Die Regierung will die deutsche Niederlassung von Tennet gegen den Willen des Netzbetreibers verkaufen

Der niederländische Staat will die deutsche Niederlassung des Stromnetzbetreibers Tennet gegen den Willen des Aktienunternehmens an Deutschland verkaufen. Der Wert dieser Aktivitäten wird auf 20 bis 25 Milliarden Euro geschätzt.

Diese Absicht geht aus einem vertraulichen internen Tennet-Dokument aus diesem Monat hervor, dessen Inhalt von Quellen in Den Haag bestätigt wird. Der Staat ist derzeit alleiniger Anteilseigner von Tennet, das als Betreiber des Hochspannungsnetzes in den Niederlanden und einem Teil Deutschlands eine entscheidende Rolle spielt.

Der bevorstehende Verkauf ist Teil der Energiewende, die in beiden Ländern große Investitionen erfordert. Um den steigenden Strombedarf und das variablere Energieangebot (aufgrund zusätzlicher Wind- und Solarparks) bewältigen zu können, muss das Stromnetz erneuert werden. Die Bundesregierung will nicht mehr jedes Jahr Milliarden dafür ausgeben.

Rund 60 Prozent der erforderlichen jährlichen Investitionen kamen in den vergangenen Jahren dem deutschen Netz zugute. In diesem Jahr beläuft es sich auf rund 5 Milliarden Euro (sowohl für das deutsche als auch für das niederländische Netz). Tennet lehnt den Verkauf ab, da die Präsenz in den Niederlanden und Deutschland nach Angaben des Netzbetreibers für beide Länder große Vorteile bietet.

Zwei Szenarien

Die Niederlande und Deutschland verhandeln noch, aber aus dem Dokument geht hervor, dass es noch zwei Verkaufsszenarien gibt: eine vollständige Übernahme durch den deutschen Staat oder eine Mehrheitsbeteiligung, die Deutschland sofort (oder nach einer bestimmten Zeit) erwirbt. ). In beiden Fällen verlor Tennet ungewollt die Kontrolle über das deutsche Netz und nach dreizehn Jahren musste sich das Unternehmen wieder ausschließlich auf die Niederlande konzentrieren. Das Unternehmen werde dann geografisch aufgeteilt und der deutsche Staat werde die Kontrolle über die deutsche Niederlassung übernehmen, heißt es in dem Dokument. Tennet besitzt knapp 11.000 Kilometer deutsche Hochspannungsleitungen.

Das für den Verkauf zuständige Finanzministerium möchte sich aufgrund der vertraulichen Natur der Verhandlungen nicht zum „aktuellen Stand und den auf dem Tisch liegenden Optionen“ äußern. Tennet möchte sich ebenfalls nicht äußern.

Als Tennet 2010 für 1,1 Milliarden Euro die deutschen Hochspannungsleitungen des Energiekonzerns EON übernahm, verfügte das Unternehmen über mehr als 9.000 Kilometer niederländische Hochspannungsnetze. Damals waren die Strompreise in den Niederlanden höher als in Deutschland, was bedeutete, dass niederländische Unternehmen eine schwächere Wettbewerbsposition hatten. Tennet sagte, es sehe Möglichkeiten zur Kostensenkung in den Niederlanden in einer Kombination von Netzwerken. Tennet beschäftigt mittlerweile mehr als 6.000 Mitarbeiter.

Otto Jager, damaliger Finanzvorstand von Tennet, hatte bereits 2021 Befürchtungen geäußert, dass der Netzbetreiber künftig schlechter abschneiden könnte, wenn die deutschen Aktivitäten (teilweise) den Eigentümer wechseln würden. „Dann geraten Sie in Diskussionen, die Sie nicht wollen, denken Sie an KLM und Air France.“ Sie können das Unternehmen nicht mehr als Ganzes verwalten. Als Vorteil nannte Jager damals auch die aktuelle Größe. „Wir unterstützen, dass Tennet aufgrund von Skaleneffekten als ein Unternehmen und nicht als zwei Unternehmen weiterbesteht. […] Netzbetreiber.“

Zuvor strebte der niederländische Staat immer eine Minderheitsbeteiligung der deutschen Regierung an, doch Optionen, bei denen Tennet eine Einheit bleiben könnte, sind aufgrund des Vorgehens der deutschen Regierung ausgeschlossen. Ziel ist es, im März eine politische Einigung zwischen den beiden Ländern zu erzielen. Anschließend muss eine allgemeine Vereinbarung über den Verkaufspreis, die Art der Aufteilung und den Zeitrahmen getroffen werden, innerhalb dessen dies erfolgen soll.

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Der Verkauf ist politisch heikel. Während einer Debatte Ende letzten Jahres über die Situation staatlicher Unternehmen kritisierten mehrere Politiker eine mögliche Spaltung von Tennet. Der Abgeordnete Eelco Heinen von der Koalitionspartei VVD bat Ministerin Sigrid Kaag (Finanzen, D66), die Vor- und Nachteile eines solchen Schritts zu erläutern, da „auch der Wunsch bestehe, die Einheit des ‚Geschäfts‘ zu wahren“. Laut Heinen sollte Tennet „ein wichtiger Akteur“ bleiben, der für „die Energiewende in den Niederlanden und sogar in Nordwesteuropa“ wichtig sei. Tom van der Lee (GroenLinks) nannte es dann „strategisch wichtig, dass Tennet ein Unternehmen bleibt“.

Durch den Verkauf sollen mehrere Milliarden für den Staat eingenommen werden, was insbesondere dazu beitragen könnte, Unternehmen und Haushalte beim Übergang zu einer nachhaltigeren Energieversorgung zu unterstützen. Dem internen Dokument zufolge wäre der Verkauf der deutschen Niederlassung von Tennet „der größte Verkauf“ einer öffentlichen Beteiligung „jemals“.

Es wäre möglich, mehr Geld einzusammeln als mit dem Verkauf von ABN Amro. Die während der Kreditkrise verstaatlichte Bank kehrte 2015 an die Börse zurück. Mittlerweile hat der Staat rund die Hälfte seiner Anteile verkauft und damit mehr als 8 Milliarden Euro eingesammelt.

Über den Wert des deutschen Teils von Tennet gibt es unterschiedliche Schätzungen. Einer Schätzung zufolge würde der Wert der Geschäftseinheit 20 bis 25 Milliarden Euro betragen. Die Wertsteigerung ist vor allem auf die zahlreichen Investitionen der letzten Jahre zurückzuführen.

International tätig

Das Management von Tennet bereitet sich derzeit intensiv sowohl auf das Szenario einer vollständigen Übernahme als auch auf das einer Mehrheitsbeteiligung für den deutschen Staat vor, heißt es in dem internen Dokument. Angesichts des großen Mehrwerts, den die beiden Netzwerke füreinander bringen, würde die Aktiengesellschaft es jedoch vorziehen, ein einziges Unternehmen zu bleiben. Damit kann Tennet problemlos Windenergie von der Nordsee in die deutschen Regionen transportieren. Diese internationale Dimension ist auch für die Niederlande wichtig: Das Wachstum nachhaltiger Elektrizität (Solar, Wind) macht es schwieriger, vorübergehende Engpässe oder Überschüsse in den Stromnetzen zu beheben. Dann spielt die Größe (international) eine positive Rolle.

Tennet hatte zuvor die sogenannten „Synergievorteile“ seiner Aktivitäten in Deutschland auf insgesamt 2 bis 3 Milliarden Euro geschätzt. Wenn neue Infrastruktur gebaut werden muss, etwa Hochspannungskabel und „Offshore-Stecker“ für Windparks, kann Tennet zusätzliche Rabatte aushandeln, da es größere Aufträge erteilen kann. Diese Reduzierungen können wiederum dazu beitragen, die Stromtarife für die Kunden zu senken. Aufgrund der unterschiedlichen Gesetzgebung kann Tennet auch in Deutschland Gewinne erzielen, während dies in den Niederlanden nicht möglich ist. Dank dieser Gewinne hat der Staat in den letzten Jahren rund 1 Milliarde Dividenden von Tennet erhalten. Anders als in den Niederlanden gibt es in Deutschland vier Unternehmen, die das Hochspannungsnetz in verschiedenen Regionen betreiben.

Bereits im September 2019 gab der damalige Finanzminister Wopke Hoekstra (CDA) bekannt, dass ein möglicher Verkauf mit der Bundesregierung im Gespräch sei. Den Haag war der Ansicht, dass die finanziellen Risiken angesichts der in Deutschland erforderlichen Investitionen zu groß seien. Die Verhandlungen waren lange ins Stocken geraten, wurden aber seit Oktober wieder aufgenommen, nachdem die Bundesregierung im vergangenen Frühjahr inoffiziell ihr erneutes Interesse bekundet hatte. Es ist unklar, wann genau Deutschland angedeutet hat, die deutsche Niederlassung übernehmen zu wollen. Ende Dezember berichteten deutsche Medien, dass Berlin darauf hindeutet.

Seit der russischen Invasion in der Ukraine und der daraus resultierenden Energiekrise scheint Deutschland darauf abzuzielen, die Kontrolle über strategische Infrastrukturen wie das Stromnetz zurückzugewinnen. Der Verlust russischer Gaslieferungen hat Deutschland hart getroffen, und die Energiesicherheit hat jetzt höchste Priorität. Quellen in Den Haag bestätigen, dass ein vollständiger Verkauf der deutschen Niederlassung nicht in Betracht gezogen worden wäre, wenn Deutschland nicht darum gebeten hätte. Diese Bitte gilt als „verständlich“.

Bedingungen

Auf niederländischer Seite, sagt eine Quelle in Den Haag, die aufgrund der Sensibilität des Themas anonym bleiben möchte, sei eine Bedingung für einen Verkauf, dass gute Vereinbarungen mit Deutschland über eine „intensive Zusammenarbeit im weiteren Sinne“ getroffen würden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Vorteile, insbesondere Einkaufsvorteile, die das fusionierte Unternehmen nun bietet, nicht verloren gehen.

Das Beratungsunternehmen Roland Berger sagte in einem vertraulichen Bericht vom April letzten Jahres, dass „ein integriertes Tennet von großer strategischer Bedeutung“ für die Niederlande sei. Dies ist vor allem auf die Größenvorteile des aktuellen deutsch-niederländischen Stromnetzes zurückzuführen, aber auch auf die Möglichkeiten, den von Windparks in der Nordsee erzeugten Strom zu verkaufen. Es sei darauf hingewiesen, dass Bergers Forschung im Auftrag des Finanzministeriums durchgeführt wurde. Nach Angaben einiger Beteiligten würde dieses Ministerium als Eigentümer von Tennet die finanziellen Folgen des Verkaufs stärker im Auge behalten als das ebenfalls beteiligte Ministerium für Wirtschaft und Klima. Diese Abteilung würde sich stärker auf die Folgen für die Energiewende konzentrieren.

Adelbert Eichel

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