Deutschland will in Europas Verteidigung in Führung gehen, doch Scholz zögert

Es ist eine längst vergangene Aussage, die Bundeskanzler Olaf Scholz umtreibt: „Wer Führung von mir befiehlt, soll sie erhalten.“

Der Krieg in der Ukraine verlangt dem Kanzler eines der mächtigsten Länder Europas eine führende Rolle ab wie nie zuvor. Doch die Kritik an Scholz und seiner Partei mehrte sich, und die Meinung fiel in den Umfragen.

Während viele Länder harte Sanktionen gegen Russland, die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine und schnelle Entscheidungen fordern, wirkt Scholz zögerlich. Wie die Wochenzeitung Die Zeit Nach zwei Monaten Krieg lautete die Schlagzeile: „Die Leitung ist bestellt, aber nicht geliefert.“ Woher kommt diese Zurückhaltung?

Praktische Einwände

Fragt man die SPD von Scholz, warum die Waffenlieferungen so schleppend sind, bekommt man viele praktische Erklärungen zu hören: Die ukrainische Armee wäre nicht in der Lage, mit deutschen Waffen umzugehen, Deutschland habe nach Jahren des Pazifismus zu wenig Material vorrätig und das auch , funktioniert nicht oder kann nicht übersehen werden.

Zudem müssten solche wichtigen Grundsatzentscheidungen mit den Partnerländern abgestimmt werden, was nach Angaben von SPD-Politikern Wochen dauern könne.

Gleichzeitig erwiesen sich viele Einwände als nicht unüberwindbar: Nach langem Zögern wird Deutschland nun schwere Gepard-Panzer liefern, von denen zuvor gesagt wurde, dass ukrainische Soldaten sie nicht kontrollieren könnten. „Die Panzer können kurzfristig nicht helfen, aber ich fürchte, der Krieg wird länger dauern“, sagte Michael Roth, SPD-Politiker und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages. „Wir werden sicherstellen, dass die notwendige Ausbildung bereitgestellt wird.“

große Erwartungen

Kritiker sehen in den praktischen Einwänden vor allem mangelnde Führung und Willenskraft. Die Unzufriedenheit ist in den letzten Wochen nicht nur in der Ukraine gewachsen, sondern auch in der deutschen Opposition und sogar innerhalb der Koalition und der SPD selbst.

„Das Problem bei Olaf Scholz ist, dass er selbst enorme Erwartungen geweckt hat“, sagt der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke Blätter für Deutsche und Internationale Politik

Er erinnert an die Rede des Bundeskanzlers im Parlament kurz nach Kriegsausbruch. Darin läutete Scholz eine neue Ära ein, eine „Zeitenwende“, in der Deutschland nach zwei Weltkriegen die Führung im bewaffneten Kampf um die internationale Sicherheit wagt. Das weckt größere Erwartungen als Investitionen in das Militär und zurückhaltende Waffenlieferungen. „Die Leute sehen Deutschland als Nachzügler, das ist kein gutes Image“, sagt von Lucke.

Doch der Kampf zwischen Scholz und der SPD geht tiefer. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben sich deutsche Regierungen und sicherlich auch die SPD dafür entschieden, die Beziehungen zu Russland zu „lockern“, zu denen sie gezwungen wurden. Dies trug zum Ende des Kalten Krieges bei und ging einher mit billigem Öl, Gas und Kohle aus Russland.

Aber für Putin scheine die Vorstellung, „es wird nicht geschossen, wenn geredet wird“, nicht mehr zu existieren, sagt von Lucke. Als Deutschland zunehmend von russischer Energie abhängig wurde, gab es viele Anzeichen für eine härtere Haltung gegenüber Russland: der russische Einmarsch in Georgien, die Annexion der Krim und Warnungen aus den Ländern Osteuropas.

Auch danach spielte die SPD eine wichtige Rolle, etwa beim Bau der Gaspipeline von Russland nach Deutschland, die die Umgehung der Ukraine erleichtern würde.

Der Wille des Volkes

Seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine treten prominente SPD-Mitglieder nacheinander vor, um ihre „Fehleinschätzungen“ einzugestehen. Auch Roth ist selbstkritisch. „Wir haben die Sorgen der osteuropäischen Länder nicht ernst genug genommen“, sagt er. Allerdings gibt er auch außerhalb seiner Partei einen Teil der Schuld. „Man muss verstehen, dass die Osteuropa-Politik der SPD ein Abbild des Volkswillens war.“

Dieser Wille ist laut Umfragen nun geteilt. Der Anteil der Deutschen, die sich gegen Waffenlieferungen wehren, nähert sich mittlerweile der 50-Prozent-Marke. Gleichzeitig sank die Wertschätzung für die Arbeit von Scholz laut einer Umfrage des ZDF innerhalb eines Monats von 72 % auf 49 %.

Scholz selbst, der nicht gerade für seine einnehmende Art der Kommunikation bekannt ist, hielt sich in den vergangenen Wochen meist auf Sparflamme. Eine Ausnahme bildete das Interview mit der Wochenzeitung des Spiegelsmit dem Titel „Wovor haben Sie Angst, Herr Scholz?“

Seine Antwort: „Es geht nicht um Angst, es ist meine politische Verantwortung. Ich werde alles tun, um den Dritten Weltkrieg zu verhindern. Es darf keinen Atomkrieg geben.“

Seine Popularität ist für ihn zweitrangig. „Ich schaue keine Wahlen und lasse mich nicht von schrillen Rufen irritieren. Diese Situation erfordert einen kühlen Kopf und wohlüberlegte Entscheidungen, denn unser Land trägt die Verantwortung für Frieden und Sicherheit in ganz Europa.“

Helfried Beck

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