Auf der Leipziger Buchmesse: Booktok, Cosplay und Politik

Wer liest noch?„, lesen wir in großen Lettern auf einem Banner in der Lobby des Leipziger Bahnhofs. Das Motto der diesjährigen Buchmesse wirkt ein wenig wie ein vergangener Glanz. Als wären die goldenen Zeiten der Bücher nun wirklich vorbei. Na ja, wer liest eigentlich? im digitalen Zeitalter und wer besucht noch eine Buchmesse?

Ein paar Meter weiter, mit der Straßenbahn Richtung Leipziger Messegelände: Gedränge Menschenmenge und immer mehr Menschen steigen ein. Einige sind als Cosplayer verkleidet; Es gibt viele junge Leute. Christa Ritter ist trotz des Andrangs gut gelaunt. Wie jedes Jahr fuhr sie zur Buchmesse nach Leipzig. „Wegen der Tagungen und der guten Atmosphäre.“ Ihr Mann begleitet sie. Die Frau mit der rosa-orangenen Brille und den kurzen Haaren erinnert sich noch gut daran, wie sie zu DDR-Zeiten hierher kam. Heute ist der Aktienmarkt ganz anders. „Aber die besondere, familiäre Atmosphäre blieb“, sagt Ritter. „Leipzig war schon immer eine Stadt der Bücher. Aus ganz Mitteldeutschland kamen und kommen Menschen hierher.“

Bereits im 16. Jahrhundert war Leipzig eines der bedeutendsten europäischen Druckzentren. Im Laufe der Zeit haben sich dort viele Verlage niedergelassen, etwa Brockhaus, Insel und Reclam. Dies gelang Leipzig vor rund 400 Jahren erstmals Namen als Buchmessestadt. Schnell überholte sie ihre große Schwester, die Frankfurter Buchmesse. Im Jahr 1730 stellte die Messe bereits 700 Buchtitel aus, während die Frankfurter Messe nur 100 Titel präsentieren konnte.

Die Buchmesse unter dem Namen „Fenster zur Welt“

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Frankfurter Buchmesse erneut zur größten Buchmesse. Dennoch spielte die Leipziger Buchmesse auch im sozialistischen Ostdeutschland eine wichtige Rolle für lese- und wissenssuchende DDR-Bürger und für den deutsch-deutschen Kulturaustausch. Denn auch westliche Verlage stellten in Leipzig aus. Für das DDR-Regime war dies eine Selbstverständlichkeit, denn es konnte die Messe nutzen, um seine eigene Literatur auf der internationalen Bühne zu präsentieren.

Lesetipps:
– „Ich liebe die Bücher von Hermann Hesse. Seine Geschichten haben etwas Mystisches und sprechen von persönlichem Wachstum. »
Mariken Heitman, Schriftstellerin
-„Juli Zeh empfohlen. Sein in Ostdeutschland spielender Roman „Unterleuten“ ähnelt unserem Leben.“
Christa Ritter, Besucherin
– „‚Mein Freund Otto, das wilde Leben et moi‘ van Silke Lambeck. Lustige, ironische Geschichte, aber auch für Kinder, die in Berlin spielt. „Bodentiefe“ ist nur für Erwachsene Anke Stelling empfohlen.“
Andrea Kluitman, Literaturübersetzerin
– „Ich bin ein großer Fan des Fantasy-Designers und Autors Walter Moers. Er hat seinen eigenen Humor und seinen eigenen Stil.
Max, Cosplayer

Auch wenn Bücher ausländischer Verlage zensiert werden mussten und verdächtige Bücher nicht zugelassen wurden, bot die Messe dennoch Lesestoff, der sonst unzugänglich gewesen wäre. Leipziger Buchmesse für Besucher geöffnet Fenster zur Welt (Fenster zur Welt), wie manche es nennen im Nachhinein beschreiben. Da die ausgestellten Bücher nicht zum Verkauf standen, wurden sie im Stehen gelesen, kopiert oder gestohlen. Es wurden sogar spezielle Jacken mit Stauraum für Beute genäht. Je öfter ein Buch gestohlen wird, desto höher ist sein Marktwert.

Lange Warteschlangen dank Booktok

Besonders in Erinnerung bleiben Christa Ritter die Kinderbücher aus der DDR, die „ideologisch recht bunt waren“. Noch heute liest sie gerne Kinderliteratur, um herauszufinden, welche Themen junge Menschen heute beschäftigen. „Die Tabus der Vergangenheit existieren nicht mehr und Autoren gehen heute viel offener mit der Vergangenheit um.“

Ritter folgt einem Trend: Gender Neuer Erwachsener, das sich durch eine Mischung aus Fantasy, romantischen Geschichten und kunstvoll verzierten Buchcovern auszeichnet, ist – nicht zuletzt dank Booktok – ein Magnet für Buchmessebesucher. Jugendliche und junge Erwachsene stehen Schlange und warten geduldig darauf, dass ihr Lieblingsautor ihr neues Lieblingsbuch signiert.

Im Nebenzimmer warten Max und seine Freunde auf ihren großen Auftritt. Sie sind als Hutmacher, Herzkönigin, Weiße Königin und Märzhase verkleidet, alles Figuren aus „Alice im Wunderland“. Sie haben ihre eigenen Kostüme angefertigt und nehmen jetzt am Kostümwettbewerb der Manga Comic Convention teil. Der Kongress fand bereits zum zehnten Mal auf der Leipziger Messe statt. Max war schon mehrere Male dort. Was fasziniert ihn an der Buchmesse? „Natürlich die Bücher, aber auch die Menschen, die wir hier treffen.“

Festlicher Charakter

Neben Messe und Manga-Comic-Con findet das Festival „Leipzig liest“ statt, mit zahlreichen Veranstaltungen in der ganzen Stadt – auch im Zoo oder auf dem Friedhof, wo beispielsweise Detektive vorgelesen werden.

Auch die Gastgeberländer der diesjährigen Buchmesse, die Niederlande und Flandern, sind im Festivalprogramm vertreten. Wenn Connie Palmen auf einer Party die Bühne betritt, um über ihr neuestes Buch „Especially Women“ zu sprechen, applaudiert das Publikum wie bei einem Popkonzert. Seine selbstironischen Kommentare lösen schadenfrohes Gelächter aus. Dann greift ein Mann mittleren Alters in Erwartung eines Autogramms in eine Tasche und holt mehrere Palmen-Bücher heraus. „Diesmal sollte es klappen, ihn unter Vertrag zu nehmen“, sagte er hoffnungsvoll.

Als Gastgeberland konzentrieren sich die Niederlande und Flandern vor allem auf junge Nachwuchsautoren, die ebenfalls gut aufgenommen werden. Mariken Heitman etwa mit ihrem Buch „Wormmaan“ über eine persönliche Identitätssuche. Das Buch ist gerade in Deutschland unter dem Titel „Wilde Erbsen“ erschienen. Als Heitman gebeten wird, ein kurzes Fragment auf Niederländisch vorzulesen, herrscht Stille. Das Publikum hört aufmerksam zu. Wenn dann eine längere Passage auf Deutsch vorgetragen wird, lacht das Publikum über den subtilen Humor, der durch den Text schimmert. „Ich muss immer noch verstehen, warum mein Buch hier so gut ankam“, sagt Heitman, angenehm überrascht von den Nachwirkungen. „Es ist wie ein heißes Bad.“

Der direkte Kontakt zwischen Lesern und Autoren ist wohl das Erfolgsgeheimnis der Leipziger Buchmesse. Die Frankfurter Buchmesse präsentiert sich vor allem als internationale Fachmesse für Gleichgesinnte.

Doch trotz seiner fröhlichen und festlichen Atmosphäre ist Leipzig auch politisch: Die aktuellen Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten werden auf den Bühnen und Ständen der Buchmesse ebenso oft thematisiert wie der Kampf für Demokratie und gegen Extremismus in RIGHT.

Politische Aussagen

Bild: Petra Schulze Göcking/DIAWährend der VeranstaltungAlles von Hass» (Alles außer Hass) geben beispielsweise junge Autoren aus den Niederlanden, Flandern und Deutschland ein literarisches Statement auf der Grundlage persönlich ausgewählter Texte. Mit dem Slogan „Bücher, die löschen, wo sie stehen“ bringen die Verlage ihre Position gegen rechts deutlich zum Ausdruck. Und auf einem Banner des Verlags Katapult steht handschriftlich: „AfD kacké“ (so etwa: Scheiße AfD). Ein paar Meter entfernt präsentieren auch zwei kleine rechte Verlage ihre Sammlung, einer davon mit dem Slogan „Unser Programm ist der Umfang des Verdrängten» (Unser Programm ist die Rückkehr der Unterdrückten).

Auch die neue und alte Debatte um die ost-westdeutschen Beziehungen wird thematisiert. Zwei – sehr unterschiedliche – Bücher zu diesem Thema wurden in diesem Jahr für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert: das Buch „Tausend Aufbrüche“, in dem die Historikerin und ehemalige Mitarbeiterin des Deutschen Instituts Christina Morina die unterschiedlichen Visionen von Demokratie im Osten und im Osten diskutiert der Westen. Deutschland seit den 1980er Jahren; und die Graphic Novel „Genossin Kuckuck“, in der die Künstlerin Anke Feuchtenberger in einer autofiktionalen Geschichte ihre Kindheit und Jugend in einem Dorf in der DDR erzählt.

Christa Ritter ist nun am Stand der Gastgeberländer Niederlande und Flandern angekommen und beäugt neugierig die Vitrine mit verschiedenen deutschen Übersetzungen niederländischer Bücher. Na, wer liest noch? Christa Ritter tut es auf jeden Fall. Und mit ihnen die rund 280.000 Besucher, die in diesem Jahr zur Leipziger Buchmesse kamen.

Adelbert Eichel

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