Potsdams neues Minsker Kunsthaus ist eine Hommage an die Vergangenheit der DDR

Bis Ende der 1980er Jahre gehörte das Restaurant Minsk zu den besten Adressen Potsdams. Die Speisekarte hatte weißrussische Akzente. Das Gebäude, ein flacher, gläserner Kasten an einem grünen Hügel im Zentrum der Stadt, war ein Höhepunkt der DDR-Architektur, entworfen in den 1970er Jahren von Karl-Heinz Birkholz. Jubiläen wurden gefeiert u Jugendweiheder säkulare Übergangsritus für Jugendliche in Ostdeutschland.

Nach 1990 verwandelte sich das Café Minsk langsam aber sicher in eine Ruine. Barocke Kirchen und Paläste wurden in der ehemaligen preußischen Garnisonsstadt fleißig saniert, viele DDR-Gebäude aber abgerissen und Minsk, das „Sanssouci der Kommunisten“, vernachlässigt.

Der Software-Milliardär Hasso Plattner, Mitbegründer des Unternehmenssoftwareunternehmens SAP, finanzierte zuvor den Wiederaufbau des Barberini-Palais in Potsdam (ein Barockschloss, das im 18. Jahrhundert nach dem Vorbild eines gleichnamigen Palastes in Rom erbaut wurde), in dem er gelebt hat stellt seit 2017 seine eigene Kunstsammlung mit nicht weniger als 38 Monets aus. Plattner spendete Potsdam außerdem 20 Millionen Euro für den Wiederaufbau des 1959 unter der DDR-Regierung abgerissenen Rokokoschlosses der Stadt. Die Regierung des Landes Brandenburg ist nun wieder im Schloss. Nun hat Plattner auch das alte Minsk gekauft und trägt den treffenden Namen, dass ihm „halb Potsdam gehört“. Unter der Leitung von Plattners Tochter wurde in Das Minsk ein DDR-Kunstmuseum eingerichtet.

DDR-Favoriten wie Kartoffelsalat mit Hering u Beruhige Hund – Kuchen stoppen. Die Schokolade sei besser als die hinter dem Eisernen Vorhang, versicherte der Caterer kürzlich der Zeitung Der Tagesspiegel.

Wohnsiedlungen

Die oberste Etage des Museums ist dem Werk des kanadischen Videokünstlers Stan Douglas (Vancouver, 1960) gewidmet. 1994 kam Douglas mit einem Stipendium nach Berlin. Er fotografiert typische und stereotype ostdeutsche Szenen: mehr oder weniger heruntergekommene Schrebergärten im Herbst, ein Stück Berliner Mauer mit einem Komposthaufen davor, einen Trabant. Er drehte auch einen Kurzfilm, Der Sandmann, frei nach der gleichnamigen Geschichte von ETA Hoffmann. Zu diesem Zweck baute Douglas im Studio Babelsberg in Potsdam, dem ältesten Filmstudio der Welt und Zentrum der deutschen Filmindustrie in den 1920er und 1930er Jahren, eine Schrebergartenkulisse.

Douglas‘ Fotografien sind das Schaufenster des neuen Museums Das Minsk. Ein Museum zu dem seltenen Zweck zu eröffnen, DDR-Kunst mit Blick auf die DDR der 1990er Jahre zu zeigen, hat etwas Zwielichtiges – auch wenn der Kurator es einen „Dialog“ zwischen Ost und Ost nennt, „West im Katalog“.

Außerdem ist im ersten Stock unter dem Titel das Werk des Malers Wolfgang Mattheuer (1927) zu sehen der Nachbar der wird fliegen („Der Nachbar, der stehlen will“), ebenfalls aus der Sammlung von Hasso Plattner. Mattheuer hat zwischen 1958 und 2000 in Potsdam rund dreißig Werke geschaffen, und sein Garten zu verschiedenen Jahreszeiten ist die wichtigste Konstante in der bunten Sammlung von Mustern und Stilen.

Wolfgang Mattheuer, Blick vom Garten, 1960.
Foto Sammlung Hasso Plattner © VG Bild-Kunst
Im Museumscafé „Das Minsk“ gibt es noch DDR-Favoriten wie Kartoffelsalat zu kaufen.
Foto Ladislav Zajac
Stan Douglas, aus der Serie Potsdamer Schrebergärten, 1994/1995.
Foto Sammlung Hasso Plattner © VG Bild-Kunst
Fotos Sammlung Hasso Plattner © VG Bild-Kunst / Ladislav Zajac

Braunkohle

In der Region Sachsen in Ostdeutschland, wo Mattheuer lebte und arbeitete, wurde Braunkohle in großem Umfang abgebaut. Neben unberührter Natur malt Mattheuer verschiedene dystopische Industrielandschaften. Im Freundlicher Besuch im Braunkohlerevier („Freundlicher Besuch im Braunkohlerevier“) Bergleute gehen auf drei Gestalten zu, die eine Kiste mit einem Lächeln auf dem Kopf haben. Optimismus ist angebracht, scheinen die Zahlen zu sagen. Im Ach Caspar David Eine winzige menschliche Figur verschwindet vor dem dunklen Horizont eines ausgegrabenen Braunkohletagebaus, der auf den ersten Blick wie ein wogendes braunes Meer erscheint. Die Figur schwingt wie ein Ertrinkender.

Auch Mattheuers diverse Ikarus-Figuren fühlen sich in ihrer Umgebung nicht wohl. Im der Nachbar der wird fliegen Ein Mann mit anmutigen Flügeln steht zwischen Blumengärten. Die Nachbarn ringsum scheinen ah und oh zu schreien – aber der Nachbar hat sich nur einen halben Meter über das Gartentor erhoben. In anderen Werken scheint die Zukunft des Nachbarn besiegelt: in Seltsamer Zwischenfall („Strange Incident“) Ein Tourbus fährt neben ihm an einem immer noch rauchenden Menschen mit gebrochenen Flügeln vorbei. Im Sturz des Ikarus II („Fall of Icarus II“) lässt eine einzelne Rakete mit gefiederten Flügeln, das Gesicht des Astronauten ragt aus der Kabine hervor, einen Sturzflug auf die Erde zu.

Mattheuers „Kosmonaut“, wie Astronauten in der DDR genannt wurden, scheint Mattheuers Systemkritik gut auf den Punkt zu bringen: Jede Form von Individualität wird bestraft, aber die hochmütige Ausbeutung der Natur im Sozialismus und der ungezügelte Technikglaube sind ebenso Vorboten der Herbst.


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Helfried Beck

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