Warum fühlt sich Deutschland gegenüber Israel in besonderer Verantwortung?
„Deutschland steht fest an der Seite Israels“, war die erste Reaktion von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach den Hamas-Massakern im Land. Er sicherte dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu umgehend per Telefon die deutsche Solidarität zu. „Die Sicherheit Israels ist Teil der Daseinsberechtigung des deutschen Staates“, sagte er. Das Das Prinzip gilt schon seit langem in der deutschen Politik. Aufgrund der Nazi-Vergangenheit, der Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust fühlt sich Deutschland Israel gegenüber in besonderer Weise verpflichtet. Für Deutschland ist es von wesentlicher Bedeutung, dass das Existenzrecht Israels gewährleistet bleibt. Deutschland hat im Laufe der Jahre mehrfach Kritik an dem Land geübt und sich stets für eine solche ausgesprochen Zwei-Staaten-Lösung. Allerdings wiegt diese Verpflichtung im gegenseitigen Verhältnis schwer.
Diese Verantwortung für das Überleben Israels ist auch in der deutschen Gesellschaft weit verbreitet. Am Tag der Hamas-Anschläge erleuchtete Berlin das Brandenburger Tor in den Farben der israelischen Flagge. In mehreren deutschen Städten gingen in den vergangenen Wochen Bürger auf die Straße, um ihre Solidarität mit Israel zu zeigen. Am 22. Oktober versammelten sich mehr als 10.000 Menschen am Brandenburger Tor aus Solidarität mit Israel. Die Veranstaltung wurde von einer breiten Partnerschaft zivilgesellschaftlicher Organisationen organisiert und einer der Redner war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Auch in den Medien wird die Verantwortung Deutschlands gegenüber Israel immer wieder betont, z.B. Intellektuelle einberufen für Israel zu sprechen. Siehe auch: Die Vernunft des deutschen Staates (Kolumne von Merlijn Schoonenboom, 17.10.2023)
Was bedeutet der Ausbruch des Nahostkonflikts für Deutschland selbst?
In Deutschland ist die Angst groß, dass der Konflikt zu Unruhen und Gewalt im eigenen Land führen wird. Fast unmittelbar nach den Angriffen der Hamas auf Israel beschloss Deutschland, jüdische Institutionen zusätzlich zu schützen. „Der Schutz jüdischer Institutionen hat höchste Priorität“, sagte Innenministerin Nancy Faeser (SPD). Auch für die Abschiebung von Hamas-Unterstützern nach Deutschland würden alle rechtlichen Möglichkeiten genutzt, sagte sie.
In Berlin gingen in der ersten Woche nach den Angriffen auf Israel Menschen auf die Straße, um der Gewalt der Hamas zu applaudieren. Außerdem wurden Häuser mit Davidsternen verunstaltet und es gab einen versuchten Angriff mit zwei Molotowcocktails auf eine Synagoge. Dies löste große Empörung aus. Noch mehr als in den Niederlanden ist es für Deutschland unangenehm, dass sich Juden in Deutschland gerade aufgrund der NS-Vergangenheit nicht sicher fühlen können.
Die Bekämpfung des Antisemitismus sei eine wesentliche Aufgabe der Bundesregierung, sagte ein Regierungssprecher nach dem versuchten Anschlag auf die Synagoge. Bundespräsident Steinmeier sagte während der Solidaritätsdemonstration für Israel in Berlin, der Schutz jüdischen Lebens sei nicht nur eine Pflicht des deutschen Staates, sondern auch eine Bürgerpflicht. „Jeder, der hier lebt, muss über Auschwitz Bescheid wissen und die Verantwortung verstehen, die es für unser Land mit sich bringt“, sagte er.
Wie geht Deutschland mit pro-palästinensischen Protesten um?
Gerade in der ersten Woche nach den Anschlägen gab es in Deutschland kaum noch Platz für Solidarität mit den Palästinensern. In Berlin wurden pro-palästinensische Demonstrationen vorübergehend verboten, nachdem Demonstranten im Neuköllner Migrantenviertel die Gewalt der Hamas begrüßt hatten. Die deutsche Hauptstadt wollte keine Demonstrationen genehmigen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie antisemitische oder extremistische Äußerungen im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt enthalten. Dennoch kam es in Berlin weiterhin zu pro-palästinensischen Protesten, die mehrfach in Straßenkämpfen endeten. Demonstranten warfen Feuerwerkskörper, Flaschen und Steine auf die Polizei und verletzten Dutzende Beamte. Außerdem wurden Müllcontainer in Brand gesteckt und Straßen blockiert. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein.
Am 22. Oktober wurde eine Versammlung auf dem Alexanderplatz in Berlin gestattet. Die Teilnehmer zeigten unter anderem ihre Solidarität mit der Bevölkerung von Gaza und kritisierten die eingeschränkte Meinungsfreiheit in Deutschland gegenüber den Palästinensern.
Auch in Frankfurt am Main wurde in der Woche nach den Hamas-Anschlägen eine pro-palästinensische Demonstration verboten. Später durften pro-palästinensische Demonstranten wieder auf die Straße gehen. Auch in anderen deutschen Städten wie Düsseldorf, Köln und Hannover kam es zu Solidaritätskundgebungen zur Unterstützung der Palästinenser, die ohne Zwischenfälle verliefen.
Wie übernimmt Deutschland die Rolle des Vermittlers im Nahostkonflikt?
Am 17. Oktober besuchte Bundeskanzler Scholz als einer der ersten internationalen Regierungschefs Israel nach den Hamas-Anschlägen. Mit seinem Besuch wolle er vor allem die deutsche Solidarität mit Israel zum Ausdruck bringen, erklärte er kurz vor seiner Abreise. Er will aber auch dazu beitragen, eine weitere Eskalation des Nahostkonflikts zu verhindern. Der deutsche Bundeskanzler hat deshalb in den vergangenen Wochen mit dem Emir von Katar, König Abdullah II. von Jordanien, gesprochen und reiste nach seinem Besuch in Israel nach Ägypten, um mit Präsident Sissi zu sprechen.
Kurz nach Scholz besuchte US-Präsident Joe Biden Israel, doch ein Treffen mit arabischen Führern wurde in letzter Minute abgesagt. Dies verlieh den Gesprächen von Scholz mit Akteuren aus dem Nahen Osten noch mehr Gewicht.
Während Scholz in der Woche nach den Hamas-Anschlägen vor allem seine Unterstützung für Israel zum Ausdruck brachte, betonte er nach dem Treffen mit dem jordanischen König in Berlin, dass Deutschland auch die Bewohner von Gaza verteidige. Die Hamas nutze die Bevölkerung Gazas als menschliche Schutzschilde, so Scholz, und sie seien auch Opfer der Hamas. Es müsse zwischen Hamas und den Palästinensern unterschieden werden, sagte er. „Die Palästinenser sind keine Hamas und die Hamas hat kein Recht, in ihrem Namen zu sprechen. » In Ägypten setzte er sich für humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza ein.
Deutschland unterhält intensive Handelsbeziehungen zu Jordanien und Ägypten. Mit Katar wurden im vergangenen Jahr Vereinbarungen über die Lieferung von verflüssigtem LNG-Gas getroffen. Katar hat Kontakte zur Hamas, was bedeutet, dass Deutschland hofft, die deutschen Geiseln in Gaza schließlich über Katar befreien zu können. Nach unserem Kenntnisstand wurden mindestens acht Menschen deutscher Staatsangehörigkeit von der Hamas entführt.
Wie gehen deutsche Schulen mit dem Konflikt im Nahen Osten um?
Berichten zufolge führen Hamas-Angriffe und Gaza-Bombenanschläge zu gegenseitigen Spannungen in deutschen SchulenDeutsche Medien. Unmittelbar nach den Terroranschlägen der Hamas in Israel tauchten Berichte auf Kampf zwischen Lehrer und Schülern mit einer palästinensischen Flagge im Berliner Bezirk Neukölln.
Anfang dieser Woche trafen Schüler an vielen Schulen im ganzen Land ein Bombendrohungen per E-Mail. Laut Experten und Interessenvertretern, die mit deutschen Medien sprachen, ist unklar, woher diese E-Mails kamen, es besteht jedoch wahrscheinlich ein Zusammenhang mit der Situation im Nahen Osten.
In Deutschland sind mehrere Organisationen aktiv, die Lehrer dabei unterstützen, den Nahost-Konflikt im Unterricht zu diskutieren. Eine Übersicht über das verfügbare Material bietet die Website des Bildungsservers.
Das Thema wird auch während des Auffrischungskurses zum Thema Desinformation für Lehrer am 3. November am Institut für Ton und Bild in Hilversum behandelt. Die Germanyweb-Redaktion nimmt an diesem Treffen teil und bietet einen Workshop an.
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