Lübbecke, das westfälische Dorf, in dem Antje Vollmer aufgewachsen ist, war bis auf einen Bombentreffer im Zweiten Weltkrieg relativ unberührt geblieben. Doch als Kind bemerkte sie den Schaden, den diese Zeit bei den Dorfbewohnern hinterlassen hatte. Wie bei der schlesischen Haushälterin, die Vollmer von der Gewalt des Krieges erzählte, die sie in ihrer Heimatstadt erlitten hatte. „Ich habe sehr traumatisierte Menschen erlebt, wie wir das heute nennen“, sagte Vollmer später.
Als Teenager fragte sie sich, warum der Widerstand gegen Hitler gescheitert war. „Das war mein erstes großes politisches Thema, und danach hat es mich mein ganzes Leben lang begleitet“, sagte Vollmer. Der deutsche Theologe und Widerstandsheld Dietrich Bonhoeffer hat sie so beeindruckt, dass sie ein Theologiestudium begann. „Ich war keine Pfarrerstochter, meine Familie war nicht religiös“, sagte sie. „Aber die Themen der Kirche gaben meiner Neugier, meiner Recherche eine Richtung.“
Auch andere junge Menschen suchten damals nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens. „Wir haben viel französische Literatur gelesen, sind bei billigem italienischem Wein die ganze Nacht wach geblieben und haben uns beim Kettenrauchen heftig gestritten“, sagt sie über ihre Studienzeit. Sie hat mit 25, zur Zeit der Studentenbewegung 68, ihren Abschluss in Berlin gemacht. „Ich war in einem extrem politischen Umfeld gelandet.“
Politikerin zu werden, war nie ihr Traum
Neben ihrer Arbeit für evangelikale Organisationen engagierte sie sich in Berlin auch in linken Gruppierungen wie der „Liga gegen Imperialismus“. Seine antikapitalistische Haltung war sehr persönlich. Seine Eltern besaßen ein Textilgeschäft, „mit einer schönen altmodischen Einrichtung“, das mit den Kaufhäusern, die Kunden anzogen, nicht konkurrieren konnte. Vollmer engagierte sich im Bauernblatt, einem Verein für Jugendliche, die gegen die Industrialisierung der Landwirtschaft waren.
Politikerin zu werden, war nie ihr Traum. Trotzdem landete Vollmer natürlich bei der 1980 neu gegründeten Partei Die Grünen. Sie war eine echte Oppositionspartei: gegen Atomkraft und gegen Krieg. Die jungen Idealisten der Grünen hatten genug von den alten Konservativen, die den Bundestag dominierten. Vollmer stieg schnell in der jungen Partei auf und trat 1984 in den Vorstand der rein weiblichen Partei ein, ein Trio, das von Grünen-Politikern immer noch als „legendär“ bezeichnet wird.
Doch in den 1980er Jahren wurde die Partei zunehmend von einem Machtkampf zwischen den „Fundis“ und den „Realos“ überrollt. Die Fundis wollten verhindern, dass die Partei an die Macht kommt, um eine Oppositionspartei zu bleiben. Vollmer etablierte sich damals als talentierter Vermittler zwischen den beiden Lagern. Sie hat auch den Dialog mit der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion aufgenommen, um die Gewalt zu stoppen. Die Formel seiner pazifistischen Ideale: „Die Beweggründe jeder menschlichen Handlung verstehen“.
Vizepräsident des Bundestages
Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 erreichte seine Partei die Wahlhürde nicht und Vollmer begann vorübergehend als Journalist zu arbeiten. Vier Jahre später kehrte sie in die Politik zurück, für eine Aufgabe, die wie für sie gemacht war: als Vizepräsidentin des Bundestags. Sie wird dies elf Jahre lang tun. In dieser Funktion leistete sie unter anderem einen wesentlichen Beitrag zur Annäherung zwischen Tschechien und Deutschland sowie zum Dialog zwischen China und dem Dalai Lama.
Doch inzwischen hatte sie immer mehr Probleme mit der Richtung, die ihre Partei einschlug. 1998 regierten erstmals die Grünen, und Grünen-Außenminister Joschka Fischer widersetzte sich sofort den pazifistischen Grundsätzen Vollmers, indem er im Kosovo der NATO beitrat. Vollmer verließ die Politik 2005, verärgert über das militärische Engagement Deutschlands in Afghanistan. Sie sei enttäuscht, dass es ihrer Partei nicht gelungen sei, den Weg für „eine neue und gerechtere Welt“ zu ebnen.
Trotzdem setzte sie sich bis zu ihrem Lebensende gegen den Krieg ein. Sie schloss sich kürzlich der umstrittenen Friedensbewegung der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht an, die deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen will. Von ihrer Krankheit geschwächt, wurde Vollmer wieder mächtig, als sie bei einem Protest rief: „Ich stehe für alles, was sich diesem Kriegswahn widersetzt. Ich bin so lange ich kann!“
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