Hält Katar bösen Westlern den Spiegel vor?

Thomas von der Dunk

Die niederländische Haltung gegenüber der Weltmeisterschaft in Katar ist wieder einmal eine von beispiellosem Sabbern, sowohl vom KNVB als auch vom Kabinett.

Die Nationalmannschaft des Iran hat es zur Unterstützung des Aufstands gegen das eigene tyrannische Ayatollah-Regime gewagt, trotz aller bedrohlichen Auswirkungen in ihrem Land erstmals während einer eigenen Nationalhymne zu schweigen. Als klares Statement zur Fifa-Erpressung trugen die besuchenden deutschen und belgischen Sportminister offen das OneLove-Armband, ohne dass beide danach in einem Katar-Verlies verschwanden. Die deutsche Fußballmannschaft posierte nach dem Verbot, dieses Band zu tragen, demonstrativ mit der Hand vor dem Mund für ein Foto.

Und die niederländische Nationalmannschaft? Das hat es vorab schon in die Hose gemacht. „Wir wollen gewinnen“, darum ging es, und Sport und Politik hatten eigentlich nichts miteinander zu tun. Louis van Gaal, der hierzulande nicht der einzige Sportheld ist, der das Pferd überholt hat, machte schnell klar, dass es jetzt vorbei sein muss und er nicht mehr schikanieren will: Ab jetzt sind wir nur noch hier zum Sport.

Und das niederländische Kabinett? Ministerpräsident Rutte hat schon vor Monaten mit seinen – selbst für ihn äußerst dummen – Äußerungen über die tausenden toten Bauarbeiter den Ton für die Zukunft vorgegeben: Wir jubeln der Mannschaft zu, nicht der Tribüne.

Stift

Sportministerin Conny Helder entschied sich deshalb für einen sehr kleinen Pin. „So ein Pin ist schon ein bisschen schicker als so eine Gruppe“, sagt die Leiterin des Profifußballs Marianne van Leeuwen. Es schien nicht nur angenehmer für den KNVB, sondern auch angenehmer für den Minister selbst, dass diese Anstecknadel nicht so auffällig war, sonst wäre sie so provokativ, und dieser liebe Emir könnte Anstoß nehmen. Er muss sich mit einer unverschleierten Frau neben ihm auf diesen verfluchten Tribünen unwohl gefühlt haben, auf die Rutte sich nicht auf lauten Jubel verlassen konnte.

Helder hat mit seiner ach so schicken Anstecknadel eine extra Matschfigur gemacht, weil der Justizminister von Katar demonstrativ ein Tonband aufgelegt hatte, ein Tonband, mit dem er seine Unterstützung für die palästinensische Sache zum Ausdruck brachte. Nun, es gibt in der Tat viel für westliche (und sicherlich niederländische) Heuchelei und Doppelmoral zu sagen, wo Israels illegaler Landraub routinemäßig ignoriert wird – Putin hat solch eine völlig neue Sache nicht erfunden. Nicht dass die Katarischer Minister kümmert sich um normale Palästinenser; dies ist, wie bei all seinen wohlhabenden Kollegen in den Golfstaaten, nur Rhetorik für die Gruben.

Aber ich bin gespannt, wie jetzt der Fifa-Mafia-Boss Infantino reagiert, der politische Aktivitäten während der WM verboten hat. Wird dem Emir nun der Zugang zu seiner eigenen Galerie verweigert? Oder wird Infantino bald wieder auf die Knie gehen, nachdem er auf Druck Katars bereits allerlei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen zugestimmt oder selbst umgesetzt hat?

Nach dem Gewinn des WM-Preises hat der Emir offensichtlich kein Interesse an früheren Deals, die er als religiös-kulturell inakzeptable Zugeständnisse empfunden hatte. So konnte auch der Präsident der WM-Organisation von Katar, Hassan al-Thawadi, diese Woche beiläufig zugeben, dass die Zahl der Todesopfer auf Baustellen nicht drei-, sondern hundertfach betrage. Wie muss sich Infantino, der alle Lügen mit Elan verteidigt hatte, jetzt fühlen? Er rupft sich jetzt die Haare aus seiner Glatze und verzweifelt an seinem eigenen Unglauben.

Bauchrednerpuppe

Zuvor hatte Infantino gedacht, er sollte auf westliche Menschenrechtsaktivisten einschlagen, indem er dreitausend Jahre europäisches Fehlverhalten anführte. Putin, der kürzlich in seiner Hetze gegen den „satanischen“ Westen die westliche Sklaverei-Vergangenheit auf die Leinwand gebracht hat, wird es gerne zur Kenntnis genommen haben. Mit einem so willigen Bauchredner-Dummy im allmächtigen Weltfußballverband ist die Finanzierung all dieser narzisstischen Wappies um Thierry Baudet nichts als ein undemokratischer Hack am Rande.

Jetzt gibt es definitiv etwas zu sagen über die Ausbeutung ausländischer Arbeitskräfte in Europa und sicherlich auch in den Niederlanden, in Gewächshäusern und im Bauwesen. Etwa von ihren prekären Wohnverhältnissen in deutschen Grenzkommunen, mit denen geldgierige Arbeitgeber für hohe Gewinne und minimale Kosten einen Teil des Problems buchstäblich über die Nachbarhecke geschmissen haben.

Aber gerade die rechte Partei soll sich daran am wenigsten stören, die sich auch nicht bei Katar beschweren will und die ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen an die erste Stelle setzt – ja, die von schicken Anstecknadeln und aufdringlichen Positionen –, während sie Katar kritisiert Missbräuche sind auch die ersten, die ähnliche Missbräuche in ihrem eigenen Land anprangern.

Koloniales Kuli-System

Dazu gibt es noch eine weitere interessante Parallele. Befürworter des Nicht-Jammerns versuchen, Kritiker zum Schweigen zu bringen, indem sie erklären, dass die Katarer selbst stolz auf die Organisation der Weltmeisterschaft sind. Ja, das werden sie: die Kataris selbst. Sie bilden die wohlhabenden 10% der Gesamtbevölkerung. Katar ist ein dekadenter Sklavenstaat, der an das koloniale Kuli-System von Niederländisch-Ostindien erinnert: eine allmächtige Oberschicht auf der Grundlage der ethnischen Apartheid, wohlhabend und selbstgefällig, auf dem Rücken anderer. Auch etwas, was rechte Kreise in den Niederlanden damals und auch kurz danach nicht als großes Problem ansahen.

Thomas von der Dunk ist Kulturhistoriker.

Adelhard Simon

"Subtil charmanter Denker. Organisator. Schöpfer. Hingebungsvoller Zombie-Geek. Web-Guru. Zertifizierter Kommunikator."

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert