Brüggeling Jacques Sys: „Im Rennsport steckt mehr Heldentum als im Fußball“

Am 1. Oktober tritt Jacques Sys (72) als Chefredakteur des Sport/Voetbalmagazine in den Ruhestand. Der Brüggeling ruht sich nicht auf seinen Lorbeeren aus: Im März 2023 wird er ein neues Buch über die tausend besten internationalen Radsportler veröffentlichen.

Stand es in den Sternen, dass Jacques Sys Sportjournalist werden würde? „Nein, das hat das Schicksal so entschieden“, bekennt der in Köln als Sohn eines Berufssoldaten aus Koekelaar geborene Brüggeling. „Ich bin in einer belgischen Enklave aufgewachsen, umgeben von den Kindern anderer Soldaten. Als Teenager habe ich die deutsche Bundesliga verfolgt: Ich habe mir die angeschaut Sport zeigen im deutschen Fernsehen und war Fan des 1. FC Köln.

lottie

„Ich träumte davon, Journalist zu werden, aber damals gab es in unserem Land keine Journalistenschule. Daraufhin schrieb ich mich an der Fachhochschule in Utrecht ein. Nur 100 Studenten wurden zugelassen und es gab 250 Bewerber. Mit 130 haben wir die für die Aufnahmeprüfung erforderlichen 65% erreicht. 30 Namen wurden aus einem Kelch gefischt: Eine Lotterie bestimmte mein Leben!

Nach Jacques‘ Journalistikstudium fand 1974 die Weltmeisterschaft in Deutschland statt. „Ich habe einen Artikel über die Galeeren des niederländischen Teams geschrieben und ihn an das Magazin Sport 70 geschickt. Es wurde veröffentlicht und ich durfte in diesem Magazin ein Praktikum machen. Ich leistete damals noch meinen Wehrdienst in Köln und wurde beauftragt, die Spieler der deutschen Nationalmannschaft zu interviewen.

„Damals konnte man einen Spieler anrufen und einen Termin vereinbaren. Als ich Jupp Heynckes interviewte, brachte seine Frau Sandwiches mit. Iss mit uns, das schmeckt besser als das Armeeessen in der Kaserne, sagte sie! Ähnliches habe ich bei Hans Croon, dem Trainer von Waregem, erlebt. Ich sprach ihn auf dem Trainingsplatz an, er lud mich abends zum Essen ein. Seine Frau hatte für eine leckere Käseplatte gesorgt…“

„Der Sportjournalismus hat sich zum Schlechteren gewandelt. Einige Pressemanager von Sportmannschaften haben keinen journalistischen Hintergrund und verstehen die Bedürfnisse der Medien nicht. Sie schützen ihre Spieler und entscheiden, wer interviewt werden darf. Sie bzw. die Sportdirektoren wollen entscheiden, was zur Nachricht wird. Außerdem fordern sie, den Text vor der Veröffentlichung einzusehen und löschen Fragmente. Nicht nur kritische Passagen. Was viele Interviews, die faszinierendste Form des Journalismus, weniger gut macht. Ich habe einmal Vereinstrainer Christoph Daum interviewt. Nach einer Stunde, sagt der Pressesprecher, sei Schluss. Damals sprach der deutsche Trainer offen über seine Krebserkrankung. Zum Glück sagte er Nein, wir machen weiter!“

„Obwohl ich Fußball mehr mag, ist Radfahren lohnender, darüber zu schreiben. Da steckt mehr Heldentum drin und es herrscht seit Jahrzehnten ein verdorbenes Klima im Radsport. 1975 durfte ich zum ersten Mal über die Tour de France berichten. Ich habe mit namhaften Sportjournalisten am Tisch gesessen, die jeden Abend ein kulinarisches Fest veranstalteten. Es wurde offen über Doping gesprochen, das war klar. Es war untrennbar mit dem Radsport verbunden. Aber zu meiner Überraschung durfte man nicht schreiben irgendetwas darüber. Es gab eine omertaDie Welt des Radsports war eine geschlossene Familie.

1989, als Sport 80 und Sport Magazine fusionierten, zog Jacques Sys zu Roularta. Fünf Jahre später wurde er Chefredakteur von Sport und Voetbalmagazine, die 2001 fusionierten. „Nach 20 Jahren als Autor war ich bereit für eine neue Herausforderung: ein Sportmagazin zu produzieren, im Auftrag von Rik Denolf! Als wir Franky Van der Elst 17 Mal interviewten, wollten wir etwas anderes machen. Ich könnte auch Radsport-Journalist für Het Laatste Nieuws werden, aber als Westflame fühlte ich, dass meine Zukunft bei Roularta liegt.

„Jetzt, wo der Fokus zunehmend auf Online-Tagebüchern liegt, überlasse ich diese Herausforderung gerne meinem Nachfolger Bart Aerts. Aus Sport/Voetbalmagazine ist ein Monatsmagazin geworden. Ohne in vergilbte Fake-Romantik verfallen zu wollen, hoffe ich, dass die derzeitige Betonung von Klickzahl und Geschwindigkeit nicht auf Kosten von Qualität, Tiefe und Interpretation geht. Ich war der Druckmann, natürlich ist digital die Zukunft. Aber die Medien müssen in der Lage sein, weiterhin schöne, lange Geschichten zu liefern, die die Leser wertschätzen können. »

Traurigkeit

„Mein schönstes Erlebnis? Die WM 2006 in Deutschland, als das ganze Land schwarz-gelb-rot wurde. Die Begeisterung auf den Straßen war enorm. Das emotionalste Gespräch, das ich je geführt habe, war das mit Fußballer David Brocken aus Lierse, der seine schwangere Freundin bei einem schweren Unfall verloren hatte. Sehr auffällig war auch das Treffen mit Morten Olsen, der in Oostkamp lebte, dann aber für Anderlecht spielte. Er sprach sehr offen über seine große Trauer: Seine Freundin war auf einer Fähre in Dänemark spurlos verschwunden. Jetzt, nach dem Krieg in der Ukraine, blicke ich mit gemischten Gefühlen auf das Finale der Fußball-EM 2012 in Kiew zurück. Diese Stadt war voll von breiten Alleen, ein auffallender Kontrast zum Elend des Landes …“

Adelhard Simon

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