Wie „Russland“ die deutsche Politik spaltet

An diesem Dienstag trifft sich die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit ihrem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Moskau. Nach Gesprächen in der vergangenen Woche zwischen Lawrows Stellvertreter und seinem US-Amtskollegen in Genf sowie zwischen einer russischen Delegation und Nato-Vertretern in Brüssel ist Baerbocks Besuch ein weiterer Versuch, die Ost-West-Beziehungen aufzutauen. Doch schon vor der Ankunft in Moskau ist klar, dass die Meinungsverschiedenheiten in Berlin über das Vorgehen gegen Russland die Position von Baerbock schwächen.

Am Montag besuchte Baerbock den ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba in Kiew. Dort sagte Baerbock, kein Land habe sie seit ihrem Amtsantritt Anfang Dezember so beschäftigt wie die Ukraine; Russland hat seit Anfang Dezember rund 100.000 Soldaten und schweres Gerät an der ukrainischen Grenze aufgestellt.

Vor dem Besuch hatte der ukrainische Botschafter in Berlin Baerbock und Deutschland gebeten, Verteidigungswaffen bereitzustellen. Baerbock lehnte diesen Antrag mit Verweis auf die deutsche Geschichte ab.

„Die territoriale Integrität der Ukraine steht für uns und für mich persönlich nicht in Frage“, sagte Baerbock in Kiew. „Die neue Aggression, das haben wir immer betont, hat einen hohen Preis.“ Die Schwierigkeit für Baerbock besteht darin, dass es innerhalb der deutschen Koalition keine Einigung darüber gibt, wie hoch dieser Preis sein soll.

In der im Dezember vereidigten Regierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht Scholz‘ SPD den Grünen von Minister Baerbock bei der offensichtlichsten Sanktion, die Deutschland verhängen könnte, wenn es in die Ukraine einmarschiert, diametral gegenüber. Die SPD hält an der umstrittenen Gaspipeline Nord Stream 2 fest, die russisches Gas über den Grund der Ostsee direkt an die mecklenburgische Küste transportiert. Der frühere SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, heute Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Ölkonzerns Rosneft, unterzeichnete 2005 mit Wladimir Putin den Vertrag über die erste Pipeline und wurde später Architekt der zweiten.

Nord Stream 2 ist jetzt fertig gebaut. Die Inbetriebnahme unterliegt noch der rechtlichen Prüfung durch die nationale Stromnetzagentur. Mitte Dezember bat der lettische Ministerpräsident Krisjan Karins Scholz in Brüssel, das Inkrafttreten von Nord Stream 2 in das mögliche Sanktionspaket aufzunehmen. Scholz nannte das Vorhaben daraufhin „privatwirtschaftliche Absicht“ und den Test der Netzagentur „völlig unpolitisch“.

Baerbock und die Grünen sehen das von vornherein anders. Neben dem klimatischen Aspekt – das Gas muss vierzig Jahre in der Gasleitung zirkulieren, um rentabel zu sein, und in vierzig Jahren wollen die Grünen das Gas für lange Zeit los sein – sind die Grünen aber auch der dritte Partner der FDP Koalitionspunkt, um auf den geopolitischen Aspekt der Gaspipeline hinzuweisen. Wenn das Gas über Nord Stream 2 nach Europa gelangen kann, muss Russland keine Transportkosten mehr in die Ukraine zahlen und die Gasversorgung beispielsweise in die Ukraine kann leicht unterbrochen werden. Zudem sagen osteuropäische Regierungschefs, Russland müsse bei einem Angriff auf die Ukraine die dortige Gasinfrastruktur nicht mehr berücksichtigen und erhebliche Exporteinnahmen würden nicht gefährdet.

Viele Sozialdemokraten glauben nicht, dass es so schnell gehen wird. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), die in der Partei als großes Versprechen gilt, nannte Russland einen „verlässlichen Partner“. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, der sich als Hüter der sozialdemokratischen Werte sieht, sagte vergangene Woche, „wir reden über internationale Konflikte“, nur um das Projekt Nord Stream 2 zu begraben den letzten Tagen.

Außerdem hat Russland von Berlin wenig zu befürchten. Friedrich Merz, der am kommenden Wochenende zum neuen CDU-Vorsitzenden gewählt wird, sagte am Sonntag in einem Interview, dass der Ausschluss Russlands aus dem internationalen SWIFT-Bankensystem eine „Atombombe“ unter den „Finanzmärkten“ sein könnte. Eine solche Sanktion würde dem Exportland Deutschland zu sehr schaden, so Merz. Die deutsche Zeitung FAZI stellte trocken fest, dass nach der Krim-Annexion, als auch über den Ausschluss von SWIFT nachgedacht wurde, der Chef der russischen Staatsbank auch von einer „finanziellen Atombombe“ gesprochen habe.

Baerbock betonte am Montag in Kiew, dass „wir nicht über die Ukraine ohne die Ukraine reden“. Außer natürlich, dass letzte Woche zwei von drei Gesprächen mit Russland ohne die Ukraine stattfanden. Für Russland sind die Vereinigten Staaten der wichtigste Gesprächspartner. Baerbock will am Dienstag auch die Normandie-Gespräche wiederbeleben: Gespräche zwischen Frankreich, Deutschland, Russland und der Ukraine. Neben dem Wohlwollen Moskaus wird ein klarer Kurs aus Berlin unabdingbar sein.

Seite 15: Der innere Kampf der Ukraine

Adelbert Eichel

"Preisgekrönter Organisator. Social-Media-Enthusiast. TV-Fan. Amateur-Internet-Evangelist. Kaffee-Fan."

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert