Von wütender junger Mann zum schelmischen Zyniker mit einer gehörigen Portion Ironie. Der am Donnerstag im Alter von 93 Jahren verstorbene deutsche Schriftsteller, Dichter, Essayist, Verleger, Journalist, Übersetzer, Pädagoge und Provokateur Hans Magnus Enzensberger könnte nicht besser charakterisiert werden.
Gemeinsam mit seinen Zeitgenossen Martin Walser, Jürgen Habermas und dem 2015 verstorbenen Günter Grass prägte er die deutsche intellektuelle Debatte der 1960er Jahre, in der es vor allem um die Bewältigung des Zweiten Weltkriegs ging, dem kollektiven Schuldgefühl der Deutschen ins Gesicht zu sehen des Holocaust und die Rechtswende der Bundesrepublik unter Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Enzensberger wurde 1929 im bayerischen Kaufbeuren geboren, wuchs aber in Nürnberg auf. Seine Eltern waren Anti-Nazis. Er studierte Philosophie und Literaturwissenschaft in Erlangen, Freiburg und Paris, danach promovierte er 1955 über die Poetik Clemens Brentanos. Anschließend arbeitete er kurze Zeit als Hörfunkjournalist und als Redakteur beim Suhrkamp-Verlag.
Um der Unterdrückung im Nachkriegsdeutschland zu entkommen, reiste er 1957 nach Norwegen aus. Im selben Jahr erschien sein Gedichtdebüt. Verteidigung des Wolfs 1960 folgte Landessprache. Beide Sammlungen bringen seine Wut auf das deutsche Establishment der Nachkriegszeit zum Ausdruck, das noch in der Hitlerzeit Fuß gefasst hatte. Bertolt Brecht war sein großes Vorbild in dieser gesellschaftskritischen Dichtung.
Als Enzensberger merkte, dass seine Gedichte seine politischen Ziele nicht erreichten, wandte er sich dem Essayismus zu. In einem seiner berühmtesten Essays Die Sprache des Spiegels (1957) kritisiert er scharf den verschleierten Sprachgebrauch der deutschen Wochenzeitung, in der seiner Meinung nach das literarische Erbe von Goethe und Dylan Thomas noch lange nicht zu finden sei.
In den Folgejahren trat Enzensberger zunehmend als linker Intellektueller auf, der seine Kritik an der spätkapitalistischen Gesellschaft richtete. Er setzte sich auch für die Studentenrevolte der 1960er Jahre und Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt ein.
Seine Kritik konzentrierte sich zunächst vor allem auf die politischen Verhältnisse im eigenen Land. nach dem Gerücht Spiegel1962, als die Polizei das Wochenblatt durchsuchte, um durchgesickerte Informationen über die Stärkung der Bundeswehr zu beschlagnahmen, schlug er zusammen mit anderen Intellektuellen wie Günter Grass, Karl Jaspers, Ralf Dahrendorf und Peter Weiss das Wesen der Bundesrepublik vor diskutieren. Ihnen zufolge schlitterte Adenauer und sein Verteidigungsminister Franz Jozef Strauss durch das autoritäre Regime in eine neue Form der Diktatur. Als Ergebnis dieser Debatte wurde Ende der 1960er Jahre ernsthaft an der Verfolgung deutscher Kriegsverbrecher gearbeitet.
Fidel Castro
Enzensberger richtete seine Rezensionen auch ins Ausland. So brach er 1968 aus Protest gegen die aggressive Außenpolitik der Vereinigten Staaten eine Gastdozentenstelle an der Wesleyan University in Connecticut ab, um nach Kuba zu reisen. Dort wollte er die Revolution von Fidel Castro miterleben. In seinem dokumentarischen Stück Das Verhör von Habana (1970) über eine Klage gegen kubanische Konterrevolutionäre, die an der gescheiterten Landung der CIA in der Schweinebucht beteiligt waren, stellte er sich eindeutig auf die Seite Castros. Gleichzeitig wurde er aber auch ernüchtert von der Gewalt, die seine Revolution begleitete. Er wird jedoch nicht enttäuscht und wird immer ein Faible für linke Experimente haben. Das hindert ihn jedoch nicht daran, in einem Essay den chilenischen Dichter Pablo Ne-ruda zu kritisieren, der nach wie vor ein großer Bewunderer Stalins ist, auch wenn seine Verbrechen gegen sein eigenes Volk nun aufgedeckt werden.
Als Essayist, der in elegantem Deutsch schrieb, blieb Enzensberger bis ins hohe Alter rücksichtslos scharf. So hat er in seinem Aufsatz gekürzt Mittelmass und Wahn (1988) definiert das Medium Fernsehen als „Zero Media“.
Aber gleichzeitig hatte er als uomo universale das Wichtige in Geschichte und Literatur im Blick. Dies ging unter anderem aus der Die andere Bibliothekder zwischen 1985 und 2004 über zweihundert wunderschön herausgegebene Bücher veröffentlichte, von Märchen bis zum Bericht über die russische Revolution, von Descartes bis zu einem vergessenen russischen oder jiddischen Schriftsteller.
Als Pädagoge veröffentlichte er 1998 Der Zahlenteufel (The Devil Who Matters), ein Weltbestseller, in dem er humorvoll erklärt, dass Mathematik gar nicht schwer ist. Es ist nur eines von mehr als siebzig Büchern, die er geschrieben hat.
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