Von der Stasi erdrosselt

Keine Fotos des „Spions“ mehr, keine Nennung seines Namens mehr in Schulbüchern und in Faksimiles der von ihm mitunterzeichneten Verträge: Es ist, als wäre Georg Dertinger (1902-1968), Ministerpräsident des Auswärtigen Amtes der DDR , hatte es vor seiner Verhaftung am 15. Januar 1953 in Ost-Berlin nie gegeben. Der Christdemokrat Dertinger hat in den elf Jahren seit der Nacht seines Aufstehens hautnah miterlebt, wie die Kommunisten mit ehemaligen Verbündeten gnadenlos umgegangen sind…

Keine Fotos des „Spions“ mehr, keine Nennung seines Namens mehr in Schulbüchern und in Faksimiles der von ihm mitunterzeichneten Verträge: Es ist, als wäre Georg Dertinger (1902-1968), Ministerpräsident des Auswärtigen Amtes der DDR , hatte es vor seiner Verhaftung am 15. Januar 1953 in Ost-Berlin nie gegeben. Wie gnadenlos die Kommunisten mit ehemaligen Verbündeten umgingen, erlebte der Christdemokrat Dertinger in den elf Jahren seit der Nacht, in der er von Regierungsbeamten aus dem Bett gehoben wurde. Ministerium für Staatssicherheit (MfS), die berüchtigte Stasi.

Höschenhalter

Der Journalist Dertinger hatte nach dem Zweiten Weltkrieg in der DDR-Ausgabe der CDU (die DDR wurde von der marxistisch-leninistischen SED regiert, es gab aber auch „bürgerliche“ Parteien wie die CDU und die Liberalen) eine rasante Karriere gemacht LPD). Vor der Bundesrepublik waren die Politiker von Parteien wie der Ost-CDU nur die in der DDR installierten Träger des kommunistischen Systems. Die westdeutschen Christdemokraten verachteten Dertinger, Generalsekretär der Ost-CDU. Es war eine Tatsache, dass als Bewohner der Sowjetische Sicherheitszone (SBZ), Vorläufer der 1949 gegründeten DDR, mit den Vertretern der sowjetischen Besatzungsmacht „verabredet“. Natürlich hatte er keine wirkliche Wahl, wenn er die Ost-CDU in der SBZ/DDR überleben sehen wollte.

Sein Biograph Peter Joachim Lapp schreibt, dass Dertinger nach dem Motto handelte ‚Soviel Anpassung wie nötig, soviel Widerspruch wie möglich‘ (1). Die ‚Ost-CDU‘ begrüßte die Gründung der DDR am 7. Oktober 1949 unter dem Vorbehalt der Errichtung der ‚deutschen Souveränität‘, die eine ‚Demokratische Parlamentarische Ordnungund später freie Wahlen abhalten.

Misstrauen

Der protestantische Dertinger hätte dem Anschein nach einen „christlichen Sozialismus“ oder einen „Sozialismus auf christlicher Verantwortung“ verteidigen können, aber eigentlich wollte er „das Christliche in den Staat einführen“ (2). Dieses Ziel widersprach der Rolle, die die SED, die Regierungspartei der DDR, der Ost-CDU zuschrieb, nämlich als Instrument zu dienen, um die christliche Bevölkerung mit den Prinzipien des Marxismus-Leninismus vertraut zu machen. Oder, wie Dertinger selbst bitter anmerkte: „Aus marxistischer Sicht dürfen Christen nur etwas in die entgegengesetzte Richtung tun: die marxistische Ideologie in das Christentum einführen. (3).

SED-Bosse misstrauten Dertinger wegen seiner Bekenntnis zum christlichen Glauben. Dass er am 12. Oktober 1949 dennoch Außenminister der DDR werden konnte, verdankt er den Sowjets als Bossen des völlig neuen Staates.

Diplomatischer guter Wille

Moskau befürwortete damals noch die Vereinigung der beiden deutschen Staaten Bundesrepublik Deutschland und DDR auf der Grundlage eines neutralen Status. In einem neutralen Gesamtdeutschland die Kremlführung sah darin das Mittel schlechthin, um die Einbindung der Bundesrepublik in den Westen – die Europäische Gemeinschaft und später möglicherweise die NATO – zu verhindern.

Dertinger konnte einem neutralen Deutschland zustimmen, das keinem Militärbündnis angehörte† In seinem früheren Leben, vor 1945, war er immer ‚deutschnational‚ Du weisst. Er hatte sich geweigert, der nationalsozialistischen Partei NSDAP beizutreten, obwohl er Nazi-Deutschland während des Krieges als Journalist im Kampf gegen die „bolschewistische Gefahr“ gelobt hatte. Die Sowjets waren sich natürlich seiner verbrannten Vergangenheit bewusst, aber sie sahen Vorteile in einem „bürgerlichen“ Politiker wie „Minister für Auswärtige Angelegenheiten† Ein Nichtkommunist in dieser Position könnte der DDR mehr diplomatisches Wohlwollen von außen einbringen.

Manöver

Dertingers erster „großer“ politischer Akt war der „Görlitzer Vertrag“ vom 6. Juli 1950 zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen. Die DDR erkannte damit die Oder-Neiße-Linie an, die Grenze, die die beiden Flüsse Oder und Neiße seit Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen Deutschland und Polen bilden. Als die westdeutsche Politik bis zu Willy Brandts Ostpolitik Ende der 1960er Jahre weiterhin die ehemals deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie beanspruchte, sah Dertinger in dieser faktischen Anerkennung – ein internationales Recht als es war – eine Chance, endlich eine Versöhnung herbeizuführen zwischen Deutschen und Polen. In der Zwischenzeit setzte er sich für ein geeintes und neutrales Deutschland ein. Er war daher auf einer Linie mit den Sowjets.

Noch am 10. März 1952 schlug der Kreml-Chef in der nach ihm benannten Stalin-Note den Westmächten vor, einen Friedensvertrag mit Deutschland auszuarbeiten und Deutschland als einheitlichen, demokratischen und neutralen Staat mit eigenen Streitkräften zu starten. Verlies. Westliche Regierungschefs und Bundeskanzler Konrad Adenauer sahen in Stalins Vorschlag nur ein Manöver Stalins, um die Westbindung der Bundesrepublik zu torpedieren.† Damit wurden die Pläne der Sowjets für ein neutrales Gesamtdeutschland aufgegeben.

Atheismus

Die Proklamation im Juli 1952 durch die SED des ‚Aufbau des Sozialismus“ bedeutete, dass von der DDR als kleiner Veränderung in einem größeren geopolitischen Spiel keine Rede mehr sein konnte. Dertinger beharrte jedoch auf seinem Traum von einem vereinten Deutschland. Sein „deutschnationales“ Blut floss dorthin, wo es nicht hin konnte. Es war jetzt für die Sowjets unhaltbar; die SED will ihn lieber loswerden, als sich für lange Zeit zu bereichern.

Der Strohhalm, der den Kommunisten das Fass zum Überlaufen brachte, war die Rede, die Dertinger am 17. Oktober 1952 auf dem Sechsten Parteitag der „Ost-CDU“ in Ost-Berlin unter dem Titel „Der Christliche Realismus – unsere feste Grundlage im Kampf um Frieden, nationale Einheit und Freundschaft der Völker† Seine Bemühungen, den Marxismus-Leninismus mit Theorien der christlichen Soziallehre zu „bereichern“ – er zitierte in seiner Rede aus den Sozialenzykliken der Päpste – kamen bei den kommunistischen Führern des Kremls und der DDR nicht gut an.

Und schon gar nicht seine Aussage: ‚Wir als Christian wischen zutiefst, dass der Ursprung aller unserer Not in der Abkehr des Menschen von Gott zu suchen ist‘† [‘Wij als christenen weten heel goed dat de oorsprong van al onze nood te zoeken valt in het zich afwenden door de mens van God.’] Dies könnte als kaum verhüllte Kritik am marxistisch-leninistischen Atheismus gelten. Mit dieser Rede hatte Dertinger sein Schicksal besiegelt.

Geheimdienst

Am 9. Januar 1953 verlieh ihm der polnische Botschafter in Ost-Berlin das Verdienstkreuz mit Ordensstern.Polonia restituta“ für seinen Einsatz für die deutsch-polnische Aussöhnung. Sechs Tage später würde Dertingers Stern für immer schwinden. Beschuldigt, ein „Agent“ im Dienst der „imperialistischen Geheimdienste“ zu sein und die DDR untergraben zu wollen, wurde er vom MfS festgenommen. Acht Wochen lang verhörte ihn die „Stasi“ zwischen 23 und 5 Uhr wie einen Laster.

Gesüßt vom Schlafmangel – eine Stunde am Tag – unterschrieb Dertinger die absurdesten Verurteilungen, als ob er zum Beispiel im Auftrag der amerikanischen Geheimdienste 24 Leute für Spionageaktivitäten rekrutiert hätte. Er wird auch zugeben, dass er die DDR-Regierung stürzen und durch eine bürgerlich-kapitalistische Regierung ersetzen wollte.

Dertinger entging der Todesstrafe, weil Otto Nuschke und Gerald Götting, zwei prominente Ost-CDU-Politiker, vehement gegen die Absichten der SED gegenüber den Sowjets protestiert hatten. Er wurde zu lebenslanger Haft in einem ‚Zuchthaus† seine Frau wurde wegen „Mittäterschaft“ zu acht Jahren Haft verurteiltZuchthaus† Rudolf, der 16-jährige Sohn, wurde ebenfalls wegen „Spionage“ inhaftiert. Oktavie, die 14-jährige Tochter, wurde nach 19 Monaten bei der Großmutter in Obhut genommen. Der neunjährige Christian kam in eine Pflegefamilie.

Menschenrechte

Georg Dertinger wurde nach elf Jahren Haft vorzeitig entlassen. Am 9. Juni 1964 klopfte ein körperlich gebrochener, grauhaariger Mann an die Tür seiner Frau und Schwiegermutter in Annaberg-Buchholz imErzgebirge† Dertinger konvertierte zum katholischen Glauben seiner Frau und zog mit ihr nach Leipzig. Die Stasi stopfte sein Mietshaus mit Abhörgeräten voll, schließlich war ein ehemaliger Minister mit einem solchen Hintergrund in den Augen der Kommunisten unseriös.

Bis zu seinem Tod am 21. Januar 1968 arbeitete Dertinger für den katholischen St. Benno-Verlag. Er befasste sich auch mit Fragen der Philosophie, Theologie und des Marxismus-Leninismus. Beispielsweise analysiert er die Rede des Generalsekretärs der SED, Walter Ulbricht, im April 1966 über die Menschenrechte.

Von seiner eigenen Agonie gezeichnet, erklärt er, dass seine Ansichten nicht vereinbar seien mit „Menschlichkeitsbildern, die auf dem Wesen und der Würde des Menschen als solchem ​​beruhen“. Um es mit Dertinger in einem Satz zusammenzufassen: ‚Die Menschlichkeit Communist ist vom Haß nicht zu trennen‘ [‘De communistische menselijkheid valt niet af te scheiden van de haat’]† (4)

(1) Peter Joachim Lapp, Georg Dertinger: Journalist – Außenminister – Staatsfeind, Herder, Freiburg-Basel-Wien 2005, p. 77.

(2) Ebenda, p. 159.

(3) Gleich.

(4) Ebenda, p. 267.​

Poldie Hall

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