Was tun mit russischen und belarussischen Athleten? Nach dem Einmarsch in die Ukraine Ende Februar standen Sportverbände weltweit vor dieser Frage. Seitdem ist der Fall nur noch komplizierter geworden. Je länger der Krieg dauert, desto weniger Einigkeit herrscht in der Sportwelt.
Jüngstes Beispiel: Der Italienische Turnverband zog sich am Mittwoch aus dem jährlichen FIG-Weltturnkongress zurück, um gegen die Teilnahme Russlands zu protestieren, berichtete er. Sport-Website Innerhalb der Spiele. Die Ukraine, Norwegen, Polen, Litauen und Estland haben zuvor angekündigt, dass sie aus demselben Grund nicht teilnehmen werden.
Die erneute Präsenz russischer (belarussischer) Delegationen führte zu weiteren Meinungsverschiedenheiten innerhalb des Sportrates. Am 30. September wurden Delegationen aus den skandinavischen Ländern und der Ukraine fast buchstäblich zum Schweigen gebracht, als sie bei einer Sitzung des Europäischen Olympischen Komitees demonstrierten. aussprechen wollte gegen russische und belarussische Beteiligung. Die Mikrofone der ukrainischen und schwedischen Teilnehmer wurden während des Treffens abgeschaltet, weil nach Angaben der Organisation „politische Äußerungen“ verboten waren.
IOC-Beratung
Ende Februar unterrichtet das Internationale Olympische Komitee (IOC) an große Sportveranstaltungsorganisationen, vorzugsweise Athleten aus Russland und Weißrussland zu verweigern, die „Integrität“ dieser Veranstaltungen zu überwachen und „die Sicherheit der Athleten zu gewährleisten“. Viele Sportverbände sind dem Rat des IOC gefolgt. So waren russische Athleten beispielsweise bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Eugene im vergangenen Juli und bei der „Multi-Europameisterschaft“ in München im vergangenen August, bei der Meisterschaften in neun Sportarten ausgetragen wurden, nicht erwünscht.
Doch inzwischen hat IOC-Präsident Thomas Bach den russischen und weißrussischen Athleten wieder die Tür geöffnet. Er deutete Ende September an, auch künftig an internationalen Sportwettkämpfen teilnehmen zu können, sofern sie sich vom russischen Krieg in der Ukraine distanzieren. „Es geht nicht unbedingt darum, Russland zurückzubekommen“, sagte er. die italienische zeitung Corriere della Serasondern für die Wiederherstellung von „Athleten mit russischen Pässen, die den Krieg nicht unterstützen“.
Es deutet auf eine Umkehrung hin. Bei den Judo-Weltmeisterschaften, die letzte Woche in Usbekistan stattfanden, durften Russen und Weißrussen unter neutraler Flagge antreten. Auch bei drei der vier Tennis-Grand-Slam-Turniere sind sie willkommen. Nur Wimbledon verweigerte diesen Athleten die Aufnahme, woraufhin dem Turnier von den internationalen Tennisverbänden ATP und WTA schnell Ranglistenpunkte entzogen wurden.
Auch NOC-NSF finden dass einzelne Athleten an großen Turnieren teilnehmen können sollten, solange sie nicht Russland oder Weißrussland vertreten. „Wir glauben an die verbindende Kraft des Sports“, sagt Geschäftsführer Marc van den Tweel. Der niederländische Sportdachverband geht nicht so weit wie Bach, von Sportlern ein politisches Statement zu fordern. „Der CIO hat keine assoziative Struktur, also kann er finden, was er denkt.“ Laut NOC-NSF gehen Bachs Äußerungen auf seine Kosten.
Politische Flüchtlinge
Die Frage sei ein großer Balanceakt für das IOC, sagt die Philosophin und ehemalige Leichtathletin Sandra Meeuwsen, Direktorin des Erasmus Center for Sport Integrity and Transition. „Das sind schwache Versuche des IOC, politisch Stellung zu beziehen, ohne sich in eine globale politische Debatte einzumischen.“ Sport sei ein Spielzeug der internationalen Beziehungen, sagt sie. „Insofern ist es positiv, dass sich das IOC in Sachen Bündnisse mit Ländern wie Russland neu aufstellt, um wieder auf der richtigen Seite zu stehen.“
Aber es ist nicht ganz ohne Risiko, sagt Meeuwsen. Bachs Forderung, sich vom Einmarsch in die Ukraine zu distanzieren, veranlasst Sportler zu einer politischen Haltung. „Ich glaube nicht, dass es möglich ist. So machen Sie Sportler zu politischen Flüchtlingen im eigenen Land. Russland sagte, Bachs Äußerungen würden „gegen olympische Prinzipien verstoßen“. Laut Sportminister Oleg Matytsin zwingt der deutsche Präsident des IOC russische Sportler, sich als „Vaterlandsverräter“ zu verhalten, um an sportlichen Großveranstaltungen teilzunehmen.
Russland wird zweifellos die Entwicklungen in der Welt des internationalen Sports mit Interesse verfolgen. Sport werde vom Land ständig für Propaganda und Imageförderung genutzt, sagt Tony van der Togt, leitender Russland- und Europaforscher am Clingendael Institute. „Russland will weiter glänzen: Wir sind ein großes und wichtiges Land.“
Da hilft es auch nicht, dass das IOC und die internationalen Sportverbände bei der Zulassung russischer und weißrussischer Athleten nicht alle gleich behandeln, sagt Van der Togt. „Damit signalisieren Sie, dass Sie sich nicht darum kümmern, was in der Ukraine passiert. Das wird von den Russen missbraucht.
Das Thema wird erneut auf der Tagesordnung der nächsten Generalversammlung aller Internationalen Olympischen Komitees (ANOCs) nächste Woche in Seoul stehen. Bach ist der erste Redner dort und wird voraussichtlich das Thema ansprechen. Er wird dies vor den eingeladenen Olympischen Komitees von 205 Ländern tun, darunter Russland und Weißrussland.
Eine Version dieses Artikels erschien am 14. Oktober 2022 auch in der Zeitung
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