Ehemaliger Wirecard-Chef steht vor Gericht in Betrugsskandal, der Deutschland in seinen Grundfesten erschüttert

Von Jörn Poltz

Der ehemalige CEO Markus Braun, 53, der seit seiner Verhaftung im Jahr 2020 in Haft ist, und zwei weitere Führungskräfte des nicht mehr existierenden Blue-Chip-Unternehmens werden wegen Betrugs und Marktmanipulation angeklagt.

Bei einer Verurteilung drohen ihnen bis zu 15 Jahre Haft.

Braun bestritt, Gelder von Wirecard unterschlagen zu haben, und beschuldigte andere, ohne sein Wissen eine Phantomoperation durchgeführt zu haben.

Er wird in Münchens größtem und neuestem Gerichtssaal erscheinen, einer unterirdischen bombensicheren Kammer, die in der Justizvollzugsanstalt Stadelheim errichtet wurde und auch mutmaßlichen Terroristen den Prozess machen soll. Mit einer Entscheidung ist frühestens 2024 zu rechnen.

Wirecard wurde 1999 gegründet und hat seinen Sitz im Münchner Vorort Aschheim. Von einem Zahlungsabwickler für Online-Pornografie und Glücksspiel hat sich Wirecard durch seinen märchenhaften Aufstieg zu einem neuen Vorzeigeunternehmen deutscher Technologieunternehmen entwickelt, das in der Lage ist, mit den etablierten Titanen von Europas größter Volkswirtschaft zu konkurrieren.

Es verdrängte die Commerzbank in Deutschlands führendem DAX-Index und war zu einem Zeitpunkt 28 Milliarden Dollar wert, aber sein Niedergang brachte das deutsche Establishment in Verlegenheit und hinterließ Politiker, die das Unternehmen unterstützten, und Aufsichtsbehörden, die Jahre brauchten, um es zu untersuchen.

Nachdem der Verdacht auf Fehlverhalten von Investoren und Journalisten zurückgewiesen und die deutschen Behörden erfolgreich unter Druck gesetzt worden waren, stattdessen gegen die Finanzkontrolleure zu ermitteln, musste Wirecard im Juni 2020 zugeben, dass ihm 1,9 Milliarden Euro in der Bilanz fehlten.

Laut Anklageschrift hat das Wirecard-Management riesige Summen an Scheineinnahmen ausgeheckt, um Investoren und Gläubiger zu täuschen.

Die Regierung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel, die zuvor Wirecards Vorstoß zur Übernahme in China unterstützt hatte, erwog kurzzeitig eine Rettung des Unternehmens.

Innerhalb weniger Tage war Wirecard jedoch das erste DAX-Mitglied überhaupt, das Insolvenz anmeldete und seinen Gläubigern fast 4 Milliarden US-Dollar schuldete.

BEWEIS

Die Staatsanwälte werden Aussagen von Brauns Mitangeklagten Oliver Bellenhaus verwenden, dem ehemaligen Leiter der Dubai-Tochter von Wirecard, der zu einem wichtigen Zeugen wurde, nachdem er sich 2020 den deutschen Behörden gestellt hatte.

Auch ein weiterer ehemaliger Direktor, Stephan von Erffa, steht vor Gericht. Er äußerte öffentlich sein Bedauern über die Wirecard-Events, dementierte aber deren Organisation. Sein Anwalt sagte, von Erffa werde sich zu den Vorwürfen nicht äußern.

Ein Hauptverdächtiger, der frühere Chief Operating Officer von Wirecard, Jan Marsalek, ist ein internationaler Flüchtling, und sein Aufenthaltsort ist unbekannt.

Nach dem Verschwinden von Wirecard trat der Chef der deutschen Finanzaufsichtsbehörde BaFin zurück und auch der Chef der deutschen Rechnungslegungsaufsicht trat zurück.

Merkel und ihr damaliger Finanzminister und heutiger Bundeskanzler Olaf Scholz sind wegen verpfuschter Kontrolle des Unternehmens kritisiert worden. Merkel und Scholz sagten, sie seien nicht schuld. Scholz stärkte die Kompetenzen der BaFin und installierte 2021 eine neue Geschäftsführung.

Scholz kritisierte auch den Wirtschaftsprüfer von Wirecard, EY, weil er den Betrug nicht aufgedeckt habe. EY sagte, es habe professionell gehandelt.

In dem Fall sind derzeit 100 Anklagen bis Ende nächsten Jahres angesetzt.

Adelbert Eichel

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