Henry Kissinger, John Kerry, Janet Yellen. Nicht zuletzt (ehemalige) amerikanische Würdenträger haben China in den letzten Wochen besucht. Und eines hatten sie gemeinsam: Keiner von ihnen traf Qin Gang, den chinesischen Außenminister und ehemaligen Botschafter in den Vereinigten Staaten. Er ist nun seit fast einem Monat vom Radar verschwunden.
Und es blieb nicht unbemerkt. Vor allem nicht, nachdem ein Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Peking Anfang Juli plötzlich abgesagt wurde. Dort sollte er Qin treffen. Und letzte Woche fehlte er auch beim Gipfeltreffen der Außenminister der ASEAN-Staaten, einem Zusammenschluss südostasiatischer Staaten. An seine Stelle trat Chinas Spitzendiplomat Wang Yi, der in der Hierarchie über Qin steht.
Als Reporter fragten, warum Qin nicht da sei, nannte ein Sprecher seines Ministeriums „gesundheitliche Probleme“ als Grund. Letzten Montag – während Kerrys Besuch in Peking – kam das Thema erneut zur Sprache. Dann sagte die Sprecherin plötzlich, sie habe „keine Informationen“ zu dem Thema. Auffällig auch: Chinesische Beiträge über Qin in sozialen Medien wurden kürzlich zensiert.
Das letzte Mal, dass Qin in der Öffentlichkeit gesehen wurde, war am 25. Juni. Anschließend traf er sich mit seinem russischen Amtskollegen Andrej Rudenko. Es war ein paar Tage nach dem Wagner-Aufstand in Russland. Die Fotos zeigen einen lächelnden Qin. Anschließend traf er sich auch mit seinen Kollegen aus Sri Lanka und Vietnam.
Berufsdiplomat
Doch seit diesem Tag fehlt jede Spur von dem Vertrauten von Präsident Xi Jinping. Und es ist bemerkenswert für den 57-jährigen Berufsdiplomaten, der es sich nicht nehmen ließ, sich zu profilieren. Seit seinem Debüt im chinesischen Außenministerium im Jahr 1992 ist auch er in den Führungsetagen rasant aufgestiegen. Weniger als drei Jahre später wurde er bereits in das Vereinigte Königreich geschickt (bis 1999). Ein Ort, den er in den folgenden Jahren noch zweimal besuchen wird: von 2002 bis 2005 und von 2010 bis 2011.
Als er zum zweiten Mal Sprecher wurde, fing er an, in der breiten Öffentlichkeit wirklich aufzufallen. Eine seiner berühmtesten Äußerungen stammt aus dem Jahr 2014. Der damalige Präsident Barack Obama sagte damals, dass Amerika auch im nächsten Jahrhundert weltweit führend sein werde. Qin verwies dann auf den Oktopus Paul, der alle Ergebnisse von Deutschland und dem Finale Spanien-Niederlande bei der FIFA-Weltmeisterschaft 2010 richtig vorhergesagt hatte. „Es muss großartig sein, der Boss der Welt zu sein. Ich weiß nicht, ob es einen Oktopus Paul gibt, der die Zukunft der internationalen Angelegenheiten vorhersagen kann. Aber China ist seit mehr als einem Jahrhundert der große Boss. Der Kommentar ist in China viral gegangen.“
Damals biss China ohnehin am meisten. Die chinesische Wirtschaft hatte sich aufgrund der Wirtschaftskrise 2008 etwas verlangsamt, erholte sich dann aber rasch. Dabei sind die Folgen für die Volkswirtschaften Europas und Amerikas schon seit langem absehbar. Diese schnelle wirtschaftliche Erholung hat auch in China ein neues Bewusstsein geschaffen. Ein Bewusstsein, in dem der Nationalismus immer wichtiger wird.
Vertrauter von Xi
Und so wurde Qins Offenheit von Xi Jinping und seinen Mitarbeitern positiv aufgenommen. Er wurde zum „Protokollchef“ befördert und war damit für die Organisation von Xis Auslandsreisen verantwortlich. Dadurch konnte er auch viel Zeit mit dem chinesischen Präsidenten verbringen. Dies könnte erklären, warum Qin im Jahr 2021 plötzlich Chinas Botschafter in Amerika wurde. Ein wichtiger Posten, so spürbar war die zunehmende Spannung zwischen den beiden Weltmächten. Weniger als ein Jahr später wurde er Außenminister.
So traf er sich mit Wopke Hoekstra, um über die Ukraine und ASML zu sprechen, aber beispielsweise auch über Antony Blinken. Von diesem Treffen hatte man im Vorfeld wenig erwartet, aber es brachte nach Monaten frostiger Verhandlungen dennoch eine gewisse Erleichterung. Grund war der angebliche chinesische Spionageballon, der im Februar über dem US-Luftraum schwebte.
Nach diesem Treffen zwischen Blinken einerseits und Qin und Xi andererseits wurde die Atmosphäre etwas freundlicher. Xi schrieb, dass „beide Seiten Fortschritte gemacht haben“ und die Welt eine „stabile Beziehung“ zwischen den beiden Ländern brauche. Dennoch war nicht alles ruhig und friedlich. Während des Treffens bekräftigte Qin, dass Amerika dringend „aufhören sollte, sich in die inneren Angelegenheiten Chinas einzumischen“, beispielsweise in die Taiwan-Frage.
Eine Woche später traf Qin Rudenko und so gibt es seit dieser Begegnung keine Spur mehr von Qin. Wie so oft in China gibt es viele Gerüchte, aber wenig Klarheit. Es gibt beispielsweise Gerüchte, dass er wegen einer außerehelichen Affäre pausieren musste. Oder wäre er aus unbekannten Gründen bei Xi in Ungnade gefallen?
geheimnisvolles Schicksal
In diesem Fall könnte ihr ein ähnliches Schicksal wie Meng Hongwei bevorstehen. Der ehemalige Chef von Interpol verschwand im September 2018 während seines China-Besuchs auf mysteriöse Weise. Vor dieser Position war er viele Jahre lang führend in der Kommunistischen Partei. Eine Woche nach seinem Verschwinden wurde Meng von chinesischen Behörden festgenommen und wegen Korruption angeklagt. Am Ende war er 13,5 Jahre alt.
Es kann auch anders enden. Beispielsweise verschwand Xi Jinping selbst für zwei Wochen, kurz bevor er 2012 zum Parteivorsitzenden gewählt wurde. Dieses Verschwinden weist viele Ähnlichkeiten mit Qins Verschwinden auf. Ebenso wurden „gesundheitliche Probleme“ als Grund für Xis Abwesenheit genannt. Xis Name wurde im chinesischen Internet gesperrt, um das Gerücht einzudämmen. Und genau wie jetzt wurden Treffen mit ausländischen Würdenträgern plötzlich abgesagt.
Nach zwei Wochen tauchte Xis Name plötzlich wieder auf. Ein politischer Kommentator verkündete daraufhin im Namen seiner Familie, dass Xi sich von seinen „gesundheitlichen Problemen“ gut erhole. Was genau vor sich ging, war nie klar.
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