BERLIN (dpa-AFX) – Vor rund 62 Jahren wurde Deutschlands erstes kommerzielles Atomkraftwerk in Betrieb genommen – die drei verbliebenen Reaktoren in Deutschland gehen am Samstag vom Netz. Während hierzulande das Atomzeitalter zu Ende geht, brodelt die Debatte wenige Stunden nach der Abschaltung der Kraftwerke weiter. Während Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) ihre Erleichterung über die Entscheidung zum Ausdruck bringt und Atomkraftgegner in mehreren Städten den Atomausstieg feiern wollen, spricht die FDP von einem „strategischen Fehler“.
Eigentlich hätten die Atomkraftwerke Ende vergangenen Jahres vom Netz gehen sollen. Das hat die Koalition aus CDU/CSU und FDP als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe von Fukushima beschlossen. Aufgrund des russischen Offensivkriegs gegen die Ukraine hat die Ampelkoalition jedoch im vergangenen Jahr beschlossen, alle drei Reaktoren über den Winter in Betrieb zu halten.
Die Schließung der letzten Anlage wird kurz vor Mitternacht erwartet
– darunter die Isar 2 in Bayern, das Emsland in Niedersachsen u
Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg wird das letzte sein, ist unklar. Die Betreiber haben sich rechtzeitig auf den Termin vorbereitet. Die Leistung der Reaktoren wird kontinuierlich reduziert. Danach wird der Generator vom Netz getrennt und der Reaktor komplett abgeschaltet. Atomkraftgegner wollen das Ende mit Kundgebungen in verschiedenen Städten begleiten.
Obwohl der Ausstieg unmittelbar bevorsteht, ist die politische Debatte über die Weiterführung des Reaktorbetriebs noch nicht abgeschlossen. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte, diese Technologie nicht ganz aufzugeben. „Atomenergie muss in Deutschland eine Zukunft haben, auch nach dem Ausstieg“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Das bedeutet, die Fusionsforschung auszubauen und das Potenzial neuer und sicherer Kernspaltungstechnologien auszuschöpfen.“
Wenn es FDP-Chef Christian Lindner gehört, sollen die drei Atomkraftwerke in Reserve bleiben und nicht abgebaut werden. „Wenn wir sie in den nächsten zwei, drei Jahren online stellen würden, hätten wir diese Chance“, sagte der Finanzminister am Freitagabend dem Fernsehsender „Welt“. Aber wegen des Koalitionspartners, den Grünen, würde das nicht funktionieren.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte am Freitagabend in einem Interview mit den ARD-„Tagesthemen“, er glaube an einen Neustart der Atomenergie. „Wir spüren diese große Energiekrise, wir brauchen jedes Quäntchen Energie“, sagte der CSU-Politiker. Die ARD übertrug die „Tagesthemen“ live vom Gelände des Kernkraftwerks Isar 2 in Niederbayern. Moderator Ingo Zamperoni berichtete in der 45-minütigen Sonderausgabe von seinem exklusiven Werksbesuch.
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein hat zu mehr Forschung an neuen Technologien aufgerufen. „Der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise zeigen, dass wir einen breiten Ansatz brauchen. Gerade im Hinblick auf den Ausstieg aus der Kernenergie müssen wir eine technologieoffene Forschung fördern. Nicht nur raus, sondern auch rein, “, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Samstag).
Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zeigt sich hingegen erleichtert über das bevorstehende Ende der Atomkraft. „Der Atomausstieg macht Deutschland sicherer“, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. „Die Risiken der Kernenergie geraten bei einem Unfall endgültig außer Kontrolle.“
Der frühere Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) sagte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag), dass wir bei einem Weiterbetrieb der Atomkraftwerke Gefahr laufen, wieder in Abhängigkeit von Russland zu geraten. Die FDP soll die Frage beantworten, ob sie „wieder Uran aus Russland rausholen will“. „Wir haben uns gerade von der Gassucht befreit. Ich will Putin nicht die Schuld für diesen Deal geben“, sagte Trittin.
Mit der Stilllegung der drei Reaktoren hat die eigentliche Arbeit des Atomausstiegs gerade erst begonnen. „Wir nutzen in unserem Land seit etwa drei Generationen Kernenergie und produzieren Abfälle, die noch für weitere 30.000 Generationen gefährlich bleiben. Diese Verantwortung geben wir an unsere Enkel, Urenkel und viele weitere Generationen weiter“, sagte Lemke zu den Aufgaben wir erwarten. Insgesamt müssen in Deutschland noch mehr als 30 Kernkraftwerke abgebaut werden./svv/DP/zb
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