„Die deutsche Opposition riecht nach dem Blut der Macht ‚Russlandversteher‘“

Dirk Rochtus kommt auf die zögerliche Haltung der Bundesregierung bei der Unterstützung der Ukraine zurück.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird wegen seiner Zurückhaltung bei der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine kritisiert, zumal die russische Armee eine Großoffensive im Osten des Landes gestartet hat. Über den Grund für seine zögerliche Haltung bleibt der SPD-Chef im Unklaren. Was auch immer seine Gründe sein mögen, die Kritik an seiner Politik – oder besser Nicht-Politik – beißt ganz allgemein auch in das Wohlwollen, das die deutsche Politik in den letzten zwei Jahrzehnten angeblich gegenüber Wladimir Putins Russland gezeigt hat.

Die deutsche Opposition riecht das Blut der Entscheidung „u003cemu003eRusslandversteheru003c/emu003e“.

Die Politik von Scholz‘ Parteikollegin Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin des Landes Mecklenburg-Vorpommern (MV), bietet den Medien und der christdemokratischen Opposition im Bundestag eine ganz konkrete Plattform für den Angriff auf die Sozialdemokraten als „Russlandversteher“. In diesem Bundesstaat im Nordosten Deutschlands kommt die Gaspipeline Nord Stream 2 aus dem fernen Wyborg (Russland) an. Die aktuelle Bundesregierung aus Sozialdemokraten (SPD), Grünen und Liberalen (FDP) – der sog.Ampel‚ (Ampel) – aber auch ihre Vorgängerin – die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD – haben dieses Projekt wegen der Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas immer verteidigt. Im Fall Schwesig ging es zusätzlich um Arbeitsplätze in Mecklenburg-Vorpommern.

Die russische Invasion in der Ukraine am 24. Februar 2022 machte es zum „Ampel‚ moralisch unmöglich, eine Inbetriebnahmelizenz für Nord Stream 2 zu erteilen, eine „Putin-Marionette“, weil sie zu lange süße Brötchen mit dem russischen Staatskonzern Gazprom hatte. Die Oppositionsfraktionen von Grünen, CDU und FDP im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern haben im Mai erfolgreich einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um die Kontakte zwischen der Landesregierung und dem russischen Staat zu prüfen. Die Rolle der Grünen ist frappierend. Schließlich sind sie Koalitionspartner der SPD auf Bundesebene. Aber sie ziehen auch dorthin. Zum Beispiel durch Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Europaausschusses des Bundestages. Hofreiter wirft Scholz vor, mit seiner Zurückhaltung bei Waffenlieferungen den Krieg in der Ukraine zu verlängern und damit die Gefahr eines „Dritten Weltkriegs“ zu schüren.

Auch im Hinblick auf die Lage in Mecklenburg-Vorpommern strebt der Untersuchungsausschuss danach Stiftung für Klimaschutz und Mecklenburg-Vorpommern [Stichting voor klimaat- en milieubescherming MV]† Sie wurde im Januar 2021 mit Zustimmung der Landesregierung und des Parlaments gegründet und sollte, auch unter dem Deckmantel von Umweltbedenken, helfen, die Pipeline gegen die Androhung von Sanktionen der US-Regierung zu bauen. Wie sich nun herausstellt, war Gazprom als Mehrheitseigentümer des öffentlichen Unternehmens Nord Stream 2 an den Plänen zur Gründung der Stiftung beteiligt. Diese Überschneidung zwischen der Regierung und Gazprom will die Opposition nun anprangern.

Schwesig sagt, es habe Gespräche mit Gazprom gegeben, aber seine Regierung sei bei der Gründung der Stiftung von niemandem beeinflusst worden. Jedenfalls riecht es jetzt auch bei den Christdemokraten nach Blut. Außenpolitiker Norbert Röttgen (CDU) fordert Schwesigs Rücktritt. Die Grünen, die nach Transparenz schreien, wirken wohl sauberer auf die Knochen. Immerhin waren die Christdemokraten Teil der Regierung Schwesig I (2017-2021), die das Fundament über dem Taufstein instand hielt. Auch unter der bisherigen CDU-SPD-Koalition unter Führung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gab es grünes Licht für den Bau von Nord Stream 2.

Die deutschen Grünen sind starke Verfechter einer effektiven militärischen Unterstützung der Ukraine. Der in ihrer DNA verwurzelte Pazifismus ermutigt sie nicht dazu Beschwichtigung-Politik. Man kann ihnen kein „Russlandverständnis“ vorwerfen. †russlandeversteher„Da waren die Merkel-CDU, die SPD, Die Linke und die AfD. Wenn Schwesig zur Axt greift, könnte das den Druck auf Scholz erhöhen, seine Bemühungen für die Ukraine zu verstärken. Was im „hohen Norden“ Deutschlands passiert, ist daher von großer Bedeutung für Berlin und den Rest Europas.

Dirk Rochtus lehrt Deutsche Geschichte und Internationale Politik an der KU Leuven/Antwerp Campus.

Helfried Beck

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