Sie hatte recht. Ein paar Minuten später sahen wir abgerissene Häuser, wir spürten eine landwirtschaftliche Atmosphäre wie in der Mitte des 20. Jahrhunderts, aber Google Maps funktionierte wieder; Wir waren in einem tschechischen Dorf, wo die Autos älter waren als in Deutschland, aber die digitale Autobahn viel weiter ausgebaut war – wie es auch der Fall ist, wenn wir die Grenze zu Polen, den Niederlanden oder einem anderen Nachbarland Deutschlands überqueren.
Für niederländische Besucher in Deutschland ist es gewöhnungsbedürftig: Beim Thema Digitalisierung fühlt es sich an, als würde man zehn Jahre zurückgehen. Sogar die Deutschen selbst beginnen sich darüber zu wundern. Während des Wahlkampfs im September 2017 besuchte ich einen Auftritt von Angela Merkel in einer ostdeutschen Stadt. Der Islam könnte als Thema warten; Merkel war die Erste, die den wütenden Bürgern im Saal eine „bessere Internetverbindung“ versprach.
Natürlich sprechen auch niederländische Politiker gerne über die Bedeutung der Digitalisierung, doch die Bedeutung dieses Begriffs ist in beiden Ländern sehr unterschiedlich. Als ich vor neun Jahren in Berlin ankam, musste ich neu lernen, mit allem umzugehen, wovon ich mich in den Niederlanden schon lange verabschiedet hatte. Ich schickte wieder dicke Stapel Papierunterlagen ans Finanzamt, überprüfte bei jedem Restaurantbesuch ängstlich, ob ich genug Bargeld bei mir hatte, und schaute im Zug stundenlang ohne Internetverbindung aus dem Fenster.
Merlijn Schoonenboom In seiner monatlichen Kolumne verbindet er seine persönlichen Erfahrungen mit breiteren gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland.
Kulturkritische Berliner Bekannte versuchten mir oft einzureden, dass es hier ein tiefes Deutsch gebe Technikskepsis Dahinter steckt ein heroisches Misstrauen gegenüber großen Unternehmen, die Ihre „Daten“ stehlen wollen. In meinem örtlichen Supermarkt in Berlin sagte mir mein türkisch-deutscher Kassierer, etwa 20 Jahre alt, dass er selbst „niemals mit einer EC-Karte zahlen würde, weil man nicht weiß, was man mit seinen Daten macht.“ Und er fügte hinzu: „Es ist einfach eine Obsession für uns Deutsche, nicht wahr?“
Ich gebe zu, dass mir diese philosophische Aussage immer gefallen hat, insbesondere angesichts meiner eigenen Vorbehalte gegenüber sozialen Medien. In Deutschland kam ich bereits mit Facebook-Kritik in Berührung, bevor sie zu einem internationalen Topthema wurde. Dennoch glaube ich nicht, dass dieser Glaube tatsächlich der Grund dafür ist, dass Europas größte Volkswirtschaft in diesem Bereich so weit zurückliegt.
Digitale Entwicklungen, die in den Niederlanden längst zum Alltag gehören, treten auch in Deutschland auf, allerdings viele Jahre später. Seit letztem Jahr verfügt die Deutsche Bahn erstmals über eine kostenlose Internetverbindung in (einigen) ICE-Zügen; Eine Supermarktkette verkündete kürzlich stolz, dass Kunden „jetzt auch an der Kasse Bargeld abheben können“. Und die Medien Twitter spielen in der öffentlichen Debatte seit Kurzem eine ebenso wichtige Rolle wie in den Niederlanden.
Der Hauptgrund für die Verzögerung der Digitalisierung ist einfach ein weiteres deutsches Klischee. Niemand kann behaupten, dass stundenlanges Warten auf eine Briefmarke in einem grauen Regierungsbüro in Berlin eine kulturkritische Überzeugung ist, aber es ist unbestreitbar, dass deutsche Regierungsorganisationen, gelinde gesagt, Schwierigkeiten haben, sich an die moderne Zeit anzupassen. Und deutsche Unternehmen sind gut in der Entwicklung mechanischer Produkte, ihre Fähigkeit, schnell auf moderne Technologien zu reagieren, ist jedoch deutlich weniger ausgeprägt.
Man wirft Merkels neuer Regierung vor, ein Tageskabinett zu sein, doch nun scheint man die Digitalisierung vorantreiben zu wollen. Seit März gibt es in Deutschland eine Art Staatssekretär, der speziell für die Digitalisierung zuständig ist. Diese Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) rief die Regierung sofort kämpferisch auf Vorbereiter in dieser Gegend. Ich frage mich, wie viele Jahre es dauern wird, bis wir den Weg zurück in das Grenzgebiet zu Tschechien finden – und ob es uns nicht gelingen wird, uns romantisch zu verirren.
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