Fußballer scheinen häufiger über Missbrauch zu sprechen: „Menschenrechte gehen sie auch an“

Die niederländische Nationalmannschaft will, dass die Angehörigen von Gastarbeitern, die beim Bau von Fußballstadien in Katar ums Leben kamen, eine Entschädigung erhalten. Der Kapitän wird auch ein OneLove-Band tragen. Es sieht nach mehr Aktivismus im Fußball aus.

In mehr als 4 Wochen beginnt die Weltmeisterschaft in Katar und zum ersten Mal seit 8 Jahren ist auch Orange dabei. Fragt sich nur, ob es auch Grund zum Feiern gibt: Es gibt viel zu tun rund um das Fußballturnier, gerade was die Menschenrechtslage im Ölstaat betrifft. . Der Aufruf zum Boykott wird auch aus der Welt des Fußballs selbst laut.

Zehntausende Tote in Katar

„Es war reine Sklaverei, die am Ende Tausende von Menschen tötete.“ Ruud Bosgraaf von Amnesty International macht keinen Hehl daraus. „Das ungeheuer reiche Katar holte arme Menschen aus Ländern wie Bangladesch und Nepal, um die WM-Stadien zu bauen. Sie hatten keine Rechte, wurden unterbezahlt oder erhielten manchmal keine Gehälter.“

Ganz zu schweigen von den vielen Toten, die während der Bauarbeiten zu beklagen waren. „Reporter der britischen Zeitung The Guardian reisten in die Herkunftsländer der vermissten Arbeiter und kamen zu dem Schluss, dass es etwa 65.000 Tote gegeben haben muss“, sagt Bosgraaf.

„Zusätzliche Aufmerksamkeit dank der Fußballer“

Berichte über Missbrauch wurden erst richtig laut, als Fußballspieler anfingen, über das Problem zu sprechen. „Wenn wir einen Bericht schreiben, ist das toll. Wenn Teun Koopmeiners oder der deutsche Nationalspieler Toni Kroos das sagen, fällt das plötzlich auf“, erklärt er.

„Menschenrechte gehen natürlich auch Fußballer an“, sagt der ehemalige Profifußballer Evgeniy Levchenko. Heute ist er Vorsitzender der Association of Contract Players (VVCS), einer Interessenvertretung für Profifußballer. „Ich freue mich, dass sich immer mehr Spieler zu Wort melden.“

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Kein Boykott der WM 1978

Es war nicht immer so, dass Fußballer sich über die Situation in einem Gastgeberland äußern. So fand beispielsweise die Fußballweltmeisterschaft 1978 im Argentinien des damaligen Diktators Jorge Videla statt. „Zum ersten Mal hat eine Weltmeisterschaft in einem Land stattgefunden, in dem Menschenrechte verletzt werden“, sagt der Sporthistoriker Jurryt van der Vooren.

„Es gab nicht viele Proteste vom Fußball. Die Spieler wollten das wirklich nicht kommentieren“, erklärte er. Damals sprach nur ein Spieler darüber: Uilke Piebe ‚Oeki‘ Hoekema. Er wurde nicht ins Orange-Team berufen, plädierte aber dennoch für einen Boykott der WM. „Wim van Hanegem hat ihn dann geknebelt.“

Wie eine Beförderung für den Diktator

Auch Amnesty war 1978 nicht für einen Boykott. „Sie sagten, Videlas Regime habe Gegner aus ihrer Heimat geholt, und diese Leute seien nie zurückgekommen, aber sie hätten keine Verbindung zur Pokalwelt hergestellt“, sagte Van der Vooren.

In den Archiven entdeckte der Sporthistoriker, dass Amnesty erst 2 Monate vor der WM einen Boykott unterstützte. „Ein Dokument ist aufgetaucht, aus dem hervorgeht, dass Videla die Ankunft der Weltmeisterschaft als Werbeaktion für Argentinien nutzen wollte.“ Dann rief auch Amnesty zum Boykott auf. Dieser verspätete Aufruf zum Boykott war zwecklos. Die Niederlande nahmen an der Weltmeisterschaft teil und verloren schließlich das Finale gegen das Gastgeberland.

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Pay-up-Kampagne von Amnesty

VVCS-Präsident Levchenko hätte es vorgezogen, wenn die bevorstehende Weltmeisterschaft in Katar boykottiert würde. „Aber jetzt ist es zu spät“, gibt er zu. Die Spielervereinigung schließt sich der Pay Up-Kampagne von Amnesty an. Die Menschenrechtsorganisation will, dass die Angehörigen verstorbener Gastarbeiter von der FIFA insgesamt 440 Millionen Dollar erhalten.

„Die FIFA verdient 6 Milliarden Dollar mit der Weltmeisterschaft. Diese 440 Millionen Dollar sind das Preisgeld, was wir für eine angemessene Entschädigung halten“, sagt Bosgraaf von Amnesty. Auch Nationaltrainer Louis van Gaal hat seine Unterstützung für die Aktion bekundet, ist aber der Ansicht, dass die Fußballverbände jetzt mehr gegen die FIFA kämpfen sollten.

Kapitän OneLove

„Spieler sollten Fußball spielen und sich nicht in der Politik engagieren. Dafür sind sie nicht ausgebildet“, sagte van Gaal zuvor. Kapitän Orange wird jedoch während der WM die viel diskutierte Kapitänsbinde von One Love tragen. Ist das nicht ein politisches Statement?

„Es ist ein Missverständnis, dass es sich um Regenbogenfarben handelt und es sich nur um eine Aktion für LGBTI-Rechte handelt“, sagte Levchenko. „Das Band hat auch andere Farben wie Schwarz und steht für Gleichheit und Gleichberechtigung, unabhängig von Hautfarbe, Weltanschauung oder sexueller Orientierung.“

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„FIFA ist grundsätzlich gegen die Vermischung von Sport und Politik“

Der Präsident des VVCS-Spielerverbandes freut sich, dass neben dem Kapitän der Niederlande auch die Kapitäne von Belgien, Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Norwegen, Wales, Schweden und der Schweiz das OneLove-Armband bei ihren Länderspielen tragen.

Obwohl Virgil van Dijk und Georginio Wijnaldum bereits das OneLove-Band tragen, warnt Sporthistoriker Van der Vooren davor, dass die FIFA noch eingreifen kann. So wollten England, Wales, Schottland und Nordirland 2016 mit einem speziellen Gedenkband an den Ersten Weltkrieg erinnern. „Die Fifa hat daraufhin Bußgelder verhängt, weil der Verband grundsätzlich gegen die Vermischung von Sport und Politik ist.“

„Wenn etwas nicht stimmt, muss man sich trauen, es zu sagen“

Levchenko ist daher der Ansicht, dass der KNVB und andere nationale Fußballverbände die Führung übernehmen und sich (weiterhin) an die FIFA wenden sollten, um die Menschenrechtssituation in Katar anzusprechen. Gleichzeitig sei er „wirklich stolz“ auf Spieler, die sich für Menschenrechte einsetzen und sich gegen Rassismus aussprechen.

Levchenko lobt auch Van Gaal. Als sich herausstellte, dass Katar dank Schmiergeldern zum Gastgeberland der WM 2022 gewählt worden war, verbarg der Bundestrainer seine Unzufriedenheit darüber nicht. „Ich bin sehr stolz auf Louis van Gaal. Wenn etwas nicht stimmt, muss man sich trauen, es zu sagen.“

Adelbert Eichel

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