Heftige Kontroverse in den Medienleidenschaftliche pro-israelische und pro-palästinensische Unterstützungsbekundungen, eine verschobene Preisverleihung für einen palästinensischen Schriftsteller; Der Krieg zwischen Israel und der Hamas hat in allen westlichen Ländern schwerwiegende Folgen gehabt, doch in Deutschland sind die Spannungen besonders hoch.
„Nie wieder, es ist jetzt“, stand am Sonntag auf einem Transparent während einer großen Demonstration zur Unterstützung Israels am Brandenburger Tor. Der Slogan war in den letzten Wochen in Deutschland immer häufiger zu hören und zeigt sofort den Grund für diese starken Emotionen. Das bedeutet, dass Deutschland nach dem Holocaust eine historische Verantwortung gegenüber Israel trägt. Diese Verantwortung sollte die Solidarität im neuen Krieg im Nahen Osten bestimmen.
„Das ist der Moment, in dem wir zeigen müssen, dass wir es ernst meinen mit dem ‚Nein wieder‘“, sagte ein CDU-Politiker vor der Sitzung am Sonntag. „Noch nie seit dem Ende der Shoah wurden so viele Juden ermordet“, erklärte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD): Israel habe daher das Recht, sich gegen den Terror der Hamas zur Wehr zu setzen, und „Deutschland ist in Alarmbereitschaft.“ .“ In dieser Hinsicht auf der Seite Israels.
Die Solidarität mit Israel wurde daher unmittelbar nach dem Anschlag vom 7. Oktober in der Politik und in den Medien mit großer Bedeutung bekräftigt. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Unterstützung Israels eine deutsche „Staatsräson“. Chronisten schrieben, dass dieser Krieg nicht „von beiden Seiten“ betrachtet werden sollte; Ein „Ja, aber“ sei hier unangebracht, so der Chefredakteur der Berliner Zeitung Tagesspiegel schrieb.
Die größte Emotion in den deutschen öffentlichen Debatten gilt daher weniger dem Nahen Osten als vielmehr der Sorge um die moralische Loyalität Deutschlands in diesem Konflikt. Nicht umsonst warnte eine breite Koalition von Politikern am Sonntag am Brandenburger Tor ausdrücklich vor neuem Antisemitismus, denn auch in Deutschland ist die Bedrohung durch jüdische Menschen und Institutionen seit dem 7. Oktober so hoch wie schon lange nicht mehr . . „Es ist unerträglich, dass Juden heute – auch in diesem Land – wieder in Angst leben müssen“, sagte Bundespräsident Steinmeier. Ihm zufolge muss jeder, der in Deutschland lebt, „über Auschwitz Bescheid wissen und sich der Verantwortung bewusst sein, die dies für unser Land mit sich bringt.“
Doch so einhellig es auch scheinen mag, diese breite Unterstützungsbekundung ist auch ein Statement gegen die Reaktionen im eigenen Land, die eine völlig andere Meinung widerspiegeln. „Die Meinungsfreiheit in Deutschland gilt nur für eine Seite“, hieß es am Samstagnachmittag bei einer Versammlung auf dem Tempelhofer Feld hinter der Şehitlik-Moschee. Rund achthundert Berliner, überwiegend Muslime, versammelten sich hier, um der Opfer von Gaza zu gedenken. Der Redner betonte abwechselnd auf Deutsch und auf Arabisch, dass Kritik an Israel in Deutschland schnell als Unterstützung für Terroristen wahrgenommen werde. „Wir haben kein Recht zu sagen, was wir denken, wir werden einfach Terroristen genannt, weil wir gegen Ungerechtigkeit sind.“ Ihm zufolge seien in der deutschen Vision dieses Krieges „Täter und Opfer“ vertauscht.
Diesen Kritikern zufolge ist die bedingungslose Unterstützung Deutschlands für Israel der Grund dafür, dass die Not der palästinensischen Bevölkerung ignoriert und „andere Meinungen“ unterdrückt werden. Letzte Woche wurden zwei pro-palästinensische Proteste von der Berliner Polizei verboten, mit der Begründung, das Verbot ziele darauf ab, antisemitische Parolen und Gewaltaufrufe zu verhindern. Das Verbot wurde verhängt, nachdem sich die Proteste am Mittwoch im Berliner Bezirk Neukölln, wo viele muslimische Araber leben, verschärften. Demonstranten warfen Steine auf die Polizei und zündeten Mülltonnen an. 65 Polizisten wurden verletzt und fast 200 vorläufige Festnahmen vorgenommen. Am Samstag fand in den Berliner Bezirken Kreuzberg und Neukölln eine Demonstration mit 3.500 Teilnehmern statt, am Wochenende kam es in der ganzen Stadt zu mehreren kleinen aufgezeichneten und nicht aufgezeichneten Versammlungen.
„Es ist unerträglich, dass Juden heute wieder in Angst leben müssen – ausgerechnet in diesem Land“
Die innenpolitischen Spannungen infolge des neuen Krieges im Nahen Osten sind nicht nur auf den Straßen Berlins, sondern auch in der Kulturwelt sichtbar. Das größte Ereignis der vergangenen Woche war die Entscheidung der Frankfurter Buchmesse, den Preis an die palästinensische Schriftstellerin Adania Shibli für ihr ins Deutsche übersetztes Buch zu verleihen. Eine Nebensache verschieben. In diesem Roman untersucht ein palästinensischer Journalist die Vergewaltigung und Ermordung einer jungen palästinensischen Frau durch einen israelischen Soldaten, ein reales Ereignis aus dem Jahr 1949.
Unmittelbar nach Bekanntgabe der Verschiebung wurde ein offener Brief veröffentlicht, in dem rund 1.200 internationale Schriftsteller und Persönlichkeiten aus der Kulturwelt, darunter die drei Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah, Annie Ernaux und Olga Tokarczuk, die Entscheidung der Buchmesse kritisierten. Sie befürchten, dass „der Raum, der den palästinensischen Stimmen in der Literatur vorbehalten ist“, geschlossen wird. Laut Buchmesse-Direktor Jürgen Boos soll diese Verschiebung das Buch vor ideologischen Vorwürfen schützen. So habe der berühmte deutsch-jüdische Schriftsteller Maxim Biller das Buch letztes Jahr laut der linken Zeitung als „nichtliterarische Propaganda“ bezeichnet. Taz Der Roman „stellte den Staat Israel als eine Tötungsmaschine dar“ und, einer Aussage zufolge, WDRDem Journalisten würde das Buch „antisemitische Geschichten“ dienen. Doch laut ihrer Redakteurin wäre Adania Shibli selbst gerne zur Preisverleihung gekommen, um darüber zu sprechen.
Die angespannten Reaktionen der Bundesregierung und der Kulturwelt zeigen, wie sehr der neue Krieg Deutschland im Kern seiner Nachkriegsidentität berührt. Sie versuchen, eine Eskalation zu vermeiden, doch gleichzeitig wird deutlich, wie wenig das Land auf diese neuen Konflikte vorbereitet ist. „Jeder Angriff auf Juden und jüdische Einrichtungen ist eine Schande für Deutschland“, erklärte der Bundespräsident am Sonntagnachmittag. Aber es ist nicht die extreme Rechte, die heute als größte Bedrohung für Juden und jüdische Institutionen angesehen wird; Die Polizei geht mittlerweile davon aus, dass diese Bedrohung vor allem von deutschen Muslimen ausgeht.
Auch linke Aktivisten scheinen sich dem antiisraelischen Protest angeschlossen zu haben. Die große pro-palästinensische Demonstration am Samstag wurde als „postkoloniale“ Erklärung „gegen Unterdrückung auf der ganzen Welt“ angepriesen. Deutsche Feministinnen erklären ihre Solidarität mit den palästinensischen Frauen und demonstrieren gegen den „israelischen Besatzer“. Linke Aktivisten schreiben „4 Gaza“ auf die Mauern Berlins und rufen: „Stoppt den Völkermord!“ Doch in diesem Fall handelt es sich nicht um den historischen Völkermord an den Juden: Israel wird nun für das Massaker an den Palästinensern verantwortlich gemacht.
Die Demonstration am Samstag wurde nicht verboten. Der Lautsprecherwagen wurde von der Polizei angehalten, weil Gewaltaufrufe auf Arabisch zu hören waren. Der Slogan wurde auch von den Teilnehmern aufgegriffen „Vom Fluss bis zum Meer wird Palästina frei sein“ angerufen. Dieser Satz ist in Deutschland strafbar, weil er impliziert, dass Palästina auf israelischem Territorium errichtet werden muss.
Die neuen Bündnisse untergraben die Grundlagen deutscher Nachkriegsüberzeugungen und erfordern einen neuen Umgang mit der deutschen Vergangenheit. „Befreie Palästina von deutscher Schuld“, skandierte eine Gruppe linker Aktivisten letzte Woche vor dem deutschen Außenministerium. Aktivisten wollen, dass Deutschland seine „historische Verantwortung gegenüber Israel“ nicht mehr als Leitlinie für seine Nahostpolitik nutzt. Die Verwirrung ist groß; weil, wie Der Spiegel schrieb, bis vor Kurzem kam ein solcher Aufruf, Deutschland vom „Schuldgefühl“ zu befreien, nur von rechts.
Lesen Sie auch:
„Preisgekrönter Organisator. Social-Media-Enthusiast. TV-Fan. Amateur-Internet-Evangelist. Kaffee-Fan.“