Das europäische Projekt ist ein Kompromissprojekt: ein kleines Zugeständnis auf der einen Seite, dann ein kleines Zugeständnis auf der anderen. Wirklich schwierig wird es erst, wenn zwei Länder eine grundsätzlich unterschiedliche Vision haben. Der am Sonntag beginnende Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Deutschland soll als Erinnerung daran dienen, worum es bei der deutsch-französischen Achse geht.
Kein überflüssiger Luxus, denn der französische Präsident Emmanuel Macron hat ein völlig anderes und stärkeres Bild von der europäischen Autonomie als der deutsche Kanzler Olaf Scholz. Berlin hat sich in den letzten Jahren in verschiedenen konkreten Projekten als deutlich weniger idealistisch als Paris erwiesen.
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Zum Beispiel die Verteidigung Europas, die wegen des Krieges in der Ukraine ganz oben auf der Prioritätenliste steht. Der französische Präsident ist unglücklich darüber, dass Deutschland, das 100 Milliarden Euro in die Verteidigung investieren will, innerhalb Europas praktisch kein Geld ausgibt. Teile der von Deutschland geführten European Sky Shield-Initiative, dem Raketenabwehrsystem, an dem insgesamt siebzehn europäische Länder beteiligt sind, stammen teilweise aus den USA und Israel.
„Was aus außereuropäischen Ländern kommt, ist nicht zu bewältigen“, beklagte Macron vor knapp zwei Wochen. Alternativ werden Frankreich und eine Handvoll anderer Länder Hunderte von Mistral-Boden-Luft-Raketen kaufen. Sie werden in Europa vom Rüstungskonzern MBDA hergestellt.
„Die deutschen Beamten haben das wahrscheinlich überhaupt nicht als Problem gesehen, als sie diese Ausschreibung in den USA starteten“, meint Annabelle Livet von der französischen Denkfabrik FRS. „Aber auf französischer Seite wurde es als Verrat empfunden. Dies zeigt, dass wir keine gemeinsame Vision und kein gemeinsames Projekt für die europäische Verteidigung haben.
Ist Kernenergie nachhaltig oder nicht?
Für Deutschland ist die Verteidigung traditionell etwas, das man mit den Amerikanern vereinbart. Natürlich will auch Berlin, dass Europa stärker wird, aber entgegen der französischen Auffassung spielt Washington dort eine wichtige Rolle. „Die Debatte über die europäische Souveränität ist für Deutschland schmerzhaft“, sagte Gesine Weber, Forscherin beim German Marshall Fund in Paris.
In der Verteidigungsfrage könnten Macron und Scholz noch einen Kompromiss finden. Bei anderen Themen wird es deutlich schwieriger. Beispielsweise haben beide Länder eine völlig unterschiedliche Vorstellung von den europäischen Finanzregeln. Frankreich will Flexibilität und Individualisierung, Deutschland will streng sein.
Und dann ist da noch das Thema saubere Energie. „Ein Drama“, sagt Livet. Deutschland weigert sich, Kernenergie als nachhaltig zu betrachten, während Frankreich 70 % seines Stroms aus Kernkraftwerken bezieht. Atomenergie bedeutet für Macron auch Autarkie. „Wir in Frankreich können die Energieversorgung auf unserem eigenen Territorium regulieren, mit unserem eigenen Wissen und unserer eigenen Energie“, sagt Livet.
Ich möchte zusammenarbeiten
Um all diese konkreten Themen werde es in den kommenden Tagen nicht gehen, erklärt das Elysée vor dem Besuch. Macron besucht zahlreiche deutsch-französische Projekte und hält am Montagnachmittag eine Rede, in der er über den „Wert der gemeinsamen Geschichte“ spricht. Es ist kein Zufall, dass er dies in Dresden im Osten Deutschlands tut. Laut Élysée solle gezeigt werden, „dass es nicht mehr West- und Osteuropa gibt, sondern einen echten Wunsch zur Zusammenarbeit“.
Diese Symbolik löst keine tiefen Meinungsverschiedenheiten. Es würde helfen, wenn Macron den Begriff „europäische Souveränität“ anstelle von „geostrategischer Autonomie“ verwenden würde, meint Weber. „Beim einen geht es um die Autonomie gegenüber den Vereinigten Staaten und beim anderen um ein souveräneres Europa. Das bedeutet dasselbe, klingt aber anders.“
Wenn alle Themen mit Worten gelöst werden könnten, dann wäre die Achse wieder geschmiert. Doch so leicht wird Macron dieses Mal nicht davonkommen.
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