Das neue Rekrutierungsvideo der Bundeswehr sagt alles. Die erste Hälfte des Clips zeigt deutsche Soldaten in allen möglichen Alltagssituationen: mit ihren Familien im Garten, beim Zeitschriftenkauf am Kiosk, mit fröhlichen Menschen auf einer Terrasse. Darauf folgt eine zweite Hälfte voller militärischer Action mit schießenden Soldaten, einem reißenden gepanzerten Fahrzeug, einem Kampfjet und einem Kriegsschiff auf See. Wir schützen Deutschland („Wir schützen Deutschland“) lautet der Slogan.
Sie verdeutlicht den Umbruch, den Deutschland nach dem Schock des Ukraine-Krieges in diesem Jahr im militärischen Bereich durchmacht. Drei Tage, nachdem im Februar russische Panzer in der benachbarten Ukraine eintrafen, hielt Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag eine historische Rede. Er sprach von einem Zeitenwendeein Wendepunkt in der Geschichte und die Notwendigkeit, die deutschen Streitkräfte drastisch zu verstärken.
Die deutsche Armee ist relativ schwach
Viele Deutsche brauchten lange, um sich daran zu gewöhnen. Deutschland hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg militärisch stets zurückhaltend gezeigt. Die Bundeswehr ist relativ schwach und der Einsatz von Militärpersonal im Ausland politisch und gesellschaftlich schwierig. Die Teilnahme an den Einsätzen in Mali und Afghanistan war nur möglich, weil sie als eine Art Hochsicherheits-Entwicklungsprojekt präsentiert wurden. Die Deutschen verließen sich jahrzehntelang auf die nukleare Abschreckung der Amerikaner.
Doch der russische Einmarsch in die Ukraine hat nach Angaben der Bundesregierung zu drastischen Maßnahmen geführt. Scholz kündigte an, Deutschland werde die Verteidigungsausgaben von 51 Milliarden Euro im Jahr 2021 auf 80 Milliarden pro Jahr in der kommenden Zeit erhöhen. Die Regierung hat außerdem einen Sonderfonds von 100 Milliarden Euro für den Kauf von Ausrüstung eingerichtet, darunter fortschrittliche F35-Kampfflugzeuge amerikanischer Herkunft. Deutschland brauche eine leistungsfähigere Armee, so die Bundeskanzlerin, mit „Flugzeugen, die fliegen können, Schiffen, die zur See fahren können, und Soldaten, die perfekt für ihre Einsätze ausgerüstet sind“.
Gleichzeitig sieht sich Deutschland dem Ruf nach einer größeren Rolle im Krieg gegenüber. Die USA würden sich eine solche deutsche Vorreiterrolle wünschen, weil sie dann freiere Hand für ihre Rivalität mit China hätten. Und die europäischen Länder befürchten seit der Präsidentschaft von Donald Trump, dass der Schutz durch die Vereinigten Staaten nicht mehr gewährleistet ist. Als wirtschaftsstärkstes und bevölkerungsreichstes Land Europas sollte Deutschland auch eine solche Vorreiterrolle einnehmen. „Das macht uns, ob wir wollen oder nicht, zu einer Führungsmacht – auch im militärischen Sinne“, sagte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht kürzlich.
Deutsche Hilfe hinkt hinterher
Doch die Scholz-Regierung zögert. Berlin hat in den vergangenen Monaten unter anderem Waffen, Raketenabwehrartillerie und Flugabwehranlagen an die Ukraine geliefert, aber die deutsche Unterstützung macht nur einen Bruchteil der amerikanischen Spenden aus. Nach Angaben des Kieler Instituts für Weltwirtschaft haben die Deutschen am 11. Oktober 3,3 Milliarden Euro an humanitärer, finanzieller und militärischer Hilfe zugesagt, gegenüber 52,3 Milliarden in den USA. Auch im Verhältnis zur Größe der eigenen Wirtschaft blieb die deutsche Hilfe weit hinter der amerikanischen zurück.
Beispielsweise versuchen die Ukrainer seit Monaten, die deutsche Regierung davon zu überzeugen, moderne deutsche Panzer bereitzustellen, die laut Kiew bei Gegenoffensiven in der Südukraine einen erheblichen Unterschied machen könnten. Aber Berlin hat Angst davor. Nach Ansicht der Deutschen könnte Putin die Lieferung westlicher Kampfpanzer als Überschreitung einer „roten Linie“ betrachten, was eine weitere Eskalation rechtfertige.
„Die Deutschen machen vieles, erklären aber auch vieles, was nicht möglich ist“, sagt Ton Nijhuis, Direktor des Deutschen Instituts in Amsterdam. „Scholz sieht immer wieder neue Bären auf der Straße.“
Gute Beziehungen zu Moskau
In Scholz‘ Regierungspartei SPD spielen die alten pazifistischen Reflexe aus dem Zweiten Weltkrieg eine Rolle. ‚keine hacke Das Mantra ist immer noch aktuell: Nie wieder Krieg und nie wieder geopolitischer Krieg alle Einträge. Zudem unterhalten die deutschen Sozialdemokraten traditionell relativ gute Beziehungen zu Moskau.
Dennoch stellen Beobachter gravierende Veränderungen fest. In Deutschland etwa wird jetzt vorsichtig über den Aufbau einer eigenen Atomkraft diskutiert. Die Deutschen versuchten auch, sich den sogenannten anzuschließen Streik erzwingen, der französischen strategischen Atommacht, zu der sie beitragen wollten. Dies wurde von Paris abgelehnt.
Ob es jemals zu einer solchen deutschen Nuklearstreitmacht kommen wird, ist höchst ungewiss. Es ist in Berlin im Moment politisch eine Brücke zu weit. Doch der Krieg in der Ukraine zwingt die Bundesregierung eindeutig zu schwierigen Entscheidungen.
Größere militärische Rolle
„Ich gehe davon aus, dass Deutschland irgendwann eine größere militärische Rolle übernehmen wird“, sagt Nijhuis vom Deutschen Institut. „Aber viel langsamer, als es den Amerikanern und einigen europäischen Partnern lieb ist. Das ist nicht etwas, was die Deutschen von sich aus anstreben. Alles bleibt ein bisschen widerwillig.“
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