Deutschland passt den Wechselkurs drastisch an. Scholz will eine „moderne Bundeswehr“

Innerhalb weniger Tage wurden einige der heiligsten Häuser der deutschen Politik gestürzt.

Bis vor wenigen Tagen und immer mit Bezug auf „unsere Geschichte“ hielt die Scholz-Regierung wie zuvor die Merkel-Regierung an einem äußerst bescheidenen Verteidigungsetat fest. Waffenlieferungen in Konfliktgebiete, auch in die Ukraine, wurden vereitelt, auch wenn diese Waffen nur eine deutsche Schraube enthielten: Das entsprach nicht dem Bild, das die Deutschen von einer Friedenstaube hatten. Und genau wie die Regierung Merkel und zuvor die Regierung Schröder hielt auch das neue Kabinett bis vor kurzem an Nord Stream 2 fest: Der großangelegte deutsche Einkauf von russischem Gas galt als diplomatische „Brücke“ nach Russland.

In weniger als einer Woche sind diese Säulen der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik obsolet geworden. Scholz hat am Dienstag eine Interimsleitung über Nord Stream 2 aufgebaut. Deutschland hat am Samstag angekündigt, 1000 Panzerabwehrwaffen und 500 Raketen an die Ukraine zu liefern. Und am Sonntag hielt Scholz eine Rede auf einer Sondersitzung des Bundestages und kündigte an, Deutschland werde nun die 2-Prozent-Vorgabe der Nato erfüllen.

Zudem will Scholz eine „hohe Modernität Bundeswehr“. Dafür werden im diesjährigen Haushalt 100 Milliarden Euro freigegeben, und in Zukunft muss verfassungsrechtlich vorgeschrieben werden, dass mindestens 2 % des BIP in die Verteidigung investiert werden. Ein Teil dieser Investition wird in bewaffnete Drohnen und neue Flugzeuge fließen, die auch US-Atomwaffen tragen können. Russisches Gas soll durch verflüssigtes Erdgas, meist Schiefergas aus den USA, ersetzt werden – das finden die Grünen bisher fragwürdiger als „normales“ Gas aus Russland.

Zeitenwende

Olaf Scholz nannte in seiner Rede den 24. Februar, den Tag des Einmarsches russischer Truppen in die Ukraine: „Zeitenwende‚. „Putins Krieg ist eine Sollbruchstelle, auch für unsere Außenpolitik“, sagte Scholz.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), die bis vor kurzem auch keine Waffen an die Ukraine liefern wollte, sagte wenig später: „Wenn unsere Welt anders ist, dann muss auch unsere Politik anders sein.“

Der deutsche Touch ist von großer Bedeutung für die europäische und westliche Einheit. In Frankreich plädiert Präsident Macron seit längerem für eine robustere europäische Verteidigung, nun wird er dabei von Scholz unterstützt. Mit seiner geografischen Nähe zu Russland und der immer noch wahrgenommenen Nähe zu den Staaten der ehemaligen DDR betrachtet sich Deutschland seit langem als bevorzugten Gesprächspartner Russlands. Scholz will diese Ausnahmestellung nicht länger besetzen. „Wir werden jeden Quadratmeter konföderierten Territoriums als unser eigenes verteidigen“, sagte Scholz.

Vor allem die osteuropäischen Länder haben den schwachen deutschen Wechselkurs in den vergangenen Jahren mit Argwohn betrachtet. Die baltischen Staaten werden offen von Russland bedroht. Scholz versprach am Sonntag, mehr deutsche Truppen in Litauen zu stationieren und Flugabwehrraketen nach Osteuropa zu verlegen.

Deutschland ist in den vergangenen Wochen längst hinter seine europäischen Partner zurückgefallen; Großbritannien und Frankreich lieferten bereits Waffen an die Ukraine, Deutschland vereitelte diese Lieferungen. Auch beim Ausschluss russischer Banken von SWIFT brauchte Deutschland ein paar Tage mehr als die USA, Großbritannien und Frankreich, und auch Deutschland stand am Samstag dahinter. Jetzt tritt Deutschland vor und lässt die EU geschlossen gegen Russland agieren.

In Deutschland werden die Verteidigungsausgaben seit Jahren gekürzt. Deutschlands oberster General Alfons Mais hat Anfang dieser Woche Alarm geschlagen und geschrieben, dass die von ihm geführte Armee mehr oder weniger mit leeren Händen dasteht. Nach der Krim-Annexion, schreibt Mais, hätte man Lehren ziehen müssen, aber man habe sie damals nicht gehört.

Der radikale Richtungswechsel ist umso bemerkenswerter, als er von dem Sozialdemokraten Scholz getragen wird. Vor allem die deutschen Sozialdemokraten verstehen sich generell als pazifistische Partei mit einem besonderen Bezug zu Russland. Befeuert wird diese Stimmung durch nostalgische Anspielungen auf die Ostpolitik des SPD-Mitglieds Willy Brandt in den 1970er-Jahren.

Auch SPD-Kanzler Gerhard Schröder hatte ein besonderes Verhältnis zu Putin. So besonders, dass er kurz nach seiner Kanzlerschaft für die Nord Stream NV und damit indirekt für den russischen Gaskonzern Gazprom arbeitete. Inzwischen ist Schröder auch Aufsichtsratsmitglied des russischen Ölkonzerns Rosneft; Funktionen, an denen Schröder in den letzten Tagen nicht nachgelassen hat.

Adelbert Eichel

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