Jedes Jahr gehen Tausende Babyboomer in Deutschland in den Ruhestand. Und das, während aus der Ferne nicht genügend Arbeitnehmer auf den deutschen Arbeitsmarkt drängen. Die Bundesregierung hat diesen Monat einen Schlachtplan vorgelegt.
Beunruhigende Meldungen als Kettenreaktion auf den Krieg in der Ukraine folgen in rascher Folge. Deutsche Bäckereien schließen aufgrund extremer Energiepreise, reduzierte Aluminium- und Stahlproduktion im Ruhrgebiet und Berliner Start-ups entlassen gleichzeitig Hunderte von Mitarbeitern.
Dennoch sind viele Arbeitgeber in Deutschland immer noch unterbesetzt. Laut Bundesagentur für Arbeit waren im September 5,4 % der deutschen Erwerbsbevölkerung arbeitslos. Zum Vergleich: 2005, als Deutschland noch als „kranker Mann Europas“ galt, war die Arbeitslosigkeit viermal so hoch.
Die Ankunft Zehntausender ukrainischer Flüchtlinge, deren Leistungsansprüche in die deutschen Arbeitslosenzahlen einfließen, hat die Lage auf dem angespannten Arbeitsmarkt entspannt. Doch der Kampf um Talente wird laut deutschen Arbeitsmarktexperten auch in den kommenden Jahren unvermindert weitergehen.
Attraktive Arbeitsbedingungen
In der Tat müssen sie den Mitarbeitern sehr attraktive Sozialleistungen bieten. Ein aktueller Bericht des Beratungsunternehmens PwC zeigt, dass der Personalmangel bis 2035 1,8 Millionen Menschen erreichen wird. Vereinfacht gesagt: Seit Jahrzehnten gehen mehr ältere Menschen als junge Menschen nach.
Manche sprechen von einem Fachkräftemangel, in Wirklichkeit betrifft er jedoch alle Berufsgruppen
„Wir haben ein riesiges Problem auf der Angebotsseite, weil die Arbeitskräfte verschwinden. Manche sprechen von Fachkräftemangel, aber in Wirklichkeit betrifft er alle Berufsgruppen“, sagte Ökonom Hans-Werner Sinn kürzlich dem Merkur.
Laut Sinn – der 74 Jahre alt ist – ist die Situation in Deutschland besorgniserregender als beispielsweise in den Niederlanden, weil bei unseren östlichen Nachbarn seit Jahren weniger Babys geboren werden. Im Jahr 2019 lag die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau in Deutschland bei 1,54. Ein Jahr zuvor waren es noch 1,57.
Babyboom-Generation
Die Bevölkerung in Deutschland altert so schnell, dass mittlerweile jeder Zweite über 45 und jeder Fünfte über 66 Jahre alt ist. Arbeitnehmer in den „fruchtbaren“ Geburtsjahren zwischen 1955 und 1970 – die Baby-Boom-Generation – verabschieden sich aus dem Berufsleben. 2022 werden sich Menschen mit dem Geburtsjahr 1959 im Alter von 63 Jahren verabschieden.
Arbeit bestimme „die Geschicke unseres Landes, Wohlstand und gesellschaftlichen Zusammenhalt“, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vergangene Woche bei der Vorlage eines alarmierenden Gutachtens voller Empfehlungen.
Mit der Fachkräftestrategie wollen die Deutschen die Berufsausbildung junger Menschen verbessern und das Studium für Umschulungswillige attraktiver machen. Außerdem muss die Arbeit besser mit dem Familienleben in Einklang gebracht werden, damit Frauen häufiger Vollzeit arbeiten können. Auch eine Erwerbstätigkeit bis zum 67. Lebensjahr wird gefördert.
Berufssicherheit
Und Arbeitsmigration? Es sei auch eine Lösung, so Heil, ebenso wie der Kampf gegen die Abwanderung. Wegen großer Personalprobleme und Chaos an deutschen Flughäfen holte Lufthansa bereits im vergangenen Sommer Hunderte Arbeitsmigranten aus der Türkei.
Deutschland lockt seit Jahren junge Menschen aus afrikanischen Ländern wie Simbabwe mit einer Ausbildung und Arbeitsplatzsicherung als Krankenpfleger. Damit sich Migranten schneller heimisch fühlen, setzt sich die liberale FDP in der Bundesregierung für Englisch als Zweitsprache ein.
Doch viele Arbeitsmigrationsexperten übersehen den Heiligen Gral. Denn laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung löst auch eine Zahl von 400.000 Migranten pro Jahr das Problem des deutschen Arbeitsmarktes nicht.
Die Frage ist auch, ob qualifiziertes Personal bereit ist zu kommen. Seit der Wiedervereinigung 1990 zieht es jährlich bis zu 300.000 Menschen nach Deutschland.
Laut einer Umfrage des Wirtschaftsinstituts ifo sind 78 % der Befragten der Meinung, dass Langzeitarbeitslose zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ermutigt werden sollten. Aber wie in den Niederlanden fragen sich auch deutsche Experten, wie man die 2,5 Millionen Arbeitslosen im eigenen Land an Arbeit bringt.
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