Ein weiterer 9. November – Deutsches Institut

Ich war immer noch überrascht, als ich die Titelseiten und Websites sah: Sie drehten sich alle um die Pogrome von 1938, in den Niederlanden auch als Kristallnacht bekannt. Auf der Titelseite habe ich nichts über den Fall der Mauer gesehen, sie haben alle eine Grenze zwischen 1938 und heute gezogen. Der Grund dafür ist natürlich der Krieg zwischen Israel und der Hamas und insbesondere die Reaktionen, die er in der deutschen Gesellschaft selbst hervorruft.

Ich weiß nicht, ob es eine Art ungeschriebenen Code gibt, damit jeder weiß, welches Gedenken am 9. November Vorrang haben soll. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein kleiner deutscher Politiker oder Medienkommentator der Richtige ist Fingerspitzengefühl Dadurch kann er genau den Aspekt der deutschen Geschichte auswählen, der am besten zur aktuellen Stimmung passt.

Der 9. November ist dafür ideal. Sicherlich hört man nie einen deutschen Regierungspolitiker über den dritten 9. November in der deutschen Geschichte sprechen, als Karl Liebknecht 1918 die sozialistische Revolution ausrief. Die Jahre 1938 und 1989 bilden dagegen ein Paar sehr tragfähiger Gedenkpolitiken. Traditionell werden die beiden Ereignisse immer unmittelbar nacheinander rezitiert. Wenn in den letzten Jahren ein Bürgermeister oder Kanzler seine offizielle Rede bei der öffentlichen Feier zum Mauerfall hielt, erinnerte der zweite Satz stets an das Jahr 1938.

Merlijn Schoonenboom In seiner monatlichen Kolumne verbindet er seine persönlichen Erfahrungen mit breiteren gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland.

Jedes Jahr steht bei der Gedenkfeier der Schwerpunkt auf den Akzenten, die gesetzt werden können. Als ich zum ersten Mal nach Deutschland zog, wurde 1989 am 9. November 2009 ausgelassen gefeiert, und 1938 war nur ein Nebensatz. Dieser Optimismus entsprach zu dieser Zeit einem Gefühl der Versöhnung zwischen Ost und West; Allerlei positive Eigenschaften der Ostdeutschen wurden hervorgehoben: Sie waren freiheitsliebend, krisenresistent und emanzipiert. Im Jahr 2009 galt 1989 als nichts Geringeres als der Kontrapunkt zu 1938, als Beweis dafür, dass auch Deutschland einen positiven Wandel herbeiführen konnte; eine „friedliche Revolution“.

Die Jahre 1938 und 1989 repräsentieren zwei Seiten unserer eigenen Geschichte, die schlechte und die gute. Dies änderte sich nach dem Aufstieg der AfD, insbesondere in Ostdeutschland. Die Flüchtlingskrise und die zunehmenden Angriffe auf Asylbewerber haben die Fremdenfeindlichkeit und den Mangel an kosmopolitischer Vision der Ostdeutschen deutlich gemacht. Die Feier des Jahres 1989 enthielt ab 2015 zunehmend einen schimpfenden Verweis auf 1938 – und selbst 1989 war plötzlich nicht mehr das positive Gegenstück zu 1938, sondern ein Datum mit gemischten Gefühlen.

In diesem Jahr haben die Nachrichten das Jahr 1989 völlig zurückgedrängt und das Jahr 1938 wird gefeiert, als ob es zurückkehren könnte. Der Israelhass vieler deutscher Muslime, aber auch antiisraelische Proteste linker Aktivisten werden in den Kommentaren vorbehaltlos mit dem Antisemitismus der Nazis verglichen. Er ‚kein Unkrautvernichter„Nie wieder Auschwitz“, war der wichtigste Leitsatz des Nachkriegsdeutschlands, „aber jetzt ist es so.“kein Unkrautvernichter„Ich habe ein Fragezeichen bekommen“, lese ich im Tagesspiegel.

Es ist eine Tatsache, dass die Spannungen in Städten wie Berlin hoch sind; Deutsche Juden werden bedroht, israelische Flaggen verbrannt – und unter anderem der Grünen-Politiker Robert Habeck zieht zu Recht eine strikte Linie für deutsche Toleranz. Doch die aktuellen Spannungen im multikulturellen Deutschland lassen sich nicht durch einen historischen Vergleich mit einem industriell organisierten Massenmord im Dritten Reich lösen. Ich bewundere oft die Fähigkeit der Deutschen, Grenzen zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu ziehen, aber in Deutschland lernen wir auch, dass wir im aktuellen Umgang mit Gedenktagen vorsichtig sein müssen.

Adelbert Eichel

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