zusammenarbeiten“, sagte er glücklich. „Morgen fahre ich nach Wien, ins Wiener Burgtheater Bauprobewie sie es nennen, eine Einschätzung der geplanten Pläne, auch wenn die Show erst am 15. Dezember Premiere haben wird.

Das neue Ensemble, das Simons aufbaut, ist das Schauspielhaus Bochum, das er ab 2018 als Intendant leiten wird. Simons erneuert die Schauspielgruppe radikal. Das sei üblich, wenn ein neuer Intendant in einem deutschen Theater sein Amt antritt, sagt er. „Von den 27 Spielern sind noch drei übrig. Ich habe mir alle möglichen neuen Leute zusammen gesucht, eine internationale Gruppe, darunter auch ein paar Niederländer. Auch Pierre Bokma schließt sich uns an. Für ihn ist es lustig und anregend. In den Niederlanden kennt ihn jeder, aber in Deutschland kennt man ihn überhaupt nicht.“

Der Otto-von-der-Gablentz-Preis ist eine alle zwei Jahre stattfindende Auszeichnung, die an eine Person verliehen wird, die sich für die guten Beziehungen zwischen Deutschland und den Niederlanden oder für ein geeintes Europa eingesetzt hat. Mehr Informationen

Das Spielen niederländischer Spieler in Deutschland läuft sehr gut, wie Simons bereits erfahren hat. Als er die Münchner Kammerspiele leitete, kamen mehrere niederländische Schauspieler nach München, darunter Pierre Bokma und der inzwischen verstorbene Jeroen Willems. „Sie erhalten vorab zusätzlichen Sprachunterricht, der insbesondere für Schauspieler einfühlsam angewendet wird. Dies betrifft vor allem Intonation, Aussprache und Akzente. Auch in einer anderen Sprache muss ein Schauspieler seiner eigenen Figur treu bleiben. Jeroen Willems sagte immer, dass er besser Deutsch spreche als die Deutschen. Schauspieler wie Jeroen und Pierre können es sagen und garantieren, dass es wahr ist. Pierre Bokma wird diesen Herbst auch nach Wien reisen, wo ich die Show „Radetzkymarsch“ von Joseph Roth inszenieren werde.“

„In den niederländischen Theatern hat sich ein enormer bürokratischer Aufwand eingeschlichen.“

Fragt man ihn nach seinen Erfahrungen in der deutschen und niederländischen Theaterwelt, wirkt er plötzlich resolut. Er möchte diese Preisverleihung nutzen, um auf diesen Punkt aufmerksam zu machen: „Dem niederländischen Theater mangelt es an Ressourcen. Ich sage das aufgrund meiner Position als Verwalter des Ruhrtriennale. Ich sehe zum Beispiel nur wenige niederländische Produktionen auf ausländischen Festivals.“

Ist es eine Frage des Geldes oder der künstlerischen Qualität? „Die beiden, die beiden sind miteinander verbunden. Wenn man zu lange zu wenig Geld anlegt, stirbt etwas. Niederländische Schauspieler haben nicht genug Möglichkeiten. Das Stadttheater Bochum hat so viele Schauspieler unter Jahresverträgen wie derzeit in den gesamten Niederlanden.“

Kunst und Staat

Die Kunstsituation in den Niederlanden sei ganz anders als in Deutschland, erklärt Simons. „Seit Thorbecke gibt es in den Niederlanden traditionell kein staatliches Engagement im Kunstbereich. Aber seltsamerweise sind es die Niederlande, wenn es ein Land gibt, das sich stark mit Kunst beschäftigt.

„Scheitern zu lassen ist eine großartige Sache in der Kunst. »

„Im niederländischen Theater hat sich ein enormer bürokratischer Aufwand eingeschlichen. Theatergruppen müssen die Anzahl der Zuschauer, die sie anlocken möchten, und die Zielgruppen, die sie ansprechen, überbegründen. Ein Ausschuss fällt alle vier Jahre ein Urteil anhand unterschiedlicher Kriterien. Wenn man ständig alle möglichen Bedingungen erfüllen muss, wird der Raum für Kreativität zu begrenzt. Scheitern zu lassen ist eine tolle Sache in der Kunst. Dafür gibt es in den Niederlanden keinen Platz mehr.“

Auch in Deutschland gibt es für Theater Kriterien, die allerdings weniger substanziell seien, erklärt Simons. In der Zwischenzeit wird er zum Einsteigen ins Flugzeug gerufen, doch das ist für ihn kein Grund, das Gespräch zu beenden. „Man muss ein Publikum anziehen und man muss in den Zeitungen über sich reden lassen. Und es muss nicht unbedingt positiv sein“, fährt er fort.

Kreuzbestäubung

„Die deutsche Theaterwelt ist viel größer und es geht um viel mehr Geld. Deutschland hat eine ganz andere Theaterkultur“, erklärt Simons. „In Deutschland gibt es ein Repertoiresystem: Eine Theatergruppe bleibt in ihrer eigenen Stadt und hat mehrere.“ Stücke im Repertoire, die oft über Jahre hinweg abwechselnd aufgeführt werden. In den Niederlanden haben wir das Reisesystem. Eine Kompanie spielt fünf oder sechs Vorstellungen in ihrer eigenen Stadt und reist dann mit dieser Vorstellung. Das niederländische Theater ist daher flexibler. Die Niederlande sind für ihre Kollektive bekannt, während die deutsche Theaterwelt im Vergleich eher autoritär organisiert ist.“

„Das Deutsche Stadttheater ist Singular.‘

Laut dem Komitee des Otto-von-der-Gablentz-Preises hat Simons einen wichtigen Beitrag zur gegenseitigen Befruchtung dieser beiden Theaterkulturen geleistet. Nicht nur durch den Austausch von Schauspielern oder gar die Zusammenführung der gesamten Münchner Kammerspiele in Amsterdam, sondern auch durch die Ermöglichung von Mehrsprachigkeit im Theater und durch das Engagement für transnationales Theater.

„Das Deutsche Stadttheater ist Singular. Das Theater muss sich in die Stadt einbetten und das gesamte Stadtpublikum mobilisieren. Es gibt eine viel direktere Verbindung zwischen der Stadt und dem Theater. Er wird von der Stadt bezahlt und fühlt sich für diese Stadt verantwortlich.

Von der Schule

„Der Platz der Kunst ist in der deutschen Kultur stärker. Seine Tradition Bildungsbürgertum da merkt man es wieder. In den Schulen wird weiterhin Musik- und Theaterunterricht erteilt. In den Niederlanden ist dies vollständig verschwunden. Junge Leute haben keine Ahnung vom Theater, sie können keinen einzigen berühmten Schauspieler nennen, es gehört nicht zu ihrer Welt. Wer das wiederfinden will, muss schon in der Grundschule anfangen. Simons macht es auch: Mit seiner Frau, der Schauspielerin Elsie de Brauw, besucht er niederländische Grundschulen, um mit den Kindern Theater zu machen.

Mit transnationalen Theaterprojekten sorge Simons für kulturelle Verbindungen in Europa, sagt der Vorstand von Otto von der Gablentz. Er glaubt, dass das Theater dort eine wichtige Aufgabe hat. Als Beispiel nennt er die Show „Urban Prayers“ der Ruhrtriennale, die in Gotteshäusern verschiedener Religionsgemeinschaften aufgeführt wurde. „Damit haben wir auch ein Publikum erreicht, das sonst nicht ins Theater gekommen wäre.“ Denn dies ist ein weiteres Merkmal der Arbeit von Simons; er versucht, das Theater weniger elitär zu machen. Lachen: „Ich versuche es immer, aber es gelingt mir nie. »

Eleonore Roth

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