Altkanzler Schröder hat gut auf sich selbst aufgepasst – und auf Putin

In den Monaten nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine diskutierten die deutschen Sozialdemokraten über den Ausschluss des ehemaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder aus der SPD. Auch nach Kriegsbeginn weigerte sich Schröder, sich von Präsident Wladimir Putin zu distanzieren, und in den Jahren zuvor hatte Schröder maßgeblich zur Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas beigetragen. Der Ausschluss aus der Partei scheiterte jedoch, da nicht nachgewiesen werden konnte, dass Schröder gegen die Parteisatzung verstoßen hatte.

Letzte Woche wurde bekannt gegeben, dass Schröder im Oktober von der SPD-Landesgruppe Hannover für seine 60-jährige Parteizugehörigkeit geehrt wird. Schröder erhält dafür eine Anstecknadel und eine Belobigung. Für einige Sozialdemokraten übertreffen Schröders Erfolge immer noch seine Bemühungen um den russischen Präsidenten.

Schon früh in Gerhard Schröders politischer Karriere wurde deutlich, dass dem SPD-Mann der persönliche Gewinn wichtiger war als etwas Abstraktes wie Menschenrechte. 1985 versprach Schröder bei einem Besuch beim DDR-Staatschef Erich Honecker, das westdeutsche Forschungsinstitut abzuschaffen, das Menschenrechtsverletzungen in der DDR aufzeichnete. Schröder versichert Honecker, dass die Institution abgeschafft wird, sobald er an die Macht kommt: Schröder tauscht mit Honecker in aller Ruhe Gerechtigkeit für die politischen Gefangenen der DDR gegen einen weißen Fuß ein.

Zwei Herausgeber von Frankfurter Allgemeine Zeitungschrieben Reinhard Bingener, Korrespondent in Hannover, und Markus Wehner, politischer Journalist in Berlin und ehemaliger Korrespondent in Moskau. Diese Verbindung mit Moskau, in dem sie ausführlich Gerhard Schröders Weg zur Kanzlerschaft und das Netzwerk, das er dabei aufgebaut hat, beschreiben. Sorge bereitet den Autoren vor allem der Einfluss, den Schröder auch nach der Übergabe seines Amtes an Angela Merkel im Jahr 2005 weiterhin ausübte – nicht zugunsten Deutschlands, sondern zugunsten seiner selbst und Putins.

Hannover, die politische Heimatstadt Schröders, werde auch das „Erzbistum“ der SPD genannt, schreiben die Autoren. Der SPD-Ableger in der niedersächsischen Landeshauptstadt ist ein Machtzentrum, das großen Einfluss auf die Nationalsozialdemokraten ausübt, aber auch eigene Schwerpunkte hat. Schröder, ein junger Sozialdemokrat aus der Universitätsstadt Göttingen in den 1960er und 1970er Jahren, war zunächst überzeugter Marxist, wurde aber mit seinem Aufstieg in der Partei schnell pragmatischer. Die niedersächsische SPD ist der Wirtschaft näher als die Sozialdemokraten anderswo, denn das Land besitzt 20 Prozent der Anteile am Wolfsburger Volkswagen. Auch der Ministerpräsident des Bundesstaates sitzt automatisch im Aufsichtsrat.

Gazprom und Rosneft

In Hannover scharte Schröder viele Vertraute um sich. Sie blieben ihm lange treu und profitierten später, wie Schröder selbst, persönlich von den Verbindungen zu Russland. Frank-Walter Steinmeier, der derzeitige Bundespräsident, wurde schon sehr früh Mitarbeiter von Schröder. Damals, 1991, war er niedersächsischer Ministerpräsident. Später, als Angela Merkel ihn bei der Wahl 2005 besiegte, schlug Schröder Steinmeier für das Amt des Außenministers vor: Steinmeier müsse Schröders Arbeit fortsetzen und insbesondere die deutsch-russischen Beziehungen pflegen. Steinmeier verteidigt den Bau der Ölpipeline Nord Stream 2 zwischen Russland und Norddeutschland bis 2021; Nach Beginn des Krieges in der Ukraine entschuldigte er sich dafür.

Das Ehepaar Schröder heißt zwei russische Kinder zur Adoption willkommen, ohne administrativen Aufwand

Seit Beginn seiner Präsidentschaft (im Jahr 2000) engagierte sich Putin voll und ganz für seine Beziehungen zu Schröder. Das Ehepaar Schröder und Putin feiert gemeinsam Weihnachten und Geburtstage und sitzt gemeinsam in der Sauna. Das Ehepaar Schröder begrüßt zwei russische Kinder zur Adoption, ohne administrativen Aufwand. Unmittelbar nach dem Ende seiner Kanzlerschaft wechselte Schröder 2005 zum russischen Staatsgaskonzern Gazprom und anschließend zum Staatsenergiekonzern Rosneft.

Ein weiterer Schröder-Vertrauter aus Hannover ist Sigmar Gabriel, der spätere Wirtschafts- und Außenminister unter Merkel. Unter Gabriel, der, wie die Autoren feinfühlig betonen, Putin sogar um ein Autogramm für einen seiner Bekannten bat, verkaufte die deutsche Wintershall, die damals zum Chemiekonzern BASF gehörte, den größten deutschen Gasspeicher an Gazprom. Dieses Lager erwies sich zu Beginn des Krieges in der Ukraine als überraschend leer. Unter Gabriel wird der Anteil Deutschlands am aus Russland importierten Gas 55 Prozent erreichen. Nach einer Maxime der deutschen Energiepolitik, die Gabriel ignoriert, dürfen die Importe aus einem Land maximal 30 Prozent erreichen.

Auch 2017, nach der Annexion der Krim und groß angelegten russischen Bombenanschlägen in Syrien, lehnte Gabriel Sanktionen gegen Russland ab. Laut den Autoren ist dies einer der Gründe, warum Merkel an Nord Stream 2 festhält: Die Sanktionen bleiben in Kraft, im Gegenzug behält der Koalitionspartner SPD Nord Stream 2.

Persönliche Bereicherung

Noch bemerkenswerter als Schröders anhaltender Einfluss durch seine politischen Verbindungen ist die persönliche Bereicherung Schröders und seiner Verbindungen innerhalb des Hannoveraner Netzwerks. Als wichtigen Akteur im Netzwerk nennen die Autoren beispielsweise Heino Wiese. Wiese war zeitweise Vorsitzender der SPD-Landesgruppe Hannover und Wahlkampfleiter Schröders. Später wurde Wiese „Politikberater“ mit einem Büro direkt unter Schröders Wohnung in Berlin. Unternehmen können sich über ihre persönlichen Kontakte an Wiese wenden, um bürokratische Hürden in Russland zu überwinden. Wiese nutzt dafür Schröders gute Kontakte.

Die Menschengruppe um Schröder und Wiese zeigt, dass das SPD-Biotop Hannover ein Ort war, an dem Männer untereinander bei Bier und Wein Geschäfte machten. Auch hier sind direkte menschliche Kontakte wichtiger als größere, abstraktere Interessen wie Unabhängigkeit oder Souveränität.

Altkanzler Schröder (rechts) und Präsident Putin im September 2005 in Berlin, wo die beiden Länder den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 beschlossen. Foto Sean Gallup/Getty

Schröder will seinen Platz in der Geschichte nicht dem Zufall überlassen. Seit 2015 gilt die über tausend Seiten umfassende Biografie von Gerhard Schröder, verfasst vom Historiker Gregor Schöllgen, als Nachschlagewerk. Bis zu seiner Emeritierung vor einigen Jahren war Schöllgen Professor an der Universität Erfurt und leitete dort ein Institut für Angewandte Geschichte. Doch als Schöllgen begann, seine Biografie zu schreiben, erhielt sein Institut 100.000 Euro von Wintershall, einer BASF-Tochter, die eng mit Gazprom zusammenarbeitet. Schröder hatte diese 100.000 Euro mit zwei Vorträgen für dieses Unternehmen „verdient“, doch auf seinen Wunsch hin wurde das Geld an das Historische Institut überwiesen, anstatt auf Schröders Bankkonto überwiesen zu werden. Der Biograf beharrt darauf, dass er trotz der Spende von 100.000 Euro seine Meinung zum Altkanzler nicht hinterlassen habe. Bemerkenswert ist, dass Schöllgen Schröders Arbeit für Gazprom als „völlig richtig“ bezeichnet.

Hannover war ein Ort, an dem man Geschäfte untereinander bei Bier und Wein abschloss

Die Autoren Bingener und Wehner korrigieren diese Geschichtsschreibung „Schröders“ in ihrem Buch zumindest. Aber auch abseits von Schröders Biografie müssen die deutschen politischen Parteien, insbesondere die SPD, noch viele Fehleinschätzungen angehen und korrigieren.

Reinhard Bingener und Markus Wehner: Diese Moskau-Verbindung. Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit. CH Beck, 300 Seiten. €18,-

Adelbert Eichel

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