Hans Magnus Enzensberger, „Deutschlands schnellster Denker“

Der legendäre deutsche Schriftsteller und Intellektuelle Hans Magnus Enzensberger ist Ende November gestorben. Ein Rückblick auf das Leben eines eleganten Stylisten.

Am 11. November 1929 wurde in Kaufbeuren, einer Stadt südwestlich von München, einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller und Intellektuellen geboren: Hans Magnus Enzensberger. Seine Karriere begann in Stuttgart, wo er nach seinem Literatur- und Philosophiestudium zunächst als Radioreporter und Essayist arbeitete. 1957 erschien im Suhrkamp Verlag der erste Gedichtband, Verteidigung des Wolfs, was ihm fast sofort breite Anerkennung einbrachte. 1963 erhielt er sehr jung den George Buchner-Preis, die höchste literarische Auszeichnung der Bundesrepublik. Nur der Dichter Durs Grünbein ahmte ihn nach.

Enzensberger hatte viele Saiten am Bogen. Er übersetzt Gedichte für den Suhrkamp-Verlag und wird Medienkritiker. Er hat stark gegeißelt Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): Die Zeitung sei seiner Meinung nach „keine unabhängige Einrichtung“, sondern „eine halbamtliche Institution“ mit paternalistischem Ton. Das F.A.Z Nachrichten vor seinen Lesern verbarg, die nicht seinem Zweck entsprachen. Er zeigte auch Der Spiegel Finger, weil seine Journalisten „alles hinterfragen außer sich selbst“. Die FAZ und Der Spiegel wären laut Enzensberger nur dann unverzichtbare Zeitschriften, wenn sie tatsächlich das täten, was sie vorgeben. Ironischerweise überfüllt Der Spiegel Vervollständigen Sie den Zeitschriftenaufsatz von Enzensberger.

Theorie der Verdammnis

Die Medien beschäftigen den Schriftsteller seit langem. Im Palaver (1973) enthalten einige naive Ansichten. Zum Beispiel glaubte er an eine Massenzeitung, die von Lesern geschrieben und verbreitet wurde. Ihm zufolge existierte die emanzipatorische Kraft der Medien überhaupt nicht. Fernsehen ist „Zero Media“, das die Menschen dümmer macht, so schien es. Aber das Ausnüchtern ist keine Katastrophe: Auf dem Sofa zu sitzen war immer besser als Aufhebens zu machen, zu stehlen oder in den Krieg zu ziehen.

In den 1960er Jahren wurde Enzensberger zum Star des Studentenlebens in West-Berlin. Die Atmosphäre der Wut und Rebellion seiner Gedichte verführt junge Menschen.

Später würde Enzensberger auf seine Fernsehkritik zurückkommen. Er zögerte nie, seine Ideen zu verfeinern – durch politische Brüder (1982) wies er auf die Gefahren einer konsequenten Haltung hin: Sie führe zu Taubheit, Blindheit und Erstarrung. Seine frühere „verdammende Theorie“ wurde daher revidiert. Doch obwohl der Fernseher laut Enzensberger durchaus positive Eigenschaften hat, wird der Bildschirm, das schwarze Quadrat im Wohnzimmer, nie an sein großes Vorbild heranreichen: den schwarzes Quadrat des russischen Konstruktivisten Kasimir Malewitsch.

Nazischeiße

In den 1950er Jahren kehrte Enzensberger der Bundesrepublik den Rücken. Er fand die damalige Bundesrepublik sehr „schwer, altbacken und reaktionär“. Nichts hat sich bewegt, Nazischeiße überall. Er brach nach Norwegen auf, bereiste die Welt und wartete darauf, dass die eingefrorene Bundesrepublik Lebenszeichen von sich gab. Die turbulenten Studentenproteste der 1960er Jahre überzeugten ihn. Enzensberger zog nach West-Berlin und wurde zum Star des Studentenlebens, obwohl er älter war als die meisten Studenten. Die Atmosphäre der Wut und Rebellion seiner Gedichte verführt junge Menschen. Der Autor wurde unwissentlich zu einer Autorität in der antiautoritären Bewegung. Im Aufruhr (2014) beschreibt Enzensberger seine Erinnerungen an diese Zeit.

Doch Enzensberger lag wie die Studenten falsch: Obwohl er wenig Sympathie für das sowjetische Modell hegte, fand er die chinesische Kulturrevolution „unverzichtbar und attraktiv“. Er ließ sich sogar für ein Jahr in Castros Kuba nieder, um die „Revolution“ genau zu verfolgen. Es wurde eine schwere Enttäuschung: Der Mythos des Kommunismus wurde schnell abgebaut. Auch die Revolution zu Hause in Westdeutschland erwies sich als eine sehr naive und romantische Idee.

Enzensberger gab seine verlorenen Träume von der Formbarkeit der Welt auf Untergang der Titanic: a Die Komödie (1978) – eine „Komödie“, da das „Schiff, das nicht sinken kann“ auf seiner ersten Fahrt sinkt. Es ist ein wunderschönes Gedicht in Versen über den Wahn und den Größenwahn des Menschen. Der Autor sitzt am Strand von Havanna, als er nachts unter klarem Himmel über dem karibischen Meer einen riesigen weißen Koloss sieht: „Dort sah ich den Eisberg / Unerhört hoch und kalt / Wie eine Fata Morgana kalt / Er schwebte langsam, unwiderruflich / weiß, zu mir.‘

Migration

In den letzten Jahrzehnten seines Lebens analysierte Enzensberger die Paradoxien, in denen sich der Westen – und damit auch er selbst – befand. Bereits 1992 schrieb er über das Problem der Migration. Im Die Große Wanderung lesen Sie Sätze wie „Wo die Konten korrekt sind, verschwindet die Fremdenfeindlichkeit auf wundersame Weise“. Die damalige intellektuelle Elite der Dritten Welt fand leichten Zugang zum Westen, schreibt er. Im Gegenzug schickte Europa eine Reihe von Entwicklungshelfern.

Dennoch müsse man aufpassen, Einwanderer nicht zu idealisieren, sagt Enzensberger. Er plädierte für einen gesunden und notwendigen Realismus, in dem die Schwierigkeiten der multikulturellen Gesellschaft – seiner Meinung nach „ein verwirrendes Schlagwort“ – nicht unter den Teppich gekehrt werden. Migranten haben wie alle anderen Rechte, aber auch Pflichten.

„Er war der schnellste Denker, den ich je getroffen habe“, schrieb Redakteur Michaël Krüger zu Enzensbergers Tod.

Er war ein Liebhaber von Europa und beschrieb den Kontinent in Berichten wie Ach, Europa. Wahrnehmungen aus sieben Ländern (1987). Er glaubte, dass Europa viele Möglichkeiten habe und neben den Weltmächten eine wichtige Rolle spielen könne. Doch 2011 wirkte er in der Broschüre eher mit dem Kontinent beschäftigt Sanftes Monster Brüssel oder die Entmündigung Europas. Er bezeichnete Europa als Konstruktion mit demokratischem Defizit und bezog sich dabei unter anderem auf Hannah Arendt.

1975 äußerte Arendt seine Befürchtung, dass Regierungsformen zu Bürokratien werden, in denen nicht Gesetze oder Menschen, sondern „anonyme Behörden oder Computer“ eine entpersönlichte Form der Macht ausüben. Enzensberger nannte es politische Enteignung. Und warum haben die europäischen Staats- und Regierungschefs jedes Mal Angst, wenn es ein Referendum gibt? Eine bürokratische Staatsform führe zu Gleichgültigkeit und „Zynismus, Verachtung der politischen Klasse oder kollektiver Depression“. Schlechte Aussichten, sagt Enzensberger. Der Brexit stand damals kurz bevor.

Agnost

„Er war der schnellste Denker, der mir je begegnet ist“, schrieb Redakteur Michael Krüger zu Enzensbergers Tod in der F.A.Z. Auch er musste sehr schnell arbeiten: Er schrieb Essays für verschiedene Zeitungen, er schrieb Romane und Gedichte, seine große Liebe. Und er schrieb Theaterstücke und Kinderbücher wie z Der Teufel, der zähltdas vielfach übersetzt und auch von unzähligen Erwachsenen gelesen wurde.

Er sammelte unter anderem die von ihm übersetzten Gedichte Museum für moderne Poesie. 1965 gründete er das legendäre in Deutschland Kursbuch op, ein politisch-kulturelles Magazin, das die öffentliche Debatte in den 1960er und frühen 1970er Jahren stark beeinflusste, und er war der Begründer der renommierten Buchreihe Die andere Bibliothek wo Klangbücher erschienen sind (und erscheinen), die ohne ihn unbekannt geblieben wären.

Vor nicht allzu langer Zeit sprach Enzensberger mit einem ZDFJournalistin über den Tod. Sterben war „schwer und interessant genug“, um darüber nachzudenken, dachte er. Du kannst dem Tod nicht entkommen. Aber den Himmel oder irgendeine Form der Reinkarnation zu suchen, war nichts für ihn. Dafür muss man religiös sein. Wobei Enzensberger kein Atheist war. Atheisten sind davon überzeugt, dass es keinen Gott gibt. ‚Wie kannst du das wissen? Ich bin Agnostiker“, sagte er.

Im Untergang der Titanic Er beschrieb was man als Mensch verlieren kann. Du kannst deinen Vater und deine Mutter verlieren. Du kannst deine Haare verlieren, deine Selbstbeherrschung, deine kostbare Zeit, deine Unschuld, und wo ist überhaupt der Hausschlüssel? Sie können Ihren Verstand verlieren, Ihren Verstand, Ihren Führerschein, Ihr Herz … und Ihr Leben. Hans Magnus Enzensberger starb am 24. November in München. Er wurde 93.

Lorelei Schwarz

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