Sollte die Wehrpflicht nach Deutschland zurückkehren? Die Debatte entbrennt

Unter dem Motto „Gemeinsam stärker“ führt die Bundeswehr im nächsten Jahr ihre größte Übung seit dem Ende des Kalten Krieges durch. Gemeinsam mit Truppen von Nato-Verbündeten müssen deutsche Soldaten einen imaginären Angriff aus dem Osten verzögern. Gleichzeitig müssen sie den per Flugzeug eintreffenden amerikanischen Verstärkungen mit schwerem Gerät dabei helfen, über Deutschland ins Schlachtfeld zu gelangen.

Aber bei der Planung der Übung – angerufen Quadriga 2024 – Deutsche Offiziere stehen vor einem peinlichen Problem. Es scheint, dass die Bundeswehr für solch wichtige Manöver zu wenige Lkw-Fahrer hat.

Gibt es genügend Lkw-Fahrer?

Während des Kalten Krieges konnten in einem solchen Fall Reservisten mobilisiert werden, die Wehrpflicht wurde jedoch abgeschafft. Daher müssen Militärplaner nun schwierige Verhandlungen mit privaten Luftfahrtunternehmen führen, wobei alle möglichen Komplikationen drohen. Denn gibt es noch genügend deutsche Lkw-Fahrer? Und sollte ein Fahrer, der im Krieg Panzer und gepanzerte Fahrzeuge an die Front transportiert, einen deutschen Pass haben?

Es sind diese schmerzhaften Schwierigkeiten, die in Deutschland die Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht befeuern. „Ohne ausreichend Personal für Armee und Einsatzkräfte sind wir auf Krisen und Kriege nicht vorbereitet“, warnte Johann Wadephul, Vorsitzender der christdemokratischen Oppositionspartei CDU. Süddeutsche Zeitung.

Eine „Zeitenwende“, ein Wendepunkt

Die Wehrpflicht wurde in Deutschland im Jahr 2011 auf unbestimmte Zeit ausgesetzt, was in der Praxis einer Abschaffung gleichkam. Es handelte sich hauptsächlich um eine Reduzierung. Man glaubte auch, dass Streitkräfte zur Grenzsicherung nicht mehr nötig seien und dass Deutschland mit einer kleineren, leistungsfähigeren Berufsarmee auskommen könne. Die Zahl der deutschen Truppen ist in den letzten zwei Jahrzehnten von rund 317.000 auf rund 183.000 gesunken, ein Rückgang um mehr als 40 Prozent.

Doch kurz nach der russischen Invasion in der Ukraine Anfang letzten Jahres hielt Bundeskanzler Olaf Scholz eine historische Rede vor dem Berliner Bundestag. Die Kanzlerin sprach von einem „„Zeitenwende“ein Wendepunkt in der Geschichte und die Notwendigkeit, die Streitkräfte erheblich zu stärken.

Kriegsbereit

Seine Regierung hat die Verteidigungsausgaben deutlich erhöht und einen Sonderfonds in Höhe von 100 Milliarden Euro für den Kauf von Ausrüstung eingerichtet, darunter Panzer, Kampfjets und Flugabwehrsysteme. Gleichzeitig soll die Bundeswehr ihr Personal von 183.000 auf 203.000 Mann aufstocken. Die Bundeswehr ist – nach den Worten von Verteidigungsminister Boris Pistorius – wieder im Einsatz kritisch kriegstauglich werden. Auch die Bundeswehr hofft, mehr Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund rekrutieren zu können.

Aber die Rekrutierung ist schwierig. Und die Generäle sind zunehmend davon überzeugt, dass eine wirksame Abschreckung und Verteidigung tatsächlich viel mehr Truppen und einen großen Reservistenpool erfordert. Die Debatte über die Wehrpflicht wird daher immer intensiver.

Keine Tabus

Verteidigungsminister Pistorius, der der sozialdemokratischen SPD angehört, sagte kurz nach seinem Amtsantritt Anfang des Jahres, die damalige Abschaffung der Wehrpflicht sei „ein Fehler“ gewesen. Und sein Personalstaatssekretär Nils Hilmer sagte kürzlich, dass bei anhaltendem Truppenmangel eine Wehrpflicht als Option angeboten werden sollte. „Wir sind jetzt an einem kritischen Punkt“, sagte er. „Es sollte keine Tabus geben, wenn man über Lösungen nachdenkt, wenn sie umsetzbar sind. »

Nach Ansicht ihrer Befürworter kann die Wehrpflicht auch zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen, indem sie junge Menschen mit anderen Gruppen in Kontakt bringt. Deshalb hat sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier immer wieder für einen umfassenden Sozialdienst ausgesprochen, bei dem junge Menschen beispielsweise auch in Krankenhäusern oder Altenheimen dienen könnten. Während des Kalten Krieges entschieden sich viele Deutsche dafür Zivildienst.

Auch die CDU/Christdemokraten, die größte Oppositionspartei, sehen in der einigenden Kraft des Dienstes einen schönen Zusatznutzen. „Die einjährige Sozialdienstpflicht für Männer und Frauen muss Teil des Modernisierungsprogramms unseres Landes sein“, sagte CDU-Abgeordneter Wadephul kürzlich der Nachrichtenagentur DPA.

Eine Mehrheit der Deutschen ist dafür

Für die Bundeswehr wäre die Wiedereinführung der Wehrpflicht eine echte Herausforderung. Denn von der alten Infrastruktur für Wehrpflichtige ist nur noch wenig übrig. Hier und da im Land sollten wieder Testzentren entstehen, Kasernen ausgebaut und Ausbilder ausgebildet werden.

Meinungsumfragen zeigen, dass eine Mehrheit der Deutschen die Wiedereinführung der Wehrpflicht befürwortet. In einer August-Umfrage des Umfrageinstituts Forsa stimmten mehr als 70 Prozent zu. Aber politisch bleibt es kompliziert. Vor allem die liberale Regierungspartei FDP ist dagegen. Letzterer befürchtet unter anderem, dass dadurch bestehende Engpässe auf dem Arbeitsmarkt weiter verschärft werden.

„Eine Wiedereinführung der Wehrpflicht ist derzeit politisch nicht realistisch“, sagt Forscher Hanco Jürgens vom Deutschen Institut in Amsterdam. „Das steht nicht im Koalitionsvertrag und das Kabinett ist mit allerlei anderen Dingen beschäftigt.“ Doch viel hänge laut Jürgens davon ab, wie sich der Krieg in der Ukraine entwickelt. „Wenn die Russen dort die Front überschreiten, wird es in Deutschland keine Diskussion geben. Dann wird die Wehrpflicht einfach wieder eingeführt.“

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Adelbert Eichel

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