Derk Jan Eppink: Sahra Wagenknecht hat den Schlüssel zur Macht in Deutschland

Zum ersten Mal nach dem Abgang von Angela Merkel als wichtigster politischer Figur Ostdeutschlands taucht ein neues ostdeutsches Phänomen am Horizont der deutschen Politik auf: Sahra Wagenknecht (55 Jahre). Nach durchschlagenden Ergebnissen mit ihrem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ist sie auch Neuling in Brandenburg, wo am Sonntag, 22. September, gewählt wird. Wagenknecht scheint für die Bildung einer Koalition von entscheidender Bedeutung zu sein und im nächsten Jahr wird es Bundestagswahlen für einen neuen Bundestag geben. Sie ist ein aufstrebender Stern, aber wer ist Sahra Wagenknecht?

Eine gute Gelegenheit, nach Cottbus zurückzukehren und sie bei einer Veranstaltung der Stadthalle Cottbus zu sehen. Im Dezember 1989 war ich berichtspflichtig in dieser Stadt NRC Journal im „Inneren“ der DDR, damals noch unbekanntes Terrain. Cottbus, im Südosten Deutschlands nahe der polnischen Grenze, mit einem schön restaurierten Stadtzentrum, weist noch immer Überreste der DDR-Architektur auf. „Ostdeutschland“ ist nahezu unmöglich. Und das ist ein fruchtbarer Boden für den Wahlkampf von Sahra Wagenknecht.

Wir haben nie wieder etwas von seinem Vater gehört.

Mehrere hundert Menschen versammelten sich vor der Stadthalle, um dem „Phänomen“ zuzuhören. Sie kommt gerade rechtzeitig, supermächtigauf der von einem Eisenzaun geschützten Bühne, denn in Erfurt wurde sie kürzlich von einem Mann angegriffen, der sie mit roter Farbe besprühte. Sicherheitsleute überwachen das Publikum und direkt hinter der Bühne stehen zwei Autos: sein Dienstwagen und ein schwarzer Mercedes mit Blaulicht. Sie kann nicht mehr alleine durch die Straßen gehen.

Wagenknecht wurde in Jena als Sohn einer ostdeutschen Mutter und eines aus dem Persien des Schahs stammenden Vaters geboren, der in Westberlin studierte und vor allem in Teheran gegen den Pfauenthron demonstrierte. Er kehrte Anfang der 1970er Jahre nach Persien zurück, als Sahra drei Jahre alt war; wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.

Wagenknecht begann als Kommunist in der DDR und wurde 1989, als die Berliner Mauer fiel, Mitglied der regierenden Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Sie erwies sich als überzeugte Marxistin, die eine „reformierte DDR“ bewahren wollte und sich gegen die Wiedervereinigung Deutschlands aussprach. Wer sie jetzt konfrontiert, erhält eine Antwort, wie jüngst im Tagesspiegeldass die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel in der DDR „einst Sekretärin der Freien Deutschen Jugend (FDJ) war, zuständig für Agitation und Propaganda.“ Ich denke, es gibt auch ein paar nette Zitate dazu, wenn man danach sucht.

Wagenknechts Wende begann nach ihrer Freundschaft mit Oskar Lafontaine (80), den sie 2014 heiratete. Lafontaine war SPD-Politiker, ehemaliger Kanzlerkandidat und Finanzminister zur Zeit von Bundeskanzler Gerhard Schröder. Diese Kombination führte zu einer Explosion und Lafontaine verließ die SPD.

Erfolgsformel

Er wurde zu einer Art Vaterfigur, die Wagenknecht zu den praktischeren Perspektiven der sozialen Marktwirtschaft führte. In seinen streng geordneten Reden ist noch immer seine marxistische Herkunft zu hören; linear, wie es in der Parteischule gelehrt wird. Rhetorik ist seine Stärke und „Witze“ gehören nicht zu seinem Repertoire. Westdeutsche Politiker haben in der Debatte keine Kontrolle über sie; sie dominiert.

Wagenknechts Erfolgsformel lautet, dass die BSW in der Wirtschaft links, in der Migration aber rechts steht und sich gegen Woke wendet, was sie vor allem als eine Modeerscheinung der deutschen Grünen, der „Hafermilchpolitiker und Latte“ verspottet. Ein Trend, der in Cottbus zunehmend an Dynamik gewinnt.

Deutschland kann die Einwanderungswelle nicht bewältigen

Den Unterschied zur Alternative für Deutschland (AfD) markiert Wagenknecht durch eine pragmatische Sprache zum Thema Migration. Keine Tiraden gegen Ausländer. Sie verbindet dieses Thema mit den Folgen übermäßiger Einwanderung auf Wohnraum, Bildung und Gesundheit. „Die Situation im Bildungswesen ist dramatisch. Die meisten Kinder sprechen kein Deutsch, wenn sie in die Schule kommen.“

Sie weist auch auf den Wohnungsmangel hin, da immer mehr Asylbewerber nach Deutschland reisen. In Deutschland fehlen 700.000 Wohneinheiten, die Mieten steigen und Ostdeutsche haben es besonders schwer. Fazit: Deutschland kann diese Einwanderungswelle nicht bewältigen.

Gegen den erhobenen Finger

Schon als Wagenknecht über den Krieg in der Ukraine spricht, erntet sie lauten Applaus. Sie nennt Russlands Invasion in der Ukraine ein „Verbrechen“, sagt aber, dass die Waffenlieferungen sofort eingestellt werden sollten, sobald Putin einem Waffenstillstand an der aktuellen Frontlinie zustimmt. „Dann muss darüber verhandelt werden, was mit diesen Gebieten geschehen soll. Am besten wäre es, die Menschen im Donbass und auf der Krim in einem von den Vereinten Nationen kontrollierten Referendum zu fragen, welchem ​​Land sie angehören wollen.“

Wagenknecht stellt eine moralische Gleichwertigkeit zwischen Russland und den Vereinigten Staaten her. Das Publikum gerät in Ekstase, als sie darüber zu sprechen beginnt, denn die „Westbindung“, die Westdeutschland prägte, fehlt in Ostdeutschland völlig. „Wie viele Länder haben die Vereinigten Staaten bis auf die Grundmauern niedergebrannt und Millionen Tote gefordert? Wie viele Menschen hat Amerika durch Drohnenangriffe getötet? Es geht runter wie ein süßer Kuchen. Sie will den Krieg in der Ukraine bei möglichen Koalitionsverhandlungen in den Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg zur Sprache bringen.

Und die Landesregierungen müssen sich gegen die Stationierung neuer US-Langstreckenraketen in Deutschland aussprechen. Sowohl die rot-grüne Regierung in Berlin als auch die CDU/CSU schaudern bei dem Gedanken, dass die ostdeutschen Bundesländer ihre eigene „Ostpolitik“ betreiben werden. Sie nennt die rot-grüne Bundesregierung einen „Moralischen Weltmeister“, wie wir es in den Niederlanden mit erhobenem Zeigefinger nennen.

Mit 13 bis 15 Prozent der Stimmen in Ostdeutschland steht Wagenknecht im Zentrum der Macht. CDU, SPD und Grüne schließen die AfD kategorisch aus. Was in Frankreich und Belgien „Cordon humaine“ genannt wird, wird in Deutschland in der Tradition des Mauerbaus „Brandmauer“ genannt. Die AfD ist zu radikalisiert, um sich an der Machtbildung zu beteiligen. DER Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) brachte die Lage treffend auf den Punkt: „Sie ist Partei, sie ist Machtfaktor“. Den Schlüssel hält Wagenknecht in der Hand.

Die SPD ist in Brandenburg seit 1990 an der Macht und Ministerpräsident Dietmar Woidke hat den Wählern mit Rücktritt gedroht, sollte die AfD größer werden als die SPD. Die Geschichte zeigt, dass „Ich oder Chaos“ in einer Zeit, in der die Wähler wütend sind, eine riskante Phrase ist. Die AfD belegt in den Umfragen den ersten Platz. Die Grünen kämpfen um die Fünf-Prozent-Hürde und die liberale FDP ist in ganz Ostdeutschland von der Landkarte verschwunden, ebenso wie Die Linke, Wagenknechts frühere Partei. Mit der Brandmauer in Brandenburg erhält Wagenknecht auch hier die Schlüssel.

Kleine Geschichte. Bei ihrer Geburt in der DDR war Wagenknecht unter dem Namen Sarah im Melderegister eingetragen. Später wollte sie dies zu Ehren ihres Vaters in Sarahs persische Schreibweise Sahra ändern. Die DDR-Behörden lehnten diese Idee entschieden ab. ‚Illegal‘. Als sie sich für den Bundestag anmeldete, wurde sie zu Sahra, und das blieb hängen. Sie ist hartnäckig. Unsere östlichen Nachbarn werden mit Wagenknecht viel Spaß haben.

Derk Jan Eppink studierte Rechtswissenschaften in Amsterdam und arbeitete als Journalist in den Niederlanden, Belgien und den USA. Er war Berater des EU-Kommissars Frits Bolkestein und Mitglied des Europäischen Parlaments und des Repräsentantenhauses.

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Adelbert Eichel

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