Künstler und Schriftsteller in Deutschland abgesagt: Kein Platz für pro-palästinensische Stimmen

Die Regierung in Berlin ist offen pro-israelisch, und wer auf das Leid auf palästinensischer Seite aufmerksam macht, wird schnell als „israelfeindlich“ oder gar antisemitisch abgestempelt. Viele Organisationen distanzieren sich von Kritik.

Die palästinensische Autorin Adania Shibli sollte im Oktober auf einer großen Buchmesse in Frankfurt eine Auszeichnung entgegennehmen. Wenige Tage vor der Zeremonie gab die Organisation bekannt, dass die Veranstaltung „wegen des Krieges“ nicht stattfinden werde.

Jeremy Corbyn

Auch der Literaturpreis der Stadt Bochum wird nicht verliehen. Die Gewinnerin, Sharon Dodua Otoo, sei der Organisation zufolge angeblich zu kritisch gegenüber Israel gewesen.

Vor einigen Wochen hat die Berliner Volksbühne eine Einladung an den britischen Politiker Jeremy Corbyn zurückgezogen. Corbyn, der als britischer Oppositionsführer regelmäßig seine Unterstützung für die Palästinenser zum Ausdruck brachte, wurde eingeladen, bei einer Konferenz im Theater zu sprechen. Doch wegen seiner „Haltung zum Nahen Osten“ sei er nicht mehr willkommen.

„Zu einseitig“

Manchmal ist für eine Annullierung nicht einmal eine pro-palästinensische Haltung erforderlich. Dem jungen Fotografen Raphael Malik wurde wenige Tage vor der Eröffnung seiner Ausstellung mit Fotografien des muslimischen Lebens in Berlin mitgeteilt, dass die Ausstellung nicht stattfinden werde.

Nach Angaben der Organisation vermittelt die Ausstellung ein „zu einseitiges Bild“ und wäre nur dann angemessen, wenn auch ein „Gegenteil“ Platz finden würde, etwa Fotos vom jüdischen Leben in Berlin. Inwieweit Muslime und Juden nach der Organisation der Ausstellung einen Gegenpol bilden, wurde nicht präzisiert.

Seit dem 7. Oktober, dem Tag des Hamas-Angriffs, der rund 1.200 israelische Opfer forderte, vertrat die Bundesregierung stets eine klare Position: bedingungslose Unterstützung für Israel. Nach mehr als anderthalb Monaten heftiger Bombenanschläge und 15.000 Toten in Gaza kritisieren nun Länder wie Frankreich, Spanien und die Niederlande die israelische Gewalt. Dies ist in Deutschland nicht der Fall.

Staatsräson

Bundespräsident Steinmeier bekräftigte letzte Woche bei einem Besuch in Israel, dass das Land seiner Meinung nach jedes Recht habe, sich zu verteidigen. Steinmeier hatte zuvor alle Menschen arabischer Herkunft in Deutschland aufgefordert, sich ausdrücklich vom Hamas-Terror zu distanzieren.

Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete die Sicherheit Israels in seiner ersten Rede nach dem Hamas-Anschlag als „Staatsräson“: Der Schutz Israels sei für die Existenz Deutschlands von grundlegender Bedeutung.

Darüber hinaus engagiert sich die deutsche Politik im Kampf gegen den Antisemitismus, der seit dem 7. Oktober auch in Deutschland ausgebrochen ist. Wer zu kritisch gegenüber Israel ist, erweckt in Deutschland schnell den Verdacht des Antisemitismus.

Kriegsgeschichte

Die Haltung der deutschen Politik lässt sich größtenteils mit der deutschen Vergangenheit erklären, meint der deutsche Korrespondent Jeroen Akkermans.

In Deutschland herrscht nach wie vor die feste Überzeugung, dass Deutschland wegen des Holocaust, der 6 Millionen Juden das Leben gekostet hat, dem jüdischen Volk und insbesondere Israel gegenüber etwas schuldet.

„Das Joch des vergangenen Krieges lastet schwer auf Deutschlands Schultern. Deutschland glaubt, dass es in keine andere Richtung gehen kann“, sagt Akkermans. „Jede Äußerung, die darauf hindeutet, das Existenzrecht Israels in Frage zu stellen, ist inakzeptabel. Deutschland nimmt in dieser Hinsicht tatsächlich eine Ausnahmestellung in Europa ein.“

Dass es in Deutschland tatsächlich Menschen gibt, die Israel kritisieren, sorgt für Spannungen und Unbehagen. Das Unbehagen wird noch deutlicher, wenn diese Kritik aus jüdischer Perspektive kommt.

Jüdischer Künstler

Die in Deutschland lebende und arbeitende südafrikanische Künstlerin Candice Breitz ist Jüdin. Sie verurteilte den Hamas-Angriff vom 7. Oktober scharf, kritisierte aber auch die israelische Gewalt in Gaza. Die Kritik führte dazu, dass ein Museum im süddeutschen Saarbrücken diese Woche beschloss, eine für Anfang nächsten Jahres geplante Ausstellung seiner Werke abzusagen.

Breitz reagierte verärgert. „In den meisten demokratischen Kulturen erhalten diejenigen, denen etwas vorgeworfen wird, die Möglichkeit, sich zu verteidigen, bevor sie verurteilt und ihrer Plattform beraubt werden“, sagte der Künstler. Das Kunstjournal. „Aber das aktuelle Klima in Deutschland ist so, dass viele Deutsche das Recht haben, jüdische Ansichten scharf zu verurteilen, wenn sie nicht mit ihren eigenen übereinstimmen.“

In einem Statement auf Instagram schreibt Breitz, dass es durchaus möglich sei, mehrere Positionen gleichzeitig zu bekleiden. „Es ist möglich, tiefes Mitgefühl für die Bürger Israels zu empfinden, die brutal angegriffen und ermordet wurden, aber gleichzeitig keinen Respekt vor Netanjahu und seinen zynischen Komplizen zu haben“, schreibt sie.

„Es ist auch möglich, den Wunsch der Palästinenser zu unterstützen, ihre Grundrechte und Menschenwürde zu genießen – einschließlich der Freiheit von jahrzehntelanger Unterdrückung – und gleichzeitig das schreckliche Blutbad vom 7. Oktober sowie die brutale Kontrolle, unter der die Hamas Zivilisten gefangen hält, vorbehaltlos zu verurteilen.“ im Gazastreifen. „.

Mehrere Vorträge des israelischen Professors Ilan Pappé, einem bekannten Kritiker der israelischen Regierung, stießen auch in Deutschland auf großen Widerstand. Die Stadt München, in der Pappé am vergangenen Montag sprach, versuchte, seine Konferenz zu verhindern, aus Angst vor antisemitischen Äußerungen während der Konferenz. Der Richter entschied, dass die Konferenz fortgesetzt werden könne.

Dies geschah schließlich, aber nicht bevor der Stadtrat Plakate im Raum aufhängte, auf denen er seine Unterstützung für Israel zum Ausdruck brachte und sein Bedauern darüber zum Ausdruck brachte, dass die Richterkonferenz fortgesetzt werden durfte.

Unorthodox

Die jüdische Schriftstellerin Deborah Feldman wuchs in der orthodoxen jüdischen Gemeinde New Yorks auf, verließ diese jedoch und zog 2014 nach Berlin. Über ihren Bruch mit der Gemeinde schrieb sie das Buch „Unorthodox“, das später in eine Erfolgsserie auf Netflix umgewandelt wurde.

Feldman hat sich in den letzten Wochen wiederholt gegen die israelische Regierung ausgesprochen. Diese Maßnahme stieß in Deutschland auf heftige Kritik.

In einem Artikel, der der britischen Zeitschrift vorgelegt wurde Der Wächter Feldman fragte sich: „Ist es überraschend, dass die deutschen Juden befürchten, dass die Besessenheit des Landes gegenüber Israel mehr mit der deutschen Psyche zu tun hat als mit ihrem eigenen Gefühl von Sicherheit und Zugehörigkeit?“

Wie auch immer, es sieht nicht so aus, als würde sich das politische Klima in Deutschland zu diesem Thema in absehbarer Zeit ändern. „Deutschland steht fest und unerschütterlich an der Seite Israels“, sagte Scholz in seiner ersten Rede nach dem Anschlag vom 7. Oktober.

Mariele Geissler

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