Deutsche Landwirte legen in Berlin mit Anti-Traktor-Protesten den Verkehr lahm. „Es geht um alles, was uns genommen wurde“

Am späten Sonntagnachmittag brannten in der Abenddämmerung überall Feuer auf der Straße des 17. Juni, die zum Brandenburger Tor führt. Traktoren und Transporter haben links und rechts vier Tiefenreihen; Auf den beiden freien Fahrspuren verkehren Traktoren mit Bannern und Blaulicht. Am Straßenrand wird Holz für das Feuer geschlagen, Bierflaschen und Wurstbrötchen verteilt. Dies ist die große Abschlussdemonstration des einwöchigen Bauernprotestes.

Lutz und Carsten aus der Region Uelzen stehen neben einem rauchenden Fass. Dort, nördlich von Hannover, betreiben sie einen Ackerbaubetrieb, auf dem Zuckerrüben, Kartoffeln und Getreide angebaut werden. Sie brachen am Samstagabend um ein Uhr auf, um am Morgen nach einer sechsstündigen Fahrt mit dem Traktor in Berlin anzukommen. Als sie – in einer Formation von vierzehn Wanderern – aufbrachen, standen immer noch Menschen am Weg, die ihnen applaudierten und sich verabschiedeten. Carsten, der nicht möchte, dass sein Nachname in der Zeitung veröffentlicht wird, sagt: „Es geht nicht mehr um die Abschaffung der Agrardieselsubventionen.“ Das betrifft alles und es betrifft jeden.

Dieselplan

In Deutschland kam es Mitte Dezember zu Bauernprotesten, als die Koalition unter Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen Sparplan vorschlug, bei dem die Landwirte auch Haushaltskürzungen vornehmen mussten. Von nun an müssten wir eine Kfz-Steuer für landwirtschaftliche Fahrzeuge zahlen und die Steuerermäßigung für Diesel aufheben. Nach anfänglichen Protesten zog die Koalition ihr Vorhaben Anfang Januar zurück. Traktoren und ähnliche Produkte blieben von der Kfz-Steuer befreit und der Dieselrabatt würde schrittweise und nicht auf einmal auslaufen.

Den Bauern reichte das nicht. Der Vorsitzende des Interessenverbandes Deutscher Bauernverband, Joachim Rukwied, erklärte umgehend, dass das Dieselprojekt gänzlich aufgegeben werden sollte. Dazu werde die angekündigte Protestwoche im ganzen Land fortgesetzt, darunter auch die große Abschlussdemonstration an diesem Montag in Berlin. Bauern, aber auch Lkw-Fahrer und Kleinbetriebe folgten massenhaft Rukwieds Aufruf. Letzte Woche gingen in Deutschland rund 100.000 Wanderer aus Protest auf die Straße. In der Nacht von Samstag auf Sonntag hört man in Berlin fast ununterbrochen das Hupen von Traktoren, die aus dem ganzen Land in die Hauptstadt kommen. Nach Angaben eines Polizeisprechers besetzten rund sechstausend Traktoren die Straßen im Umkreis von mehreren Kilometern um das Brandenburger Tor.

Die Forderungen der Demonstranten sind diffus, die Dieselsubvention ist mittlerweile nur noch ein Punkt unter vielen. Michael Schulz, ein energischer Mann in den Vierzigern, züchtet Schafe und Rinder in Niederfinow, etwa siebzig Kilometer nordöstlich von Berlin. Er ist der inoffizielle Anführer der Proteste in seiner Gegend und berät sich kooperativ mit der Polizei darüber, wo er seine Traktoren am besten parken kann, damit die Rettungskräfte durchkommen können. „Es geht nicht mehr nur um Dieselsubventionen“, sagt auch Schulz. „Es geht um alles, was uns genommen wurde. Landwirte werden nicht so schnell wütend. Und wir haben lange Zeit alles demütig hingenommen. Aber jetzt können wir keine Kompromisse mehr eingehen. Das Fass ist nicht übergelaufen, es ist explodiert.

Schulz spricht von hohen Preisen für Lebensmittel, Energie und Arbeit. Er rechnet aus, wie viel Zuschuss er erhält, was er für Miete, Versicherung, Strom und Diesel ausgibt, wie viele Lämmer seine 250 Schafe pro Jahr bekommen (im Schnitt 1,5) und was er für ein Kilo Lamm verdient (2,75 Euro). Es lohnt sich also nicht? Schulz lachte spöttisch. „Es lohnt sich nicht mehr, aber ich mache es mit Herz und Seele.“ Jeder Landwirt, den ich kenne, tut es, weil es seine Leidenschaft ist. Andernfalls hören Sie nach einem Jahr auf.

Unternehmen in Schwierigkeiten

Entsprechend Zahlen des Landwirtschaftsministeriums Haben sich die Landwirte in den letzten Jahren verbessert? Laut aktueller Berechnung stiegen die Einnahmen im Jahr 2021/2022 um 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Die Subventionen landwirtschaftlicher Betriebe in Deutschland machen durchschnittlich 45 Prozent des Gesamteinkommens aus. Aber in der Regel sind es die großen Unternehmen, die große Gewinne erzielen, während die kleinen Unternehmen es schwer haben. In den letzten 25 Jahren hat sich die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland auf 256.000 halbiert. Die aus Südbrandenburg nach Berlin gekommene Tierärztin Alexandra Leonhardt sagt: „Es gibt Schweinezüchter, Kleinbetriebe, die meine Rechnungen nicht bezahlen konnten.“ für Monate. »

Es sind die großen Agrarunternehmen, die große Gewinne machen, die kleinen Unternehmen haben es schwer

Leonhardt, eine junge Frau mit einem Nagel in der Lippe, steht vor dem Brandenburger Tor und buht Finanzminister Christian Lindner (FDP) aus. Lindner war am Montag der Einzige aus der Regierung, der sich an die Demonstranten wandte, doch er wurde gnadenlos ausgebuht. „Heuchler“ und „Lügner“ rufen die Menge. Er kommt den Demonstranten in Sachen Agrardiesel nicht entgegen, verspricht aber weniger Bürokratie und weniger Regulierung. Leonhardt winkt ab. „Leere Versprechungen.“

Als Lindner behauptet, dass wegen des Krieges in der Ukraine auch gespart werden müsse, bricht die Menge aus. Viele Demonstranten sind verärgert darüber, dass so viel Geld für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgegeben wird. (In Deutschland erhalten Landwirte jedes Jahr rund 2,4 Milliarden Euro an Subventionen aus Berlin und 6 Milliarden Euro aus Brüssel. Im vergangenen Jahr gab Deutschland rund 5,4 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Ukraine aus.) „Ja, die Hilfe für die Ukraine ist wichtig, aber die „Menge ist das Gift“, sagt Schulz. Sein Kollege Ronny Schumacher sagt: „Milliarden fließen in Projekte im Ausland.“ Es muss mehr Geld im Land bleiben.“ Auch Lutz aus Uelzen, der seinen Nachnamen nicht in der Zeitung veröffentlichen möchte, sagt: „Für unsere eigenen Leute ist nichts mehr übrig.“ »

Die AfD führt die Umfragen an

Für Schulz und seinen Kollegen Schumacher gibt es nur einen Ausweg: Die Scholz-Regierung muss gehen. Schulz: „Schlimmer kann es nicht sein. » Im Land Brandenburg, wohin sie heute kommen, finden im Herbst Wahlen statt. „Die AfD wird eine riesige Kraft in den ostdeutschen Bundesländern werden“, sagt Schumacher. „Die Ostdeutschen werden das nicht mehr hinnehmen.“ Neben Brandenburg finden auch in Sachsen und Thüringen Wahlen statt, und überall liegt die rechtsextreme AfD (Alternative für Deutschland) auf Platz eins der Umfragen.

Traditionell wählen die meisten Landwirte die CDU; Bei der Bundestagswahl der AfD 2021 haben relativ wenige gewählt. Die Partei will weniger Subventionen, mehr freie Märkte und darüber hinaus einen „Austritt“; Und ohne Subventionen aus Brüssel wird die Situation für viele Landwirte sehr prekär. Doch letzte Woche legte die AfD plötzlich einen Plan vor, der den Rabatt auf Diesel verdoppeln würde, statt ihn abzuschaffen. Lutz aus Uelzen: „Alle Politiker versuchen jetzt, von diesem Protest zu profitieren. Die CDU springt auf den Zug auf und die AfD nutzt ihn nur für sich.“

Die größte Interessengruppe, der Deutsche Bauernverband, sagte, Extremisten seien bei Bauernprotesten nicht willkommen. Viele Menschen marschieren mit Schildern mit der Aufschrift „Landwirtschaft ist bunt, nicht braun.“ Auch wenn es tatsächlich einige braune Symbole gibt, wie zum Beispiel die Flagge der „Landvolkbewegung“, einer militanten und nationalistischen Bauernbewegung der 1920er Jahre. Ein Journalist aus Tagesspiegel filmte einen Demonstranten, der den Hilter-Gruß zeigte.

Die Koalition aus SPD, Grünen und FDP ist schon jetzt äußerst unbeliebt, und anhaltende Bauernproteste werden der Oppositionspartei CDU/CSU und der Protestpartei schlechthin, der AfD, nur helfen. Wie lange wird die Demonstration dauern? Ein Mann mit grauem Bart und armeegrünem Outfit knurrt: „Wir gehen noch nicht.“ »




Adelbert Eichel

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