Der Einmarsch in die Ukraine hinterließ in Deutschland das Gefühl, von Russland völlig betrogen worden zu sein. Das sagt der deutsche Experte René Cuperus vom Clingendael Institute in De Wereld des BNR. Damit ist Deutschland laut Cuperus ein Land im geopolitischen Schockzustand. „Sie hatten eigentlich einen russisch-deutschen Freundschaftspakt.“
Vor einem Jahr nannte Bundeskanzler Scholz den Krieg in der Ukraine die Zeitenwende. Ein Wendepunkt nicht nur im deutsch-russischen Verhältnis und Bruch mit der Ostpolitik Willy Brandts, sondern auch bei der Suche nach einer neuen deutschen Rolle in Europa. Und es ist schwierig für ein Land, das mit den Geistern der Vergangenheit zu kämpfen hat und in dem viele politische Entscheidungsträger immer noch mit einer Denkweise dieser Vergangenheit handeln.
„Der Einmarsch in die Ukraine hat Deutschland das Gefühl gegeben, von Russland völlig betrogen worden zu sein. Deutschland ist ein Land im geopolitischen Schockzustand. Sie hatten eigentlich einen russisch-deutschen Freundschaftspakt“, bringt Cuperus die deutsche Nationalmentalität auf den Punkt. Scholz besuchte Putin sogar eine Woche vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Um dies zu verhindern.
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Fürchten
„Deutschland hat Angst um sich selbst“, sagt Cuperus. „Deutschland ist natürlich eine Wirtschaftsmacht, aber Zeitenwende bedeutet, dass Deutschland wieder eine militärische und geopolitische Macht in Europa werden muss. Und damit sollte es eigentlich alle Narben des 20. Jahrhunderts – Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg – hinter sich lassen und wieder eine militärische Supermacht in Europa werden. Es dauert mindestens eine Generation, denke ich.
Ehrenschuld
Eine direkte Folge des Zweiten Weltkriegs und der von Deutschland übernommenen Schuld war, dass der Pazifismus Teil der DNA des Nachkriegsdeutschlands wurde. „Deutschland ist eigentlich ein pazifistisches Land. Es gibt ein großes Zögern über all diese Waffenlieferungen. (in die Ukraine, Hrsg.).‘ Deshalb werden Waffenlieferungen mit Europa, den Vereinigten Staaten oder Frankreich koordiniert oder kombiniert. „Und das steckt hinter dieser seltsamen Verbindung zwischen den Panzern Leopold I, II und Abram.“
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Ein weiteres Symptom dieses Nachkriegspazifismus ist die Erosion der deutschen Unterstützung für die Hilfe für die Ukraine. „Deutschland sieht sich nach dem Zweiten Weltkrieg als ‚Friedensmacht‘. Wie ein Land, das nie wieder in den Krieg zieht, das eigentlich eine schwache Armee haben will.
Kein Unkraut
Bundeskanzler Olaf Scholz, so Cuperus, habe ein starkes „Ungrass-Gefühl“ in der deutschen Bevölkerung, habe das aber in seiner Ansprache gut auf den Punkt gebracht. Scholz habe laut Cuperus deutlich gemacht, dass „nie wieder“ (Anm. d. Red.) sich auch auf den bewaffneten Widerstand gegen einen aggressiven Angriffskrieg beziehe, was auch bedeute: Nie wieder Imperialismus.
Scholz muss sich nicht nur geschickt durch die Klippen der öffentlichen Meinung navigieren, sondern findet sich auch in einem politischen Minenfeld wieder. Sowohl in Deutschland als auch im Ausland. So steht Scholz beispielsweise stark unter Druck aus osteuropäischen Ländern. „Macht viel mehr als er. Und er hat sie heute in seiner Rede nicht erwähnt. Das fand ich bedeutsam.
bewältigen
Und in der eigenen Partei hat er es mit den SPD-Giganten zu tun, die gedanklich noch in der Ostpolitik stecken, während die grünen Koalitionspartner die Kriegstrommel rühren. Es ist ein Balanceakt. Er scheint sich mehr um die Innenpolitik als um die internationale Politik zu kümmern. Es hat mit Zögern in der eigenen SPD zu tun. Das sind Leute, die Russland sehr nahe standen. Es gibt also viel russisches Leid und Schmerz in dieser SPD.
Welchen Kurs Deutschland auch immer einschlagen wird, er ist von unmittelbarer Bedeutung für die Zukunft Europas und der deutsch-französischen Achse. „Das Wichtigste ist eigentlich, wie der Konflikt in der Ukraine ausgehen wird. Das ist eigentlich noch wichtiger als die genaue Rolle Deutschlands dabei. Die Zeitenwende ist entscheidend für die Zukunft Europas.“
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