Der Faschismus und der verlorene Krieg prägten die Seele des deutschen Fußballs; Die Liebe zum Fußball ist tief in den Herzen der Fans verwurzelt

Nach 36 Jahren kehrt die Fußball-Europameisterschaft nach Deutschland zurück. Wenn es einen Ort gibt, an dem Fußballtradition und -kultur im Überfluss vorhanden sind, dann sind es unsere Nachbarn im Osten. Ein Blick in die Seele des Fußballlandes Deutschland.

Neunzig Minuten Gesang, volle Stadien. Echten Fußballfans läuft bei dem Gedanken an den dortigen Fußball in Deutschland das Wasser im Mund zusammen Fußballkultur wörtlich und im übertragenen Sinne mit Großbuchstaben geschrieben.

Nirgendwo in Europa sind die Zuschauerzahlen so hoch wie in Deutschland. In der Bundesliga sind durchschnittlich pro Spiel die meisten Fans im Stadion. Und auch wenn wir auf die zweite Liga blicken, sticht die 2. Bundesliga aus allen anderen Zweitligisten hervor.

Sprechen Sie mit Huub Stevens über Fußball in Deutschland und es geht sofort um Fanatismus. „Das Erlebnis ist unglaublich toll, und das spiegelt sich auch in der Größe der oft ausverkauften Stadien wider.“

Der ehemalige Spieler und Trainer kann unter anderem auf Erfahrungen bei Schalke 04, VfB Stuttgart, Hamburger SV und Hertha Berlin zurückgreifen. In der vergangenen Saison war er mehrmals in Gelsenkirchen zu Gast. „Sie hatten eine dramatische Saison in der zweiten Bundesliga, aber das Stadion war jedes Mal voll.“

Sechzigtausend Mann, perfekt verbunden, sorgten dafür, dass die Supermacht einem weiteren Abstieg entging. „Es ist wirklich unglaublich. Die Bindung zwischen Fans und ihrem Verein macht den deutschen Fußball großartig. Gerade im Ruhrpot ist Fußball eine Lebenseinstellung. Es gibt dort viel Arbeitslosigkeit und Probleme. Fußball ist also ein gutes Ventil.

der zweite Weltkrieg

Nicht umsonst nimmt der Fußball einen besonderen Platz in der deutschen Gesellschaft ein. Um dies zu verstehen, müssen wir einige Jahrzehnte zurückgehen. Im Laufe der Geschichte hat der Sport immer eine entscheidende Rolle bei der Bildung nationaler Identität gespielt.

Der Gewinn von Wettbewerben oder der Gewinn von Goldmedaillen bei großen Sportveranstaltungen schafft Zusammenhalt und Stolz. Deutschland war auf der Suche nach einem Gefühl des Stolzes und nach etwas, an dem es sich nach seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg festhalten konnte.

Vor 1945 war die nationale Identität Deutschlands durch Nationalismus, nationale Symbolik und eine aggressive Herangehensweise an die internationale Politik geprägt. Nach der Kapitulation der Nazis verschwand die gesamte Grundlage nationaler Identität.

Aber um ein Land aufzubauen, braucht man Einheit, Solidarität und Gemeinschaftsgefühl. Angesichts der dunklen faschistischen Vergangenheit wurde eine einigermaßen neutrale Interpretation des Lebens bevorzugt.

Eine Möglichkeit, wie die deutschen Bürger in der Nachkriegszeit diese wichtigen Gefühle nationaler Identität neu entwickelten, war der Fußball. Eine auf den ersten Blick unpolitische Sportart schien eine sichere Wahl zu sein, der man seine Individualität verleihen konnte. Stolz, Solidarität und Einheit wurden durch den Gewinn von Weltmeistertiteln in den Jahren 1954 und 1974 gestärkt.

50+1

Dieser Zusammenhang hat bis heute Auswirkungen auf die aktuellen Regelungen des deutschen Fußballs. „Der deutsche Fan ist traditionell eng mit seinem Verein verbunden“, sagte Borussia Dortmund-Direktor Hans-Joachim Watzke 2016. „Und wenn er das Gefühl hat, dass er nicht mehr als Unterstützer, sondern als Kunde gesehen wird, haben wir ein Problem.“

Davor schützt die „50+1-Regel“ im deutschen Fußball. Mitglieder eines Vereins müssen daher 50 Prozent plus eine Stimme der Stimmrechte besitzen. Kurz gesagt: Die Fans haben das letzte Wort darüber, wie ein Verein geführt wird.

Dies spiegelt sich beispielsweise in den günstigen Einreisepreisen nach Deutschland wider. In der vergangenen Saison hatte man in der Bundesliga ein Abonnement – ​​allerdings auf der Tribüne – zwischen 150 und 256 Euro.

Zum Vergleich: In der nächsten Saison wird der Preis für ein Erwachsenenabonnement bei zahlenden Fußballvereinen im Norden zwischen 200 und 231 Euro schwanken. Vorausgesetzt, Sie bestellen vor dem 1. Juli.

Schönheit

„In Deutschland haben die Menschen eine andere Lebenseinstellung“, fährt Huub Stevens fort. „In Deutschland geht es ums Geschäft, in den Niederlanden denken wir, dass Schönheit wichtiger ist. Nicht nur im Fußball, sondern im gesamten Leben. In den Niederlanden sind wir ziemlich verwöhnt. Das bedeutet nicht, dass das eine besser ist als das andere, es ist eine Beobachtung.

Während die Fankultur in den Niederlanden im Allgemeinen recht brav ist, ist sie in Deutschland viel härter. Die Fankultur, wie wir sie heute in Deutschland kennen, begann sich nach der Gründung der Bundesliga (1963) und nach der Weltmeisterschaft 1974 zu formen, die bekanntlich von Deutschland auf nationalem Boden gewonnen wurde.

Es markiert den Aufstieg der Kutten, Anhänger in Jeanswesten, die mit Vereinswappen oder Hassbekundungen gegenüber ihren Rivalen verziert sind. Sie blieben bis zum Aufkommen der Ultra-Szene die „Chefs“ der deutschen Stadien. Dieser Trend breitete sich Mitte der 1990er Jahre von Italien aus über die Alpen aus. Während die Kuttens mit dem Singen zurückhaltend waren, sind die Ultras der Meinung, dass der Club achtzig Minuten lang sichtbar, unsichtbar und lautstark unterstützt werden sollte.

Immer politisch

Während sich die Kontakte zwischen Kutten auf einen Stadionbesuch beschränkten, gehen die sozialen Kontakte zwischen Ultras viel weiter. Und gerade durch diesen sozialen Kontakt außerhalb des Fußballs beschränkt sich ihre Identität nicht nur auf den Verein. In Deutschland haben viele Ultragruppen eine starke politische Meinung entwickelt. Von ganz links bis ganz rechts und alles dazwischen.

Nein, Fußballstadien sind schon lange nicht mehr unpolitisch, schon gar nicht in Deutschland. Doch wenn es um Fußball geht, sind Fans aller Vereine vereint gegen das große Übel.

Das haben wir letzte Saison gesehen, als die Deutsche Fußball Liga (DFL) einen desaströsen Plan ausheckte, die Rechte zur Übertragung von Fußballspielen an einen Investor zu verkaufen. Die Proteste dauerten monatelang an. Das ist verständlich, denn Fußball ist tief in der deutschen Seele verwurzelt.

Adelhard Simon

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