Mit Werten von bis zu 20 % schneidet die rechtsradikale deutsche Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Umfragen besser ab als je zuvor. Was ist los?
Zwei traditionelle Parteien mit Werten deutlich über 20 % und die radikale Rechte, die gerade einmal die 10 %-Marke überschritten hat: Bis vor Kurzem galt Deutschland noch als politischer Anachronismus. Aber sehen Sie, den jüngsten Meinungsumfragen zufolge scheint diese immer noch recht breite politische Stabilität in Deutschland zu Ende zu gehen. Eine Umfrage des Beratungsunternehmens Yougov bezifferte die AfD beispielsweise auf 20 %. Das ist doppelt so viel wie bei der letzten Wahl im Jahr 2021. In dieser Umfrage liegt die AfD auch vor der SPD von Bundeskanzler Olaf Scholz. Von fast 26 % bei den letzten Wahlen käme seine Partei immer noch auf 19 %. Auch seine beiden Koalitionspartner könnten betroffen sein. Die Grünen halten sich mit 13 % mehr oder weniger gut, die Liberalen stoßen jedoch an die Grenze der Wahlhürde.
Eine solche Volatilität ist für die Deutschen relativ neu. Jahrzehntelang wurde die politische Landschaft Deutschlands von CDU/CSU und SPD dominiert, die zu Beginn dieses Jahrhunderts zusammen noch 70 % der Wählerstimmen auf sich vereinten. Dass im Jahr 2021 „nur“ 50 % davon übrig bleiben, erklärt sich vor allem mit dem Vormarsch der Grünen, die damals knapp 15 % repräsentierten. Um die 10 % der AfD schienen sich die Mainstream-Parteien keine großen Sorgen machen zu müssen. Diese Partei scheint ihren Höhepunkt (12,6 %) im Jahr 2017, kurz nach der Flüchtlingskrise, erreicht zu haben. Seine Wähler mussten vor allem unter den weniger wohlhabenden Ostdeutschen gesucht werden. Im wohlhabenderen Westdeutschland erzielte die Partei weit weniger Punkte. Zudem, so die Begründung, wäre rechtsradikales Gedankengut hier nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich effektiver bekämpft worden.
Diese Aussagen scheinen ausgedient zu haben. Zugegebenermaßen schneidet die AfD in den Oststaaten immer noch deutlich besser ab. Laut einer aktuellen Umfrage würden heute nicht weniger als 32 % der Ostdeutschen für die AfD stimmen. Allerdings muss ihr Anteil am bundesweiten Erfolg der Partei relativiert werden. Von den 83 Millionen Deutschen leben nur 12,5 Millionen in den „neuen“ Bundesländern im Osten. „In Nordrhein-Westfalen (dem bevölkerungsreichsten westlichen Bundesland, Anm. d. Red.) gibt es mehr Wähler als in den neuen Bundesländern“, stellte Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte vergangene Woche fest Diesmal.
Putin Versteher
Korte gibt im Interview zwei Erklärungen für den plötzlichen Aufstieg der AfD. Die erste nennt er „die Klimakrise im eigenen Heizungskeller“. Korte bezieht sich damit auf ein sehr umstrittenes Gesetz, das Eigentümer ab dem nächsten Jahr dazu verpflichten will, beim Austausch ihrer Öl- oder Gaskessel auf ein nicht-fossiles System umzusteigen. Über dieses Gesetz herrscht innerhalb der Koalition erhebliche Uneinigkeit. Diese Uneinigkeit, gepaart mit dem Mangel an Alternativen, würde zu großer Verunsicherung führen. „Und die AfD nutzt die Angst aus“, sagt Korte, „insbesondere dann, wenn diese Angst im privaten Bereich stattfindet.“
Ein weiterer bestimmender Faktor, so der Politikwissenschaftler, sei der Krieg in der Ukraine. Der Krieg spaltet Deutschland in zwei Lager. Gegen das pro-ukrainische Lager, zu dem auch die grüne Außenministerin Annalena Baerbock gehört, das sogenannte Putin Versteher, ein Lager, das gute Beziehungen zu Russland pflegen will und gegen das die AfD regelmäßig anstößt. Darüber hinaus sorgt dieser Krieg dafür, dass das AfD-Thema Migration völlig zurückkommt. Deutschland hat bereits mehr als eine Million ukrainische Flüchtlinge aufgenommen.
Für Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Regierung sind das zwei besonders schwierige Themen. Nehmen Sie den Klimawandel. Laut einem Barometer des ZDF sind 34 % der Deutschen der Meinung, dass die Klimawende zu schnell voranschreitet. 42 % denken genau das Gegenteil: Es geht alles zu langsam.
Laut Stefan Aust, Denkmal des deutschen Journalismus und heute Herausgeber der konservativen Zeitung Die Welt, der Erfolg der AfD lässt sich leicht erklären. Im Gespräch mit seiner Zeitung behauptet er, die beiden Traditionsparteien stünden zu oft hinter den Grünen. „Die Grünen geben der Regierung den Ton an. Das ist der wesentliche Punkt. Dadurch verlor die SPD den Kontakt zu den Wählern. (…) Und das gilt in gewisser Weise auch für die CDU. Sie nehmen die Interessen der Menschen nicht ernst. Es darf uns also nicht wundern, dass die Bevölkerung eine problematische Partei wie die AfD nicht oder nicht wählt.
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