Im Vergleich zu früher gehen die Deutschen deutlich lockerer miteinander um. Von nun an verschwindet der Doktortitel aus dem deutschen Pass. Nur Vorteile? „Der Preis ist, dass die Höflichkeit verschwindet.“
Die Vorliebe der Deutschen für Abschlüsse und Titel ist groß – sehr zur Belustigung der Ausländer. Wer promoviert, sieht offene Türen, die anderen verschlossen bleiben. Neben einem fürstlichen Gehalt (und einer Pension) genießt ein promovierter Ingenieursprofessor in Deutschland oft eine Vorzugsbehandlung. Es gibt großen Respekt vor jemandem, der jahrelang an der Doktorarbeit gearbeitet hat.
In der deutschen Politik und Wirtschaft wimmelt es von Persönlichkeiten mit akademischen Ehrentiteln. Mehr als einmal nach Briefdiebstahl. Im Jahr 2011 entzog die Universität Bayreuth dem CDU-Abgeordneten Karl-Theodor zu Guttenberg den Doktortitel, nachdem bekannt wurde, dass er seine Dissertation plagiiert hatte. Guttenberg musste daraufhin als Verteidigungsminister zurücktreten. Ein Jahr später drehte der Kultusminister (ebenfalls CDU) aus dem gleichen Grund den Kopf.
Vor zehn Jahren löste dies eine Debatte aus: Sollten Titel nicht vollständig aus Personalausweisen und Reisepässen entfernt werden? Ein grüner Gesetzentwurf scheiterte daraufhin. Diesmal ist die Ökopartei erfolgreicher: Die Bundesregierung – mit SPD und FDP als Koalitionspartner – einigt sich darauf, dass das Kürzel Dr. auf den Dokumenten verschwinden muss.
Obwohl Dr. seit 1988 im deutschen Pass eingetragen ist, ist der Doktorgrad rechtlich kein Bestandteil des Personenstandes. Doch dieser Zusatz sorgt wegen Grenzbedenken beim Zoll für Verwirrung und Irritationen, wie die Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic gegenüber der Rheinischen Post erklärt. „Die Buchstaben werden oft mit den Anfangsbuchstaben des Nachnamens verwechselt.“ Und das müsse aufhören, sagt Berlin.
„Ältere deutsche Generationen sind viel formeller“
Die Absicht der Deutschen, das Doktorat aufzugeben, fällt mit der Lockerung der Sitten in Deutschland zusammen. Eine Grundhaltung, die erklärt, warum die Niederländer in Deutschland so oft beneidet werden. „Im Vergleich zu heute sind ältere deutsche Generationen viel formeller“, sagt Jan Konst, ein niederländischer Professor und Schriftsteller, der seit mehr als einem Vierteljahrhundert in Berlin lebt. „Anfangs wurde ich außerhalb der Universität sogar Herr Professor genannt, was in den Niederlanden undenkbar ist.“
In Deutschland kommt es regelmäßig zu Debatten über die Nutzung des Hochschulabschlusses in der Gesellschaft. „Stoppt die Promotionsinflation“, titelte 2013 ein Kommentar in der Zeit. „Das mit der Promotion in Deutschland verbundene Prestige ist im Ausland ungewöhnlich. Wir werden ausgelacht, besonders im angelsächsischen Raum.“
Nicht nur Briten und Amerikaner scherzen über die Titelwahnsinnigkeit Deutschlands. Konst lacht: „In den Niederlanden war ich eher Lehrer, obwohl ich schon promoviert hatte. „In Deutschland liegt der Fokus überwiegend auf der Spitze.“ Im benachbarten Österreich sei die Begeisterung für den Titel laut Konst jedoch deutlich größer.
Neben der Zeit äußerte sich vor drei Jahren auch die Tageszeitung Die Welt kritisch. „Eine Gesellschaft, die akademische Qualifikationen überschätzt, wird durch eine Wirtschaft bedroht, in der Inputs wichtiger sind als Outputs und in der die Abschlüsse von gestern die Ergebnisse von heute übertrumpfen.“ Damit reagierte man auf Plagiatsvorwürfe gegen die damalige Berliner Oberbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). .
Höflichkeit verschwindet
Dass die Titel in Deutschland heute etwas weniger Gewicht haben als früher, liegt laut Konst an der zunehmenden geschlechtsneutralen Sprache. An der Freien Universität, an der Konst arbeitet, war der Professor kürzlich über die veränderte Begrüßung in den Briefen überrascht. „Dear Ladies and Gentlemen wurde durch Hello ersetzt, was Männer, Frauen und nicht-binäre Menschen ansprechen soll. Das ist gut, aber der Preis dafür ist, dass die Höflichkeit verschwindet.“
Für Professor Konst (60) ist es mittlerweile üblich, außerhalb der Universität als Tutor tätig zu sein. „Im Berliner Supermarkt nennen sie mich du statt dich. Bei der Arbeit ist das oft noch Vousvoyering. Im Falle eines Arbeitskonflikts ist das einfacher.“ Wenn Sie nicht wissen, wie man jemanden in Deutschland anspricht: fragen Sie um Erlaubnis 1. Nachdem er letztes Jahr auf dem Weihnachtsmarkt ein paar Glühweine getrunken hatte, durfte der Journalist seinen Vermieter beispielsweise mit Vornamen ansprechen.
Kostenloser und unbegrenzter Zugang zu Showbytes? Das kann!
Melden Sie sich an oder erstellen Sie ein Konto und verpassen Sie nichts von den Sternen.
„Preisgekrönter Organisator. Social-Media-Enthusiast. TV-Fan. Amateur-Internet-Evangelist. Kaffee-Fan.“