Es gibt fast nichts Schöneres als ein europäisches Auswärtsspiel mit Ihrem Verein. Für fanatische Fans wie uns ist das etwas nervig. Eine einmalige Chance für kleine Vereine, jedes Jahr eine Gewissheit für große Vereine. Aber auf jeden Fall Tage, über die Sie noch jahrelang mit Ihrer Gruppe reden werden. Ich hatte die Gelegenheit, an einem solchen Europa-Auswärtstag teilzunehmen. Royal Antwerp reist zu einem Champions-League-Spiel nach Hamburg. Es gibt nicht viel Schöneres!
Die Tatsache, dass Royal Antwerpen an der Champions League teilnimmt, ist an sich schon ein Wunder. Der Verein kommt von sehr weit her und Fußball in der ersten belgischen Liga schien lange Zeit eine Utopie; Ganz zu schweigen von der höchsten Bühne der Welt. Vielleicht eine einmalige Gelegenheit und daher einen Besuch wert. Glücklicherweise ist dank der Tilburg-Gäste Tifosi (gute Freunde von The Great Old) etwas möglich und ein Auswärtsticket für das Spiel gegen Shaktar Donetsk in Hamburg ist gebucht. Von den Niederlanden und Belgien aus leicht zu erreichen, ist es der perfekte Ort für einen langen Tag im Freien. Die Erwartungen sind hoch!
Die Reeperbahn
So cool ein solcher Wettbewerb auch ist, alles beginnt mit etwas weniger Glamourösem. Am Spieltag klingelt um 6 Uhr morgens der Wecker und man muss sich in der Kälte auf den Weg zum Bahnhof. Persönlich wähle ich öffentliche Verkehrsmittel, um nach Deutschland zu reisen, aber viele Fans entscheiden sich für das Auto, einige für das Flugzeug und eine große Gruppe ist bereits einen Tag vor dem Spiel in Hamburg. Es sind all diese Mini-Abenteuer, die einem solchen europäischen Auswärtsspiel Farbe verleihen.
Der deutsche ÖPNV zeigt sich mal wieder von seiner besten Seite und nach einem verpassten Bus und zwei ausgefallenen Zügen erreiche ich um 14 Uhr das Brewdog Sankt Pauli, gelegen auf der berühmten Reeperbahn. Hier hängen bereits die Fans von Antwerpen (+ Tilburg) herum. Rund tausend Fans trinken in und um diese Kneipe herum. Der Nachmittag vergeht schnell, während die Kneipe mit Aufklebern bedeckt ist, Antwerpener Lieder den Raum füllen und im Gebäude sogar ein Stroboskop eingeschaltet ist. Gegen 16 Uhr gehen alle nach draußen, um die Reise zum Stadion anzutreten.
Pyrotechnik ist verboten
Die deutsche Polizei hatte dies bereits berücksichtigt. Der große Ruf von Royal Antwerp ist unseren Nachbarn im Osten nicht unbekannt und hat die Gründung eines kompletten Unternehmens ermöglicht. Während die Fans im Brewpub trinken, hat sich die Straße rund um das Stadion in eine Art Kriegssituation verwandelt. Als wir die Kneipe verlassen, sind wir von allen Seiten von den Männern in Blau umgeben.
Überall auf der Hauptstraße fahren gepanzerte Fahrzeuge, mehrere Wasserwerfer und Polizeiwagen. Auf allen Seiten gibt es immer einzelne, voll ausgerüstete Beamte, die jederzeit zum Eingreifen bereit sind. Und wir in den Niederlanden geraten ständig in Panik wegen des (offenbar) zu teuren Polizeieinsatzes bei Fußballspielen… Auch Texte auf Flämisch und Deutsch werden an die Fans gesendet. Beispielsweise wird beim Anzünden von Feuerwerkskörpern festgelegt, dass „Pyrotechnik„Heute absolut“verboten‚ Ost.
Das hält aber nicht alle davon ab, beim spontanen Corteo auf der Reeperbahn eine Fackel anzuzünden. Hier und da explodierten ein paar Feuerwerkskörper. Obwohl die Polizei alles zulässt, sind ein paar Beamte mit typisch deutschen Kameras in der Hand und alles wird detailliert aufgezeichnet. Einem der Fans wurde von einem Beamten ohne Grund die Halsmanschette heruntergezogen. Unnötig aggressiv, vor allem weil aus der Auswärtsgruppe der Fans nichts anderes passiert.
U-Bahn und Shuttle
Der Spaziergang führt schließlich zur U-Bahn-Station Reeperbahn, wo alle Fans wie Sardinen in tatsächlich zu enge Autos gepfercht sind. Wieder einmal auf Schritt und Tritt von ein paar Polizisten begleitet. Auch im Untergrund wird viel dafür getan, dass alles möglichst organisiert abläuft. Die Wartezeit vor der Abreise wird durch das Aufkleben von Dutzenden Aufklebern verkürzt. Schließlich fährt die U-Bahn voller Fans und Polizisten in Richtung Stadion.
Aber wir sind noch nicht am Ziel. Die U-Bahn hält nur wenige Autominuten vom Stadion entfernt und von dort aus müssen mehr als tausend Fans aus der U-Bahn aussteigen und auf mehrere Shuttles verteilt werden. Allerdings sind nur wenige verfügbar, die sich in kürzester Zeit füllen. Der Rest der Unterstützer muss in klirrender Kälte warten, ohne Informationen darüber, wann der Transport das nächste Mal verladen wird.
Das sorgt logischerweise für großen Frust bei den Anhängern. Die Bewegungsfreiheit ist seit einer Stunde stark eingeschränkt und es sieht nicht so aus, als würde sie so schnell aufhören. Nach zig Minuten Wartezeit trifft endlich eine neue Ladung Shuttles ein. Und dann, nur eine Stunde vor Anpfiff, fährt ein überfüllter Bus zum HSV-Stadion.
Volksparkstadion
Nach zwei Stunden Befolgen der Anweisungen des Polizei Endlich betreten wir das Gelände rund um das Volksparkstadion des HSV. Dieses Stadion ist nun seine Heimstätte, da Shaktar Donetsk aufgrund des Krieges keine europäischen Spiele im eigenen Land austragen kann. Der Verein zog daher nach Norddeutschland. In einem Stadion, das bei Niederländern mittleren Alters vor allem Erinnerungen an den Halbfinalsieg über Westdeutschland bei der Europameisterschaft 1988 weckt. Dies ist nicht die einzige niederländische Verbindung mit dem Stadion, denn in diesem Jahrhundert waren es Ajax, PSV und NEC habe es im europäischen Kontext besucht.
Vor dem Stadion warten Schlangen von Ordnern, aber die Durchsuchung verläuft reibungslos und jeder wird durchgelassen. Bis der letzte Junge in der Gruppe der Tilburger, mit der ich zusammen bin, an der Reihe ist. Er wurde sofort entdeckt, von acht Polizisten in eine Ecke geführt, durchsucht und dann in einen anderen Teil des Stadions gebracht. Informationsanfragen führen ins Leere und uns bleibt nichts anderes übrig, als auf die Tribüne zu gehen und auf weitere Neuigkeiten zu warten.
Später erfahren wir, dass der Unterstützer zusammen mit 20 anderen Unterstützern zu einem weiteren „Verhör“ gebracht wurde. Der Vorwurf lautet, während der Corteo Feuerwerkskörper gezündet zu haben. Bilder oder andere Belege hierfür können jedoch nicht eingesehen werden. Dies ist nicht verwunderlich, da ich die gesamte Strecke neben dem Jungen gegangen bin und daher zu 100 % sicher bin, dass er unschuldig ist. Dies hindert die Polizei nicht daran, möglicherweise das Spielticket einzuziehen und den Fan mit einem Platzverbot des Stadions zu verweisen. Eine skandalöse Behandlung eines unschuldigen Fans, der gerade gekommen war, um sich ein Fußballspiel anzusehen.
Englische Atmosphäre
Die sportlichen Erwartungen sind gering. Royal Antwerpen hat bisher alle vier Champions-League-Spiele verloren und muss heute Abend in Hamburg gewinnen, um überhaupt in der Europa League weiterzukommen. Der mit rund 3.500 Fans gefüllte Auswärtsbereich startet daher sehr lautstark und unterstützt die Mannschaft massiv. Wie bei Royal Antwerp üblich sind viele englische Lieder zu hören. Die eher englische Atmosphäre, in der die Menschen auf die Ereignisse vor Ort reagieren, hat einen großen Nachteil.
Nach 12 Minuten gingen die Ukrainer in Führung. Die Atmosphäre im fernen Abschnitt sinkt auf den Gefrierpunkt, ebenso wie die tatsächliche Temperatur. Dies führt zu einem Spiel, in dem die Fans von Antwerp Dynamite ihr Bestes geben, aber von den übrigen Besuchern kaum Resonanz erhalten. Leider herrschte im Auswärtsteil des Volksparkstadions von Beginn an Niederlagenstimmung.
Schäm dich
Daran wird sich auch in der zweiten Halbzeit nicht viel ändern. Royal Antwerp scheint nicht in der Lage zu sein, ein Tor zu erzielen, selbst wenn das Spiel vier Stunden dauert. Shaktar denkt, dass alles gut läuft und behält größtenteils die 1:0-Führung. Verlorene Zeit kann mit einem „Schande über dich“ von der Filiale rechnen. Zur Freude des ukrainischen Publikums auf der langen Seite (die in Deutschland anwesenden Ukrainer erhielten Freikarten für das Spiel) endete das Spiel mit einem Spielstand von 1:0. Die Spieler von Royal Antwerpen erhalten stets tosenden Applaus von den Besuchern.
Nach ewigem Warten auf die Shuttles zum Stadion und einer ebenso langen Pause an der von Polizisten wimmelnden U-Bahn-Station verteilten sich die Auswärtsfans erneut in der ganzen Stadt. Einige Fans reisen nach Belgien, andere erkunden das Hamburger Nachtleben. Ich geselle mich zu den Gästen von Willem II. in ihrem Hotel, um einen Schlummertrunk zu trinken und über einen besonderen Tag zu plaudern, während draußen der Schnee immer heftiger auf die Stadt fällt.
Im weißen Hamburg laufe ich kurz nach Mitternacht zum Busbahnhof. Hier ist noch eine Bonusverzögerung, aber nach 2 Stunden Warten draußen bei -1 Grad, 5 Stunden im Bus und 3 Stunden im Zug bin ich wieder an meinem Ausgangspunkt. Mehr als 24 Stunden nach meiner Abreise, ohne wirklichen Schlaf, schließe ich die Haustür wieder hinter mir ab. Europäische Tage: Was für ein Erlebnis!
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