„Ich kenne einen Produzenten in Italien, der einen Film über die Konzentrationslager der Nazis dreht. Ich werde Sie für die Rolle des Lagerleiters empfehlen. Dafür bist du gemacht. Vor zehn Jahren nahm Silvio Berlusconi kein Blatt vor den Mund, als er Martin Schultz, den Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokraten, in das Europäische Parlament berief. Der italienische Premierminister kam in die Hemisphäre, um die EU-Präsidentschaft zu erläutern. Da es zu diesem Zeitpunkt keinen ständigen Präsidenten des Europäischen Rates gab, reiste der Regierungschef an der Spitze der Union selbst nach Straßburg. Schultz reagierte wütend und erhielt viel Unterstützung von seinen Kollegen. Berlusconi war das egal, schon gar nicht, wenn es um einen Sozialisten und einen Deutschen ging. Er schätzte die Aufmerksamkeit.
Noch nie wurde der Zahl, die normalerweise als schlaffördernde Zahl gilt, so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Berlusconi hielt ihn für unantastbar. Seine Koalition stand fest und war die erste seit dem Zweiten Weltkrieg, die eine volle vierjährige Amtszeit an der Macht blieb.
Wenige Jahre später – nach einem kurzen Engagement in der Opposition wurde er erneut Ministerpräsident – musste sich Angela Merkel von Berlusconi beleidigen lassen. In einem abgehörten Telefongespräch soll er die Bundeskanzlerin vulgär als „einen fetten Arsch, den man nicht ficken kann“ bezeichnet haben. In ihrem typischen Pragmatismus ignorierte Merkel den Affront dieses italienischen Frauenhelden.
Zwei Monate später, im November 2011, folgte süße Rache. Auf einem G20-Gipfel in Cannes, Frankreich, wurde Berlusconi von den großen Jungs (und einem Mädchen) – Obama, Cameron, Sarkozy und Merkel – in die Enge getrieben und persönlich für die dramatische Situation in verantwortlich gemacht Italien befand sich auf dem Tiefpunkt der Eurokrise. Unter dem Druck der Finanzmärkte trat er zurück und wurde als Premierminister durch den nachdenklichen Mario Monti ersetzt. Er erholte sich nie von dieser öffentlichen Demütigung. Seine politische Rolle auf höchster Ebene war beendet.
Als erfolgreicher Geschäftsmann wusste er jedoch etwas über Geld. Dies brachte ihm einen Platz an der Spitze der italienischen Politik ein. Mit großem Wahlerfolg. Nach dem Zusammenbruch der Democrazia Cristiana war er fast zwei Jahrzehnte lang die unangefochtene Nummer eins der Mitte-Rechts-Partei. Durch Bündnisse mit den Parteien der Mitte und der radikalen Rechten wurde er zum erfolgreichsten Politiker seiner Generation.
Allerdings ist seine Bilanz in der Politik weitaus weniger beeindruckend. Es gelang ihm nicht, Italien erneut in Bedrängnis zu bringen. Die Verteidigung seiner eigenen Unternehmensinteressen und das Glänzen auf der internationalen Bühne gefielen ihm viel mehr. Er war in der EVP willkommen, um die große Lücke zu füllen, die die italienischen Christdemokraten hinterlassen hatten. Er wurde nie wirklich geliebt, aber umso nützlicher. Denn auch auf europäischer Ebene hat er bei politischen Fragen nie gezögert. Die Abgeordneten seiner Forza Italia gelten im Europäischen Parlament immer noch als die loyalste Delegation innerhalb der EVP-Fraktion.
Berlusconis Witze und Streiche galten als selbstverständlich. Solange niemand zu viel Schaden erlitten hat. Bis zum Moment der Wahrheit stellte sich heraus, dass der Kaiser plötzlich ohne Kleidung war. Eine Mediengruppe oder einen Fußballverein zu leiten ist offenbar nicht dasselbe, als würde man einen Mitgliedsstaat der Eurozone durch einen Sturm führen.
Als neuer Star am politischen Firmament Italiens hatte Georgia Meloni offenbar wenig Vertrauen in die mittlerweile wandelnde Werbung für Madame Tussauds. Nach den Wahlen 2022 war klar, wer Berlusconi der neue Mitte-Rechts-Chef ist. Nachdem sie Meloni als „herablassend, einschüchternd, arrogant und angreifend“ abgetan hatte, antwortete sie witzig: „Da fehlt etwas.“ Ich kann nicht erpresst werden. Ihr Lied wurde auch im Inland gesungen.
Mittlerweile ist Berlusconi wirklich tot. Als Geschäftsmann in der Politik führte er in Europa eine amerikanische Praxis ein, die Donald Trump wiederum perfektionierte. Sein Politikstil hat sich mittlerweile normalisiert: Wen überrascht eine Beleidigung mehr oder weniger? Er schimpfte über alles, was noch übrig war (wie die Gerechtigkeit), stellte aber im Gegensatz zu seinen Anhängern nie das demokratische System selbst in Frage, obwohl er immer versuchte, es seinem Willen zu unterwerfen. Mit Ausnahme der verlorenen Jahre Italiens selbst war es also letztendlich nicht sehr schädlich. Wegen der Groteske eher lächerlich. Und der Gewinner der Realpolitik-Meisterschaft.
Aber sein wahres Erbe liegt woanders. Bei allen, die seinem Beispiel gefolgt sind und ein klares ideologisches Programm haben. Zögern Sie also nicht, die Demokratie selbst zu diskreditieren, wenn es sein muss. Mangels großer politischer Aktionen fallen die Beileidsbekundungen daher etwas kürzer aus als üblich aus der Mitte-Rechts-Partei. Und bei seinen politischen Gegnern nur minimaler Respekt. Wie Martin Schulz feststellte: „Jeder Tod ist traurig.“ Auf persönlicher Ebene ist es so. Angela Merkel schweigt vorerst. Es kann ziemlich aufschlussreich sein.
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