Hier schreiben Peter Giesen und Sheila Sitalsing abwechselnd darüber, was ihnen passiert ist oder was ihnen auf der Straße und am Straßenrand aufgefallen ist.
„Wer ein Eisenbahnabteil betritt, verzichtet auf seine Freiheit. Jede Bahnfahrt ist ein Gefangenentransport“, schrieb der deutsche Dichter Otto Julius Bierbaum 1902. Der Wagen befreite Bierbaum von den Zwängen des Fahrplans, vom Gedränge im Bahnhof und vor allem von der Anwesenheit lästiger Mitreisender. „Nie wieder laufen wir Gefahr, mit einer unerträglichen Person in einem Abteil eingesperrt zu werden, deren Fenster auch bei brütender Hitze nicht geöffnet werden dürfen“, schrieb er.
Immer öfter denke ich an Bierbaum, wenn ich mit der Bahn fahre. In Frankreich hören wir im TGV eine Stecknadel fallen. Sie können auf dem Balkon telefonieren. Natürlich lässt sich diese Form der Etikette nicht in unserem „Wir-machen-vom-Land“-Weg durchhalten. Es gibt also laute Gespräche und endloses Geschwätz am Telefon. Ebenfalls im Trend: Videos schauen mit eingeschaltetem Lautsprecher, als wären Kopfhörer noch nicht erfunden.
Solange sich die Passagiere in ihrer eigenen geschlossenen Blase befinden und Musik über Kopfhörer spielen, gibt es nichts zu befürchten. Schlimmer sind Reisende, die eine halbdurchlässige Blase errichtet haben. Sie können sie nicht selbst durchdringen. Sie vermeiden Augenkontakt und sind völlig in das Telefongespräch vertieft, das sie führen. Aber umgekehrt schreien sie die intimsten Informationen schamlos durch den Waggon. Ich habe zum Beispiel gehört, wie Reisende ihre Beziehung beendeten („Verdammt, Motherfucker, ich dachte, ich könnte dir vertrauen“) oder die sexuellen Eigenschaften eines Mädchens bewerteten („Sie ist so geil, sie macht alles außer Anal“).
Flüge in die erste Klasse bieten keinen Trost. Geschäfte werden per Telefon erledigt und der Managerjargon hallt wider („Piet ist der Motor dieses Projekts, aber er wird allmählich zu einem Handicap, wir müssen hier aktiver werden“). Fahrgäste in modernen Zügen kommunizieren mit der Außenwelt, behandeln sich aber wie Luft. Öffentliche Verkehrsmittel gibt es nicht mehr. Es ist ein kollektiver Individualverkehr geworden.
Als Historiker bin ich vorsichtig mit meinem eigenen Murren. Sind Reisende tatsächlich lauter geworden? Oder werde ich mit zunehmendem Alter schneller wütend? Oder beides? So oder so sehne ich mich nach dem Auto der Zukunft, das autonom auf der Autobahn fährt. Lesen und arbeiten Sie unterwegs wie im Zug, aber ohne den Lärm anderer Fahrgäste. Wenn wir in Blasen reisen, wähle ich lieber meine eigene Blase.
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