Treuhand: „Unternehmenskommunismus beseitigen“

Am Abend des 1. April 1991 fielen in einer Düsseldorfer Villa drei Schüsse. Die Kugeln schlugen durch ein Fenster im Erdgeschoss ein und trafen Detlev Rohwedder, der es geschafft hatte, seine eigene Firma Hoesch zu sanieren und deshalb zum Leiter der Treuhandanstalt ernannt wurde. Er starb sofort in seinem Büro.

Der Mord bleibt immer noch ein Rätsel. Die deutsche Dokumentarserie ‚Rohwedder: Einigkeit und Mord et Freiheit‚ – verfügbar auf Netflix – erkundet verschiedene Szenarien. War es das Werk der linken Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF)? War es der Geheimdienst der DDR, die Stasi, oder steckte sogar eine westdeutsche Verschwörung dahinter? Zu den Rednern zählen Polizei- und Sicherheitsbeamte, die an den Mordermittlungen beteiligt waren, ehemalige RAF-Mitglieder und ehemalige Stasi-Mitarbeiter.

Wer Rohwedder getötet hat, bleibt ein Rätsel. Doch die Serie zeigt deutlich, wie groß der Hass gegen die Treuhand – wie die Organisation gemeinhin genannt wurde – war. Dazu trug die Art und Weise bei, wie westdeutsche Staats- und Regierungschefs über die ostdeutsche Wirtschaft sprachen. So müsse die Treuhand laut Rohwedder „den Kommunismus aus dem Geschäft vertreiben“.

„Die größte Zerstörung der Produktionskapazität in Friedenszeiten“

Die Treuhandanstalt sei eine der umstrittensten Organisationen in der deutschen Geschichte, schlussfolgert der Historiker Marcus Boïck. Er verfasste eine lange Studie – „Die Treuhand, Idee, Praxis, Erfahrung 1990-1994“ (2020) – über die Organisation, die ostdeutsche Staatsunternehmen an die Marktwirtschaft des vereinten Deutschlands anpassen sollte. Zwischen 1990 und 1994 privatisierte Treuhand Von den rund 12.000 ostdeutschen Unternehmen wurden mehr als 7.800 Unternehmen liquidiert. Dies hat zu einer hohen Arbeitslosigkeit geführt neue Staaten: Von den mehr als 4 Millionen Arbeitsplätzen in der Treuhandanstalt in Ostdeutschland im Jahr 1990 waren Ende 1994 nur noch 1,5 Millionen übrig. Die Gesamtverschuldung der Treuhandanstalt wurde bei der Auflösung der Treuhandanstalt Ende 1994 auf 260 bis 270 Milliarden Deutsche Mark geschätzt .

„Die Treuhand wurde zum Symbol für alles, was im Osten falsch war“

„Die größte Zerstörung der Produktionskapazitäten in Friedenszeiten“, beschreibt Christa Luft von der Treuhand-Arbeit in der ZDF-Dokumentation „Das Treuhand-Erbe» (2020). Luft war nach der Wende mehrere Monate lang DDR-Wirtschaftsminister. Während Befürworter der Treuhand glauben, sie habe das Beste aus der schwächelnden DDR-Wirtschaft gemacht und von „notwendigem Krisenmanagement“ sprechen, bleiben die Gegner verärgert und frustriert. Sie sehen in der Treuhand einen Tiefpunkt der neoliberalen Politik, auch des Kolonialismus: Alles, was nicht dem kapitalistischen Bild entsprach, wurde unterdrückt. Was dies für Menschen bedeutet, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, ist klar geworden Treuhandler Es spielt keine Rolle, heißt es in der ZDF-Dokumentation.

Die Treuhand sei zum Symbol für alles geworden, was im Osten falsch lief, erklärt der Historiker Boïck in seinem Buch. Die Organisation war mächtig und entschied, welche Geschäfte geschlossen werden sollten. Es sei eine so gewaltige Aufgabe gewesen, dass sie mit Misserfolgen einhergehen müsse, glaubt Boïck: „Für viele Ostdeutsche, die auf ein Wirtschaftswunder hofften, war es die Treuhand, die diese Hoffnung zerstörte“, sagte Boïck in einem Interview Das Wetter.

Marktwirtschaft nach westdeutschem Vorbild

Bemerkenswert ist, dass die Idee zu einer solchen Organisation aus der Bürgerrechtsbewegung der DDR stammt. Sie wollten eine Organisation, die das tut traurig (als Treuhänder oder Konkursverwalter) würde handeln und ostdeutsche Industrieanlagen retten. Zu diesem frühen Zeitpunkt gab es noch die Idee einer Art Volksaktion, mit der Ostdeutsche Miteigentümer der Unternehmen wurden. Doch als die Treuhandanstalt kurz darauf offiziell gegründet wurde, war einiges los Volksaktien das ist nicht mehr der Fall.


Netflix-Trailer zu „Rohwedder“

Schnell wurde klar, dass es aus der Pleite der DDR-Wirtschaft wenig zu retten gab und die Pläne angepasst werden mussten. Die „Anstalt zur treuhänderischen Verwaltung des Volkseigentums“, wie die Treuhand offiziell hieß, hatte den Auftrag, gegen DDR-Unternehmen zu ermitteln Die eigene Heimat des Volkes (VEB), zu sanieren, zu privatisieren und gegebenenfalls zu liquidieren. Die Organisation sollte die ostdeutsche Planwirtschaft in eine Marktwirtschaft nach westdeutschem Vorbild umwandeln.

DER Treuhandler standen vor einer besonders schwierigen Aufgabe. Beispielsweise verfügten sie zu Beginn ihrer Arbeit nicht einmal über eine vollständige Liste der DDR-Unternehmen, wie die ZDF-Dokumentation zeigt. Es gab auch keine Kriterien zur Bestimmung des Unternehmenswertes. Sie mussten viele Dinge selbst herausfinden. Im „ostdeutschen Laboratorium“, in dem eine Marktwirtschaft entstehen sollte, habe es weder Handbücher noch qualifiziertes Personal gegeben, resümiert Böick in seinem Buch.

Verraten

Viele ostdeutsche Unternehmen mussten Geld investieren, beispielsweise in die Produktion des ostdeutschen Luxusautos Wartburg, wie es in der ZDF-Serie „Das Erbe der Treuhand“ gezeigt wird. In der DDR musste man 20 Jahre auf ein solches Auto warten, aber als man nach der Wende zum gleichen Preis einen gebrauchten BMW kaufen konnte, brauchte man das Produkt nicht mehr. Als zudem im Juli 1990 die Währungsunion eingeführt wurde und ostdeutsche Produkte in D-Mark bezahlt werden mussten, verschwand die Nachfrage aus Osteuropa.

Schnell wurde klar, dass viele ostdeutsche Unternehmen ihre Türen schließen mussten. Dies war zum großen Schock der Mitarbeiter. Sie fühlten sich betrogen. Einige glaubten, dass Westdeutschland durch die Treuhandanstalt unerwünschte Konkurrenz aus dem Osten ausschalte, so Böick.

Die Bonner Regierung nutzte die Treuhand gezielt als Blitzableiter

Für viele Ostdeutsche sei die Treuhand schnell zu einem westdeutschen Eliteverein geworden, sagt der Historiker, obwohl ein Großteil der Mitarbeiter aus Ostdeutschland stammte. Aber die Führung war fast ausschließlich westdeutsch. Darüber hinaus gelang es den Ostdeutschen fast nie, die BEVs zu übernehmen: Ihnen fehlte das Geld und oft auch das Wissen, um in einer Marktwirtschaft ein Unternehmen zu führen. Letztlich gelangte der überwiegende Teil in die Hände westdeutscher Unternehmen und Investoren.

Kurz nach der Wiedervereinigung gingen Menschen in Ostdeutschland auf die Straße, um gegen die Treuhand zu protestieren. Sie verglichen die Organisation mit der Stasi, dem kriminellen Geheimdienst der DDR. Treuhand-Mitarbeitern wurde der Zugang zu Betrieben verweigert und in Bischofferode (Thüringen) traten Arbeiter eines Kalibergwerks sogar in einen 81-tägigen Hungerstreik. Die Treuhand meldete sich beim Finanzministerium, doch die Wut der Bevölkerung richtete sich nicht gegen die Regierung in Bonn. Die Treuhand habe ihn gezielt als Blitzableiter eingesetzt, schreibt Böick.

Korruption und Vetternwirtschaft

Dass die Treuhand einen so schlechten Ruf erhielt, sei nicht in allen Fällen gerechtfertigt, meint der Historiker, und das zeige auch die ZDF-Dokumentation. Im sächsischen Großdubrau wird noch heute angenommen, dass die Treuhand ihre Elektroporzellanfabrik zerstörte und die Maschinen in den Westen transportierte. Tatsächlich entschied die ostdeutsche Unternehmensleitung selbst, dass die Maschinen an das zweite Werk in Thüringen geschickt werden sollten, das die Produktion aus Sachsen übernahm. Die Maschinen blieben also tatsächlich im Osten. Doch das haben viele Großdubrauer Mitarbeiter vermisst. Sie mussten 1995 mitansehen, wie ihre Fabrik explodierte und nichts anderes an ihre Stelle trat.

Ein westdeutscher Unternehmer investierte nicht in die von ihm gekauften Unternehmen, wie er es tun musste, sondern saugte das gesamte Vermögen auf

Dennoch gab es innerhalb der Treuhand durchaus Korruption und Vetternwirtschaft, und Unternehmen verkauften bewusst deutlich unter ihrem Wert. In Halle nahm ein Treuhand-Direktor ein Bestechungsgeld von einem baden-württembergischen Unternehmer an, der mehr als 20 ostdeutsche Unternehmen aufgekauft hatte. Der Unternehmer investierte nicht in die Unternehmen, wozu er aufgrund der Auflagen verpflichtet war, sondern saugte das gesamte Vermögen auf. Dadurch füllte er die Engpässe anderer Unternehmen, die er hatte. Ostdeutsche Arbeiter waren auf der Straße. Der Unternehmer und Geschäftsführer der Treuhand wurde zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Treuhand-Abteilung, die Korruption untersuchte, untersuchte insgesamt 3.700 Fälle. berichtet das ZDF. In 1.500 Fällen führte dies zu einem Gerichtsverfahren, das letztlich in rund zwanzig Fällen zu einer Verurteilung führte.

„Tiefe Risse und Konflikte“

Die Treuhand habe „tiefe Spaltungen und Konflikte verursacht“, resümiert Böick im Interview mit Der Spiegel fasst in prägnanten Worten zusammen, was er in seiner wissenschaftlichen Studie schreibt. Sie sind immer da und das führt dazu, dass sich die Menschen von „denen oben“ betrogen fühlen.

Dreißig Jahre nach dem Fall der Mauer, im Jahr 2019, kam es in Deutschland zu einer Debatte darüber, ob eine parlamentarische Untersuchung gegen die Treuhand eingeleitet werden sollte oder nicht. Dafür scheint es zu wenig politische Begeisterung zu geben. Die Frage sei laut Böick auch, ob eine solche Studie sinnvoll sei. Dies werde schnell zu einem politischen Kampf führen, in dem Skandale und politische Schuld im Mittelpunkt stehen würden, glaubt er. Darum geht es nicht. „Wir müssen auch akzeptieren, dass unsere jüngste Geschichte von etwas geprägt ist, das weder schwarz noch weiß ist. »

Poldie Hall

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