Entnazifizierung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg

Dann erhebt sich Außenminister Joachim von Ribbentrop. „Tod durch Erhängen.“ Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Wilhelm Keitel. Todesurteil. Der Chef des Sicherheitsdienstes, Ernst Kaltenbrunner. Todesurteil. Zwölf Naziführer werden zum Tode verurteilt.

Als die Urteile am 16. Oktober kurz nach Mitternacht vollstreckt werden sollen, werden die Verurteilten – mit Ausnahme von Göring, der inzwischen Selbstmord begangen hat – in die Turnhalle des Gefängnisses Spandau gebracht, wo der Galgen auf sie wartet. Sie werden der Reihe nach suspendiert.

Zwei Stunden später werden die Leichen ins Lager Dachau gebracht, wo die Krematorien zum letzten Mal angezündet werden. Den Nazis erwartet das gleiche Schicksal wie Millionen ihrer Opfer.

Allerdings ist die Einäscherung von Nazi-Führern nur ein kleiner Teil der Pläne der Alliierten für Deutschland. Die gesamte Nation muss unter den Folgen von Hitlers Blutvergießen leiden und die Nazi-Ideologie muss vollständig ausgerottet werden.

Der Nazi-Bazillus muss ausgerottet werden

Die Alliierten waren in der ersten Hälfte des Jahres 1945 nicht nur nach Deutschland gekommen, um Hitler zu stürzen, sondern auch, um das Land zu besetzen und sicherzustellen, dass er den Weltfrieden nie wieder bedrohte. Dies erforderte eine Entmilitarisierung und Entnazifizierung. Alle Nazis und ihre Sympathisanten sollten gejagt und bestraft werden.

Nach der Machtergreifung Hitlers wurde die Gesellschaft durch Bildung, Kultur, Freizeit und vor allem Propaganda von der Nazi-Ideologie geprägt. Deshalb wollten die Amerikaner eigentlich alle Deutschen auf der Anklagebank haben: Jeder war schuldig, bis seine Schuld bewiesen war.

„Die Deutschen können sich ihrer Verantwortung nicht entziehen“, schrieb der amerikanische Generalstab kurz nach der Kapitulation.

In der amerikanischen, britischen, französischen und russischen Besatzungszone begann im Sommer 1945 die Entnazifizierung. Die NSDAP und Organisationen wie die Gestapo und die SS wurden aufgelöst. Die Rädelsführer wurden bis zum Ende des Prozesses inhaftiert und alle registrierten Nazis wurden aus ihren gesellschaftlichen Funktionen entlassen.

Allen Beamten drohte die Verhaftung, und vor Jahresende befanden sich 160.000 Deutsche in Internierungslagern in den drei Westzonen, hauptsächlich in den Vereinigten Staaten. Weitere 200.000 Menschen wurden entlassen.

Insbesondere führten die Amerikaner groß angelegte Säuberungen an Schulen und Universitäten durch. In ihrem Bereich wurden fast 90 % der Lehrer entlassen und durch ältere Lehrer ersetzt, die damals von den Nazis entlassen worden waren. Damit sollte sichergestellt werden, dass junge Deutsche nie wieder der Nazi-Ideologie ausgesetzt werden.

Die Amerikaner folgten dem Grundsatz, dass die Deutschen kollektiv verantwortlich seien und niemand verschont bliebe. Beispielsweise mussten alle Bürger über 18 Jahren eine lange Liste von 131 Fragen beantworten. Davon Fragarcs Es musste dargelegt werden, ob der Bieter eine nationalsozialistische Weltanschauung hatte oder nicht.

„Geben Sie eine chronologische Beschreibung Ihrer Arbeit und militärischen Laufbahn seit 1931“, lautete eine der Fragen. Andere befassten sich mit politischem Engagement vor und während des Krieges.

Da die Amerikaner Zugang zu den NSDAP-Mitgliedsunterlagen hatten, konnten sie in einigen Fällen Lügner fassen. Anhand der Antworten wurden die Deutschen in Gruppen eingeteilt: Hauptverantwortliche, Besteuerte, Mitläufer und Unbesteuerte.

Den Hauptverantwortlichen drohte die Todesstrafe, während ein „unbesteuerter“ Deutscher ungehindert am gesellschaftlichen Leben teilhaben konnte.

VIDEO: Sehen Sie sich eine US-Wochenschau aus dem Jahr 1948 über die Entnazifizierung Deutschlands an

Die Bretter werden aus dickem Holz gesägt

Die Briten und Franzosen wandten in ihren Besatzungszonen ähnliche Methoden an, wurden jedoch weniger gedrängt als die Amerikaner. Beide Mächte reduzierten die Entnazifizierung ebenfalls rasch, da sie befürchteten, dass die deutsche öffentliche Verwaltung zusammenbrechen würde, wenn zu viele Beamte entlassen würden.

Die französische Zone wurde sogar als Eldorado für ehemalige Nazis bezeichnet, weil sie leicht unter dem Radar bleiben konnten, wenn sie sich bedeckt hielten.

Ganz anders verhielt es sich in der Sowjetzone: Die Russen gingen effektiv mit den Nazi-Elementen der Gesellschaft um.

Rund 520.000 ehemalige Nazis wurden rasch von ihren Ämtern entbunden, darunter 80 % der Richter. Die russischen Besatzer brandmarkten insgesamt 90.000 Deutsche als Faschisten und sperrten sie in ehemaligen Konzentrationslagern ein, etwa in Sachsenhausen nördlich von Berlin, wo 12.000 Häftlinge umkamen.

Die Russen ließen jedoch die einfachen Mitglieder der NSDAP in Ruhe, die selbst kein Verbrechen begangen hatten. In der Sowjetzone sollte die Entnazifizierung vor allem durch eine rasche gesellschaftliche Entwicklung erfolgen und nicht durch einen langsamen Reinigungsprozess, wie ihn die Amerikaner eingeleitet hatten.

Verbündete sind anderer Meinung

Die Einigkeit der Alliierten über die Behandlung der Deutschen begann bald zu bröckeln. Truman, Churchill und Stalin hatten sich im Sommer 1945 in Potsdam darauf geeinigt, dass Deutschland nicht nur entmilitarisiert und entnazifiziert, sondern auch demokratisiert werden sollte.

Die Russen mochten die Demokratie jedoch nicht so sehr. Sie sahen in der Entnazifizierung vor allem ein Mittel zur Errichtung eines kommunistischen Regimes.

„Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen die Fäden in der Hand halten“, sagte Walter Ulbricht, als er im Mai 1945 mit seiner Gruppe deutscher Exilkommunisten in Berlin ankam.

Ulbricht und seine Leute sollten in der zerstörten Hauptstadt die Macht übernehmen.

Wie zuvor in der Sowjetunion führten die Russen bereits im Herbst 1945 in ihrer Besatzungszone eine Agrarreform durch und anschließend wurden 10.000 Privatbetriebe verstaatlicht. All dies sollte zu einer kommunistischen Planwirtschaft führen.

Allerdings empfanden die Amerikaner die rasche Etablierung des Kommunismus in Ostdeutschland zunehmend als Bedrohung, da die einfachen Menschen eine Entnazifizierung weitaus weniger zu befürchten hatten, und nach einem Jahr rigoroser Maßnahmen machten die USA einen Rückzieher.

Die Entnazifizierung macht dem Kalten Krieg Platz

Ab Frühjahr 1946 überließen die Amerikaner die Entnazifizierung den Deutschen selbst. Zur Prüfung der großen Menge an Dokumenten wurden Untersuchungsgerichte eingerichtet – an manchen Tagen gingen 40.000 Fragebögen ein.

Die vorläufige Militärregierung konzentrierte sich mehr auf Rehabilitation als auf Bestrafung. Nun könnten sich die Deutschen gegen Vorwürfe wehren, und ihre „individuelle Verantwortung und konkreten Straftaten“ würden berücksichtigt, heißt es in einem US-Dokument vom Oktober 1946.

Von der Zusammenarbeit zwischen Amerikanern und Russen war in den Monaten nach den Nürnberger Prozessen kaum noch etwas zu spüren. Als die Vereinigten Staaten und Großbritannien später ihre Gebiete zusammenlegten, sahen die Russen darin eine Bedrohung und der Konflikt geriet außer Kontrolle. Im Frühjahr 1947 wurde der Begriff Kalter Krieg erstmals für die gekühlten Beziehungen verwendet.

Die Amerikaner wollten nun Westdeutschland durch Marshall-Hilfe in eine wirtschaftlich stabile Demokratie verwandeln. Sie hofften, dass die Deutschen die Vorteile des Kapitalismus erkennen und nicht vom Kommunismus in Versuchung geführt würden.

Die Kluft zwischen Ost und West vergrößerte sich von Monat zu Monat, und 1949 entstanden zwei deutsche Staaten: die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik (DDR), die jeweils eng mit den Staaten USA und Sowjetunion verwandt waren.

In der Bundesrepublik überließen die Amerikaner die Entnazifizierung den Deutschen. Doch der neue Staat hatte kaum Interesse daran, die alten Kühe wiederzubeleben, und die Forschung an einzelnen Tieren kam nahezu zum Erliegen. Viele entlassene Nazis bekamen sogar ihre Jobs zurück.

Bis zu 90 % der Beamten der NS-Zeit kehrten mit dem Argument zurück, sie seien nun „rehabilitiert“.

Nach dem ursprünglichen amerikanischen Plan war die Entnazifizierung ein Fiasko, da von einer kollektiven Umerziehung des Volkes nie die Rede gewesen war. Aber die Rolle des Nationalsozialismus in der Politik war vorbei.

Mehr als 6 Millionen der rund 60 Millionen Deutschen waren in den Westzonen direkt von der Entnazifizierung betroffen, in der russischen Zone 1 Million.

Adelbert Eichel

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