„Die Medien und Politiker machen sich ständig der Verunglimpfung Walloniens schuldig“

„Das Bashing von Wallonien in den Medien, auch im öffentlich-rechtlichen Sender RTBF, stellt sicher, dass die Wallonen kein starkes kollektives wallonisches Gefühl haben“, sagt Philippe Destatte, Präsident des Destrée-Instituts.

Dieses Wochenende findet in Namur nach zwei kleinen Jahrgängen aufgrund der Koronapandemie das Festival der Wallonischen Region statt.

Nach diesen „wallonischen Festlichkeiten“ untersuchte die Zeitung L’Avenir die Sicht der Wallonen auf Wallonien. Dies zeigt, dass sie ihre Region zumindest gemischt sehen. 47 % der Wallonen haben eine positive Meinung von ihrer eigenen Region – nicht einmal die Hälfte. 37 % oder etwa einer von drei Wallonen fühlen sich mit Wallonien verbunden, und 24 % oder jeder vierte Wallone sieht eine glänzende Zukunft für Wallonien.

Laut dem Historiker und Zukunftsdenker Philippe Destatte, der für seine kritischen Analysen der wallonischen Politik bekannt ist, stehen diese negativen Gefühle in keinem Verhältnis zu den Tatsachen – so groß die sozioökonomischen Interessen Walloniens auch sein mögen.

Das Trauma der wallonischen Kriegsgefangenen bleibt in den Geschichtsbüchern stumm.

Philippe Destatte, Präsident des Instituts Destrée.

„Die Wallonen praktizieren Selbstgeißelung, ich manchmal auch. Aber die Medien und Politiker sind wirklich schuldig, die Wallonie die ganze Zeit zu verprügeln. RTBF ist das beste Beispiel. Wenn es um Wallonien geht, geht es darum, sich über alles lustig zu machen oder alles zu verleumden, was falsch ist. Aber wenn man sich die jüngsten Eurostat-Zahlen zum BIP pro Kopf ansieht, schneidet Wallonien vielleicht schlechter ab als Brüssel oder Flandern, aber besser als viele Teile Nordfrankreichs. Und Wallonisch-Brabant ist mit Abstand die wohlhabendste Provinz Belgiens. Es gibt auch „ein siegreiches Wallonien“, aber niemand zeigt es.

Die fehlende positive Identifikation mit Wallonien als sozialem Projekt sei problematisch, meint Destatte, denn das Gefühl einer gemeinsamen Bestimmung fördere die Autonomie. „Anstatt auf die ganze Rettung der wallonischen Regierung zu warten, denn es ist oft noch die Kultur, die in Wallonien vorherrscht. Aber die Politik allein kann das nicht.

Der Historiker erwähnt auch ein „Tabu“, das wie eine „bleierne Decke“ auf dem wallonischen Regionalismus lastet und den Aufbau einer starken wallonischen Identität verhindert hat. Dieses Tabu hängt mit der unterschiedlichen Behandlung flämischer und wallonischer Kriegsgefangener während des Zweiten Weltkriegs zusammen. „Flämische Kriegsgefangene wurden von den Deutschen sofort nach Hause geschickt, wo sie arbeiten, heiraten und eine Familie gründen konnten. Die 65.000 wallonischen Kriegsgefangenen, darunter auch mein Großvater, waren 5 Jahre lang in deutschen Lagern eingesperrt. Dadurch wurde einer ganzen Generation von Wallonen bewusst, dass sie Wallonen sind, aber es verursachte auch ein großes Trauma für diese Generation und die Gesellschaft. Dieses Trauma steht nicht in den Geschichtsbüchern. Dies erklärt, warum sich die Wallonen bald darauf so vehement gegen die Rückkehr von König Leopold III. nach Belgien wehrten und warum sie das Urteil der Volksabstimmung über diese Rückkehr nicht akzeptieren wollten. Die Wallonen hätten beinahe einen Volksaufstand provoziert. Mehr als eine Million Wallonen marschierten mit Dynamit bewaffnet durch Brüssel.“

Und warum wiegt das wie ein Tabu auf der wallonischen Identitätsbildung? „Die Wallonen möchten lieber nicht daran erinnert werden, dass sie fast einen Bürgerkrieg verursacht und deshalb Belgien beinahe zerschlagen hätten.

Adelbert Eichel

"Preisgekrönter Organisator. Social-Media-Enthusiast. TV-Fan. Amateur-Internet-Evangelist. Kaffee-Fan."

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert